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Beethoven-Jahr beginntEine „Fidelio“-Inszenierung als Protest gegen Erdogan

Lesezeit 5 Minuten

Opernaufführung mit Statement: das Schlussbild des Bonner „Fidelio“.

  1. Zu Beginn des Beethoven-Jahres reißt Volker Lösch mit der Oper „Fidelio“ die Schranken zwischen Kunst- und realer Welt nieder.
  2. Das Stück wird auf Erdogans Türkei und die Unterdrückung der Kurden appliziert und sorgt damit für Diskussion.
  3. Wer heute den Relevanzverlust der klassischen Oper, ihren Marsch ins Museum beklagt, kann darüber zunächst einmal nur Freude empfinden.

Bonn – Der Bericht muss, weil es so etwas äußerst selten gibt, das Herz eines jeden Opernfans hochschlagen lassen: Nach einer Aufführung von Aubers „Die Stumme von Portici“ 1830 in Brüssel stürmten deren Besucher aus dem Opernhaus, um im nachmaligen Belgien eine Revolution vom Zaun zu brechen.

Erdogans Dreiviertel-Diktatur und die Unterdrückung der Kurden

Nun, eine Revolution gab es nach der Bonner „Fidelio“-Premiere nicht, aber immerhin dürften einige Besucher der Aufforderung der Regie gefolgt sein, Briefe mit Protesten gegen die deutsche Türkeipolitik an Angela Merkel und Heiko Maas zu schreiben. Politische Weiterungen dieser Opernproduktion sind allemal zu gewärtigen: Verteilten schon Aktivisten des Bonner Solidaritätskomitees Kurdistan und der „Stimmen der Solidarität – Mahnwache Köln“ vor und nach der Premiere Flugblätter, in denen sie die politische Unterdrückung und die Inhaftierung Unschuldiger in Erdogans Türkei anprangerten, so wäre es nicht verwunderlich, wenn offizielle türkische Stellen ihrerseits gegen die Aufführung protestieren – man wird sehen.

Volker Löschs gezielt auf den Beginn des Beethoven-Jahres platzierter „Fidelio“-Inszenierung widerfährt jedenfalls in diesen Stunden und Tagen, wovon die Kunstform Oper sonst nur träumen kann: Weil sie den Werkinhalt schnörkellos auf die Verhältnisse in Erdogans Dreiviertel-Diktatur, auf die Unterdrückung der Kurden und die Beseitigung demokratischer Freiheiten in der Türkei appliziert, sorgt sie für Diskussion und gesteigerte Erregungszustände.

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„Fidelio“ reißt Schranken zwischen Ästhetik und Politik nieder

Wer heute den Relevanzverlust der klassischen Oper, ihren Marsch ins Museum beklagt, kann darüber zunächst einmal nur Freude empfinden. Von daher war die vernehmbare Grummelei etlicher Zuschauer zu Beginn des zweiten Akts, die „jetzt endlich Beethoven hören“ wollten, nicht rundum verständlich. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, muss „Fidelio“ angesichts der dort verhandelten Thematik gerade heute mehr sein als ein kulinarischer Theaterabend.

Wie nun also? Lösch reißt in seiner Regie die Schranken zwischen Kunst- und realer Welt, zwischen Ästhetik und Politik, zwischen Historie und Gegenwart in einer an Theaterproduktionen der 68er Zeit gemahnenden Weise radikal nieder. Einfallstor dafür sind die Lücken, die Beethoven selbst zwischen den Gesangsnummern lässt. Den dort platzierten originalen Singspiel-Sprechtext lässt Lösch weg und versammelt stattdessen an einem Tisch fünf „reale“ türkische und kurdische Zeitzeugen – Prominentester ist der Kölner Dogan Akhanli –, die über ihre Folter- und Hafterfahrungen und die von Freunden und Verwandten in der Türkei berichten. Die Sänger sitzen zum Teil mit am Tisch, hören sich das alles an, erhalten gleichsam Impulse für ihre Rollendarstellungen. Das Publikum wird über eine Video-Leinwand zusätzlich mit touristischen Türkei-Bildern, vor allem aber mit Kriegs- und Gefängnisszenen konfrontiert, darüber hinaus mit Live-Bildern der Sängerdarsteller.

Wenn diese vom Tisch jeweils auf die labormäßig-karge, von einer halb gerundeten grünen Wand begrenzte Bühne (Carola Reuther) zurückkehren, um ihre Arien zu singen, dann gelingt dieser Übergang „von Erdogan zu Beethoven“ in der Tat ziemlich reibungslos; Pizarros und Erdogans Isolationshaftanstalten (Grün ist hier nicht die Farbe der Hoffnung, sondern der Gefangenschaft) bespiegeln einander über den Abstand der Zeiten hinweg. Dennoch funktioniert die Parallelisierung nicht vollends. Pizarro „ist“ halt nicht Erdogan, denn anders als dieser hat jener noch einen wohlmeinenden König und einen Minister über sich, dessen Ankunft im entscheidenden Augenblick in der Oper das gattungstypische Happy End herbeiführt.

Kunstcharakter des Dramas geht verloren

Und anders, als der Dramaturg Stefan Schnabel im Programmheft schreibt, ist Beethovens Spanien kein Unrechtsstaat, sondern ein Staat, in dem Unrecht geschieht. Das ist ein Unterschied. Leonores Befreiungstat löst bei Beethoven auch mitnichten jene Revolution aus, die sich bei Lösch im Lynchmord an Pizarro anzudeuten scheint.

Es mögen dies kleinliche Einwände sein, aber sie verweisen auf ein größeres Problem, das sich mit der sehens- und bedenkenswerten Produktion verbindet: Die Balance zwischen Form und Stoff verschiebt sich hier zugunsten von Letzterem, die Musik wird tendenziell auf den Status der Klangbebilderung, des Beispiellieferanten für ein politisches Debattentheater gedrückt (was auch zur Folge hat, dass das zweite große Thema der Oper, die Gattenliebe, unterbelichtet bleibt). Der spezifische Kunstcharakter des Dramas, der über den Ertrag einer Podiumsdiskussion hinausreicht, geht darüber verloren – was man um der Regieintention willen akzeptieren kann, aber nicht muss. Dieser Aspekt lässt den erwähnten Grummlern und auch den Buhrufern am Schluss dann doch noch einiges Recht angedeihen. Durch Löschs Theaterpraxis entsteht etwas Neues, ein Hybrid. Mit traditioneller Oper hat dieser „Fidelio“ jedenfalls nichts zu tun.

Abgesehen davon bleibt die Botschaft aller prinzipiellen Berechtigung zum Trotz einigermaßen platt. Vom Terror der PKK ist hier nicht die Rede, er hätte auch das Schwarz-Weiß-Bild gestört. Und wer den deutschen Flüchtlingsdeal mit Erdogan pauschal kritisiert, vergisst leicht, dass es der Widerstand der osteuropäischen Staaten ist, der eine erstrebenswerte europäische Lösung verhindert. Will man etwa, dass die AfD in Deutschland demnächst über 40 Prozent kommt? Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik – die Inszenierung macht sie wieder einmal plausibel.

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Es kennzeichnet die Produktion, dass sich die Frage nach der künstlerischen Qualität erst nachrangig stellt. Dennoch muss sie selbstredend beantwortet werden. Die Seele des Ganzen ist zweifellos das Beethoven Orchester, das unter Dirk Kaftan zu glänzender Form findet: hoch energetisch, klanglich angespitzt, aggressiv, ohne Pathosnebel. Eine Interpretation in bester Tradition historisch informierter Aufführungspraxis.

Die Sängerqualitäten sind unterschiedlich: Während die Nebenpartien (Mark Morouse als Pizarro, Marie Heeschen als Marzelline, Kieran Carrel als Jaquino, Martin Tzonev als Minister und vor allem Karl-Heinz Lehner als Rocco) durch gut entwickelte Rollenprofile überzeugen, lässt gerade das „hohe Paar“ Wünsche offen: Martina Welschenbach singt schön, aber unspezifisch – eine glanzvolle Leonore ist etwas anderes. Glatt enttäuschend ist Thomas Mohr als Florestan: ein Heldentenor alter Schule mit unangenehm gellendem Timbre und mühevollen Höhen, der die beste Zeit hinter sich zu haben scheint.

Nächste Aufführungen: 4., 16., 24. Januar, 2., 9., 15. Februar