Oper BonnDie Regie kombiniert Trojahn und Beethoven – und scheitert damit
- Beethovens Krise soll sich an der Krise in Hofmannsthals „Chandos-Brief” spiegeln – aber diese Verbindung wird nicht plausibel .
- Der Versuch, dem Klassiker einen modernistischen Appeal zu verschaffen, ist ehrenwert, auch wenn er misslingt.
- Gesungen wird ausgezeichnet bis ordentlich, Dirk Kaftan entfacht im Orchestergraben ein loderndes Feuer.
Bonn – Was haben Hofmannsthals berühmter Brief des Lord Chandos an Francis Bacon, ein eindringliches Zeugnis für die Sprachskepsis und -not der beginnenden Moderne, und Beethovens wenig bekanntes Kurz-Oratorium „Christus am Ölberge“ (1803) miteinander zu tun? Nicht viel, muss man beim ersten und wohl auch beim zweiten und dritten Hinsehen feststellen. Trotzdem bringt sie die Bonner Oper in ihrer neuesten Produktion zum Beethovenjahr zusammen. Kann das gut gehen?
Der Düsseldorfer Komponist Manfred Trojahn also verarbeitet in einer Art Prolog zur Bühnenproduktion des Oratoriums den gekürzten Chandos-Brief zu einer „Reflexiven Szene“ für Bariton, Streichquartett und Orchester. Das ist eine schöne, eindringliche Musik, die zunächst an Beethovens späte Quartette, dann aber in ihrer expressiven Glut an Werke wie Schönbergs „Erwartung“ erinnern mag. Holger Falk interpretiert die schwere, mal gesungene, mal gesprochene Chandos-Partie großartig-souverän, das Beethoven Orchester unter Dirk Kaftan taucht den Vokalpart in leuchtende Instrumentalfarben.
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Die Verbindung zum nach einer Pause folgenden Oratorium? Die funktioniert der Konzeption des Abends zufolge so: In beiden Fällen geht es um eine Krise. Im Fall des Lord Chandos um eine Sprachkrise, die sich freilich äußerst beredt artikuliert (die Sprechakttheorie nennt das einen „performativen Selbstwiderspruch“), im Fall Beethovens um eine Existenzkrise: Der Komponist schrieb das Oratorium in der Zeit seines (zu Beginn des zweiten Teils verlesenen) „Heiligenstädter Testaments“, das die fortschreitende Ertaubung und den dadurch bedingten Rückzug von der Menschenwelt dokumentiert. Der gepeinigte Christus – er wird darüber zu Beethovens Selbstporträt.
Krise heißt somit das Tertium Comparationis, das verbindende Vergleichsmoment. Leider ist diese gedankliche Brücke arg marode: Letztlich sind beide Krisen (deren eine darüber hinaus fiktiver Natur ist) sehr unterschiedlicher Natur, abgesehen davon, dass ja alles irgendwie krisenhaft ist. In dieser Nacht der großzügigen Beliebigkeit werden schnell alle terminologischen Katzen grau.
Reinhild Hoffmanns Inszenierung zwingt die Teile assoziativ zusammen
Die Regie (Reinhild Hoffmann) lässt sich von solchen irgendwie doch auch nahe liegenden Einwänden nicht beeindrucken: Das Bühnenbild, ein karges Halbrund, zwingt die beiden Teile des Abends assoziativ zusammen, vor allem aber tut dies ein riesiges Buch, das manchmal – im ersten Teil – wie ein Laptop geöffnet wird und im zweiten Teil die handelnden Figuren aus seinen Seiten entlässt. Wird es hier zum Buch der Bücher, zur Bibel, die ja schließlich die Passionsgeschichte überliefert, von der auch Beethovens (ziemlich unsägliches) Libretto zehrt?
Hoffmann dramatisiert das Oratorium, indem sie Solisten und Chor in eine szenische Bewegung integriert und dazu Tänzerinnen und Tänzer auftreten lässt, die Häscher und Jünger vorstellen. Das funktioniert recht gut, zumal das Geschehen von Kaftan aus dem Graben gewohnt druckvoll befeuert wird. Die Sangesleistungen sind unterschiedlich: Ilse Eerens als koloraturenfreudiger Seraph überzeugt, auch Seokhoon Moon in der Nebenrolle des Petrus, während Kai Kluges Jesus durch häufige Fehlintonationen verstört. Der Chor agiert kraftvoll und präsent.
Hier wurde viel Mühe an ein untaugliches Objekt vergeudet
Allerdings fragt es sich, ob hier nicht zu viel Mühe an ein untaugliches Objekt vergeudet wurde. Wie kommt es bloß, dass den Zuschauer alles, was da auf der Bühne geschieht, so gnadenlos kalt lässt? Das kann nicht nur an dem schrecklichen Text liegen. Und so oder so wird dem beschriebenen grundsätzlichen Mangel nicht abgeholfen: Anders als im Fall der Bonner „Fidelio“-Inszenierung ist diesmal der ehrenwerte, wenn auch hier mit der Brechstange unternommene Versuch, Beethoven einen modernistischen Appeal zu verpassen, gescheitert.
Weitere Aufführungen: 14. Februar, 12. März, 5., 11. April