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Peter Sloterdijk auf der phil.cologneVom lieben Gott zum AfD-Stammtisch

Lesezeit 3 Minuten

phil.Cologne 2021: Peter Sloterdijk im Gespräch

Köln – An einer Stelle wurde es sogar heikel, ja mehr als das. Von seiner Gesprächspartnerin Svenja Flaßpöhler dazu aufgefordert, stellte Peter Sloterdijk seine Kritik an der angeblich manipulativen Großmacht der zeitgenössischen Medien zunächst unter die anspruchsvolle Formel „demokratiekompatible Konsensproduktion“ – dies eine Kritikfigur, die sich sogar auf John Stuart Mill und Alexis de Tocqueville berufen kann. Dann aber wurde – für einen Augenblick – schnurstracks der Weg in Richtung Stammtisch (oder muss man schon sagen: AfD-Stammtisch?) eingeschlagen: „Wenn es um Frauen, Juden und Zigeuner geht, darf man sich keine Verfehlungen zuschulden kommen lassen.“

Beim Thema Medienmacht riecht es ein bisschen nach Skandal

In solchem Zusammenhang hätte man doch gerne gewusst, ob im Fall dieser „Kollektivsubjekte“ gewisse und – ja, auch das – medienbasierte – Tabuisierungen des öffentlichen Sprachgebrauchs nicht angezeigt, genauer: in hohem Maße rechtfertigungsfähig sind. Dazu schwieg der produktive Meisterdenker aus Karlsruhe anlässlich seines Auftritts bei der phil.cologne im Comedia Theater allerdings dröhnend.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Podiumsgespräch vom angekündigten Thema bereits weit, wie es schien, entfernt. „Wie man mit Göttern spricht“ – davon wollte Sloterdijk im Vorfeld der Veröffentlichung (9. November) seines einschlägigen neuen Großwerks handeln. Und tat das zunächst auch. Wie man erfahren konnte, geht es in dem neuen Buch nicht etwa um eine verkündigende Restitution religiöser Inhalte oder Erfahrungen, sondern um deren phänomenologische Rekonstruktion im Sinne der Aufarbeitung von etwas, dessen menschheitsgeschichtliche Relevanz immerhin außer Frage steht. Hieß eine der jüngsten Arbeiten des Philosophen „Nach Gott“, so könnte sich „Den Himmel zum Sprechen bringen“ als dessen „positive“ Kontrafaktur erweisen.

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Sloterdijks Kernthese: Religion ist im Kern nicht Dogmatik, sondern „Theopoesie“, verstanden als der Versuch, dem „schweigenden Himmel“ mit Hilfe poetischer Stilmittel „eine Falle zu stellen“ und ihn eben doch noch „zum Sprechen zu bringen“. Anhand einprägsamer Beispiele aus mythosdominierten Urzeiten – dem alten Ägypten zum Beispiel – erläuterte der Gast seine Theorie.

Genauso anregend wie diese Beobachtung war dann die Nachzeichnung des transformativen Prozesses, dem die Theopoesie als Gestalt religiöser Erfahrung in der Moderne unterliegt. Sloterdijk beschrieb ihre fortschreitende Subjektivierung („Bei Schleiermacher schreibt sich das Subjekt seine Heilige Schrift selbst“) und De-Transzendentalisierung in Richtung auf unsere Gegenwart. In deren Zug wandelt sich das „göttliche Auge“ einerseits zum „inneren Gott“ eines jeden Menschen, dann aber auch zu den hochgerüsteten Überwachungsstandards aktueller Mediengesellschaften: „Menschen stehen vor Big Data genauso nackt da wie vor Gott oder ihrem Urologen.“

Solchermaßen war der Link zwischen Theopoesie und Medienkritik dann doch noch irgendwie zu ermitteln. Und für die Produktion amüsanter und immer wieder auch erkenntnisfördernder Satzperlen ist Sloterdijk wie eh und je gut. Indes lässt das – allerdings auch durch Flaßpöhlers Fragen provozierte – assoziative Mäandern zwischen den unterschiedlichen Theorie- und Gegenstandsbereichen eine gewisse Disziplin vermissen. Sogar die Klima- und die Corona-Krise kamen „dran“ – wobei die gegenwärtig hippen Infektions- und Immunitätsmetaphern eh in vielen Sprachbildern der Veranstaltung präsent waren.

Wo aber alles diffus zusammenhängt und aufeinander verweist, breitet sich irgendwann die Nacht aus, in der alle Katzen grau sind. Und gelegentlich – sorry! – ist eine Katze (die in der zitierten Bemerkung über Frauen, Juden und Zigeuner) sogar ein bisschen braun.