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Nora Tschirner im Interview„Ich geh' nirgends auf halber Arschbacke hin“

Lesezeit 7 Minuten
Nora Tschirner Tatort

Nora Tschirner

  1. Nora Tschirner ist geborene Entertainerin, kann aber auch ernst sein.
  2. Im Gespräch reflektiert die Schauspielerin und Musikerin das heutige Liebesverhältnis und verrät ihren Traum eines Gnadenhofs für Pferde.
  3. Außerdem spricht sie über die Figur „Emma“, die sie in „Gut gegen Nordwind“ spielt.

Berlin-Mitte, draußen regnet es in Strömen. Nora Tschirner steht im Flur des Mandala-Hotels am Potsdamer Platz und ist trotz rappelvollem Interviewtag bestens gelaunt. Die 38-jährige Schauspielerin beginnt augenblicklich, herumzualbern, wie es sich für eine Humoristin wie sie gehört. Dabei entkommt keiner ihren Witzen, weder die Interviewerin,noch die Make-up-Künstlerin oder der Fotograf: Alle bringt sie binnen kürzester Zeit zum Lachen. „Ernsthaftigkeit triggert meine Albernheit“, sagt sie, und lässt sich in einen grauen Sessel gleiten. Und dann zur Make-up-Künstlerin: „Mach es dir gemütlich, wir sind schließlich nicht jeden Tag im Mandala!“ Anlass für das Gespräch ist ihr neuer Film „Gut gegen Nordwind“, der auf Daniel Glattauers Bestseller-Liebesroman basiert.

Kann man sich wirklich verlieben ...

Ja! Mist, wieder zu schnell geantwortet.

... wenn man sich noch nie persönlich gesehen hat, über E-Mail, wie Leo und ihre Figur Emma in „Gut gegen Nordwind“?

Die Frage habe ich für mich noch nicht abschließend beantwortet. Ich vermute aber, wenn man sich überhaupt verlieben kann, warum dann nicht auch so. Eher als mit der Form hat es damit zu tun, wie weit beide Seiten bereit sind, sich zu zeigen. Und das kann man auf vielerlei Weise tun. Auf den Bällen vor Hunderten von Jahren, die man aus Gesellschaftsromanen kennt, haben sich die Leute auch wenig gezeigt. Kommunikation verrät aber immer die Individualität, die Ausdrucksform ist fast zweitrangig. Eine Begegnung kann in der bildenden Kunst, im Tanz, letztendlich auch beim Kochen entstehen. Überall, wo jemand erkannt werden möchte, kann man ihn erkennen. Und wenn der dann etwas Kompatibles hat, kann man sich auch verlieben.

Die Ehe zwischen Emma und ihrem Mann Bernhard wirkt nicht besonders unglücklich, im Gegenteil. Man versteht nicht so recht, warum Emma diese E-Mail-Affäre anfängt.

Was es in meinen Augen schon gibt, ist eine bestimmte Unachtsamkeit, die sich eingeschlichen hat. Ich glaube, die fällt einem vielleicht nicht auf, weil man viele Beziehungen sieht, die so sind. Bernhard und Emma haben keine eigene Insel mehr. Sie sind wahrscheinlich zu sehr in die Alltags-Verantwortlichkeiten ihres gemeinsamen Lebens gedriftet. Das ist ein über Jahre schleichender Prozess. Inseln der Zweisamkeit im Alltag zu integrieren, ist wohl die riesige Herausforderung, wenn daraus eine lange freundliche Beziehung werden soll. Mir fehlt oft die gesellschaftliche Milde mit dem Scheitern eines solch gewagten Versuchs. Heute herrscht immer noch große Empörung, wenn Leute ausbrechen. Ich finde in solchen Szenarien die Begrifflichkeiten ja sehr spannend. Entweder kommen sie aus der Wirtschaft, dem Militär oder der Tierhaltung. Wir reden von „Betrug“, „Verrat“ und davon, „jemanden auszuspannen“! Es marschiert quasi direkt die versammelte Kavallerie ein, um ein Wirtschaftsverbrechen zu ahnden! Aber dieser Vorgang, wenn eine Person bei jemand anders landet, hat doch für alle Seiten etwas sehr Trauriges, Intimes, Berührendes. Man hat sich doch aus Versehen verloren, irgendwie verpasst, zuzuhören, einander zu bewahren. Das macht ja niemand vorsätzlich. Eine Beziehung nach außen zu verteidigen, zu sagen, wir sind jetzt mal ein paar Stunden auf der Insel, und wir haben hier auch überhaupt keinen Empfang, dumm gelaufen, das passiert sehr selten, ist aber wahrscheinlich das Wichtigste.

Hat Sie an der Figur der Emma gereizt, dass sie ausbricht?

Ich hätte da jeden gespielt, denn an Daniel Glattauers Roman fand ich so toll, dass er sich nicht moralisch nähert, sondern dass er ein richtiges Dilemma zwischen den Figuren darstellt. Dass man Bernhard, den Ehemann, der betrogen wird, lieb hat. Dass man nicht denkt, boah, den jetzt schnell mal für den neuen hotten Typen loswerden.

Wie spielt man eine Liebesgeschichte, bei dem man keine Szene mit dem geliebten Menschen teilt, sondern ihm nur E-Mails schreibt?

Eigentlich wie immer, weil es ja in allen Fällen um den Zugang zum eigenen inneren Kosmos geht. Das, was man emotional bearbeiten muss, an dem man anknüpft, ist etwas Privates und Teil der eigenen Gefühlswelt. Natürlich gibt es eine Dynamik mit dem Gegenüber, aber die Dinge, die ich freischalten muss, um meine Gefühle der Figur zu geben, sind immer meine Nora-Sachen. Im schlimmsten Fall kann es sogar ablenkend sein, wenn jemand da ist. Und je weniger Leute im Raum sind, desto kürzer ist der Weg zwischen mir und dem Text. In dem Moment, wo die Kamera läuft, ist die Vorstellungskraft gefragt. Genau wie im Sychronstudio, wo alles abgedunkelt ist, ist man dann plötzlich sehr nah am eigenen Kern von sich selbst.

Warum gibt es in unserer Gesellschaft so eine Fokussierung auf den Anfang der Liebe?

Weil wir darauf seit Jahrhunderten geprägt sind, in jüngster Zeit zum Beispiel auch durch Filme, bei denen ich mitgemacht habe. Romantikvorstellungen beeinflussen uns. Wir erkennen Magie nur, wenn sie uns völlig aufs Maul haut. Aber wenn sie nicht so bunt ist, sich anders verkleidet, aber doch sehr tief geht, dann fällt es uns schwerer, sie zu sehen. Wenn man das nicht verhandelt bekommt, wächst man, glaube ich, in eine Fehlannahme rein. Wir hören dauernd: „Finde den einen, und dann geht es aber los!“ Was geht’n dann los? Dann geht eine Riesen-Aufgabenstellung los. Und wenn Leute das Wort Aufgabe hören, fangen sie an zu schreien: zu viel Druck! Alles muss sich toll anfühlen! Wenn man Aufgaben für sich innen drin toll definiert, fühlt das sich aber total gut an. Niemand bringt das Ganze so gut auf den Punkt wie der Philosoph Alain de Botton. Der hat eigentlich immer recht...

...wenn er schreibt, dass Liebe eine Fähigkeit ist, die wir über Jahre lernen müssen, und dass sie sich immer zwischen zwei auf die eine oder andere Weise geschädigten Menschen entwickelt.

Wenn man sich noch nicht so ganz eingearbeitet hat, ist man vielleicht erschlagen davon, und denkt, das Gegenteil dieser überzogenen Romantik sei so ein Sich-Begnügen, eine Bescheidenheit, nach dem Motto, is' eben nicht alles Schmetterlinge. Aber dabei vergisst man, dass da noch ganz andere Insekten kommen. Es geht dabei um eine Weiterführung, eine Vertiefung, um den wirklichen Zauber von Verbindung. Letztendlich ist das die grundmenschliche Sehnsucht, sich wirklich zu verbinden. Und das ist möglich, nur wir haben nicht richtig gelernt, wie.

Sie waren bisher in über 25 Kinofilmen zu sehen, haben in der Band Prag Gitarre gespielt, Dokumentarfilme produziert und ermitteln neben Christian Ulmen im Weimarer „Tatort“. Wie suchen Sie sich Ihre Projekte aus?

Es kommt auf die Menschen an, mit denen ich zusammenarbeite. Aber natürlich auch auf die Themen. Dem Thema Liebe bin ich sehr verbunden, ob romantisch oder in einer anderen Form. Ich bin ein Beziehungsjunkie, nicht nur Männlein-Weiblein, sondern mich interessieren und berühren Beziehungsgeflechte. Es spricht mich mittlerweile aber weniger an, zwei Monate an einem Filmset als Hauptrolle zu verbringen. Ich habe das für „Gut gegen Nordwind“ jetzt noch einmal gemacht, weil das Buch eines meiner Lieblingsbücher ist. Ich liebe generell alles, was nicht schwarz-weiß ist, denn ich bewege mich gerne in Grauzonen und das mache ich hier auch. Schönheitswahn und Depression sind Themen, die mich umtreiben. Themen müssen mich zum Heulen bringen, mich durchlässig und weich machen.

Sieht so auch Ihre Zukunft aus?

Alles andere ergibt keinen Sinn. Das kann sogar eine Quizshow sein, die find ich toll, weil ich große Freude empfinde. Es wird jedenfalls nichts sein, wo ich auf halber Arschbacke hingehe, sondern wo ich mit ganzem Herzen denke: „Ja!“ Das war immer schon so, wird aber mit der Zeit eher noch stärker.

Man kann Sie also bald als Quizmaster sehen?

Nein, aber selber zu raten und mitzuspielen, finde ich prima. Ich war jetzt, glaube ich, siebenmal in zwei Jahren bei „Wer weiß denn sowas?“ zu Gast, weil auch das mir einfach Freude bringt. Freude und Geld. Aber die Freude entscheidet letztendlich. Den sanften Druck, dass das Leben verrinnt, fühle ich durchgehend. Deswegen stelle ich mir die Frage, womit ich meine Zeit wirklich verbringen will, regelmäßig.

Haben Sie den einen konkreten Traum für die nächsten Jahre?

Mit 80 hätte ich gerne eine große Fläche Land, auf der Pferde, die sonst zum Schlachter gekommen wären, eine Herde bilden dürfen. Pferde, die gestorben wären, weil sie für ein Galopprennen nicht mehr schnell genug und ein sogenannter wirtschaftlicher Totalschaden sind.

Einen klassischen Gnadenhof.

Ja, aber so, wie sie richtig leben. Wo die Tiere 16 Stunden lang vorwärts laufen können. Platz, so weit das Auge reicht. Frei, wie Mustangs.