London – „Es gab immer eine ganz direkte Verbindung zwischen Kunst und Geld“, schreibt Christian Kracht in seinem neuen Roman „Eurotrash“, „da hatte es nie auch nur den geringsten Zweifel gegeben, dass das zusammengehörte und eins war.“ Noch nie ist diese Zusammengehörigkeit indes so offensichtlich geworden wie im neuen digitalen Kunstformat der NFTs.
Das muss man erst einmal erklären: NFT steht für „Non-fungible Token“, also nicht austauschbare Token. Token gehören zu den Grundbausteinen von Kryptowährungen wie Bitcoin. Solche digitalen Zahlungsmittel werden durch ein Netzwerk dezentraler Datenbanken abgesichert.
Das ist die Blockchain, von der immer alle reden. In der sind, wie in einem auf mehrere Buchhalter verteilten Kontobuch, alle Transaktionen eines Bitcoins verzeichnet und auch jede neue Transaktion muss auf jedem zur Blockchain gehörenden Computer verzeichnet werden. Wer solch eine Transaktion ausführen kann? Nur derjenige, der das entsprechende Token besitzt.
Echt, aber kopierbar
Nun geht es bei NFTs aber gerade nicht um die Fungibilität, also darum, nach Maß, Zahl oder Gewicht bestimmbar und ohne Weiteres austauschbar zu sein. Sondern um die Einzigartigkeit.
Vergessen Sie den technischen Kladderadatsch und merken sich einfach: Ein NFT ist eine Art Echtheitszertifikat für digitale Datensätze, es garantiert dem Besitzer die Einzigartigkeit und Fälschungssicherheit des von ihm erworbenen Datensatzes. Ein NFT kann freilich nicht verhindern, dass die mit ihm verknüpften digitalen Datensätze kopiert und vervielfältigt werden. Es beinhaltet auch keine Urheberrechte. Schließlich ist die grenzenlose und verlustfreie Kopierbarkeit das eigentliche Wesen des Digitalen.
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Es ist ein wenig so, wie mit Original und Reproduktion: Sie können sich die bestmögliche Reproduktion des „Mädchen mit den Perlenohrgehänge“ kaufen oder eine ganze Europalette mit Vermeer-Kunstdrucken, doch das Original verbleibt im Besitz des Mauritshuis in Den Haag.
Jetzt kommt allerdings der Part, bei dem sich Digital Natives von älteren Generationen scheiden werden. Im Falle der NFTs ist das Original exakt dasselbe wie seine Kopien. Mit einem einzigen Unterschied: dem nicht-austauschbaren Token, das den Besitzer des digitalen Datensatzes ausweist. Das erscheint Ihnen lächerlich?
600.000 Dollar für ein Katzen-Gif
Dann bedenken sie Folgendes: Vor zehn Jahren hat der damals 25-jährige Texaner Christopher Torres ein kurzes Video bei Youtube hochgeladen. Es zeigt eine rudimentär animierte Katze mit einem Körper aus toastbarem Teiggebäck, die durch den Weltraum fliegt und dabei einen Regenbogenschweif hinterlässt. Das Video wurde unter dem Namen „Nyan Cat“ zu einem beliebten Internetphänomen. Im Februar dieses Jahres verkaufte Torres eine neue Version der „Nyan Cat“ auf einer Auktion als NFT für 300 Ether, der zweitbeliebtesten Kryptowährung nach Bitcoin. 300 Ether entsprachen zum Zeitpunkt der Auktion knapp 600 000 Dollar. Um zu rekapitulieren: Jemand hat mehr als eine halbe Million Dollar für ein Katzen-Gif ausgegeben.
Einige Tage zuvor hatte die experimentelle Popmusikerin Grimes – seit ihrer Beziehung zu Tesla-Chef Elon Musk noch sehr viel bekannter – binnen 20 Minuten zehn NFT-Kunstwerke ihrer Serie „War Nymphs“ im Wert von fast 6 Millionen US-Dollar im Internet versteigert. Die Bilder zeigen geflügelte Babys, die mit gezückten Lanzen durchs All schweben.
Riesige Collage
Spätestens hier zuckt dem Kunstkenner die Braue. Bildet sich da etwa ein Markt jenseits des guten Geschmacks aus? Sind Memes, also Ideen, Illustrationen, Sinnsprüche die sich als Lingua franca im Netz verbreiten, die neuen Gerhard Richters? Unweigerlich muss man an das Paul-Valéry-Zitat denken, das Walter Benjamin seinem berühmten Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ vorangestellt hat, nach dem große Neuerungen nicht allein die Technik der Künste, sondern „den Begriff der Kunst selbst auf die zauberhafteste Art“ verändern werden.
Es sieht tatsächlich ganz so aus: Mike Winkelmann, Grafikdesigner aus Wisconsin, hat unter dem Namen Beeple seit dem 1. Mai 2007 jeden Tag ein selbst gemachtes Bild ins Netz gestellt. Die Ästhetik folgt größtenteils der von Science-Fiction-Buchcovern, die Inhalte sind oft satirische Kommentare zu aktuellen Themen. Nun hat Winkelmann seine „Everydays“-Serie zu einer riesigen digitalen Collage namens „Everydays: the First 5000 days“ zusammengestellt und von Christie’s versteigern lassen. Es war das erste Mal, das ein renommiertes Auktionshaus ein NFT versteigerte. Es war auch das erste Mal, dass bei Christie’s in der bereits erwähnten Kryptowährung Ether bezahlt werden konnte.
Top 3 der Kunstwelt
Und wie: Das rein digitale Werk – ein Jpeg mit einer Auflösung von 21 069 x 21 069 Pixel und einem Dateigewicht von rund 319 Megabyte – wechselte für mehr als 69 Millionen Dollar den Besitzer. Damit gehört der in der Kunstwelt völlig unbekannte Mike Winkelmann nun zu den Top 3 der bestbezahlten lebenden Künstler.
Bleibt die Frage, ob sich der gezahlte Preis auf das Werk oder auf das Token bezieht? Oder sind Werk und Währung hier schlicht gleichzusetzen? Es sieht jedenfalls so aus, als könne es, wie Christian Kracht sagt, nun wirklich nicht mehr den geringsten Zweifel geben, dass Geld und Kunst eins sind.