Prominent verteidigtWarum ich Phil Collins noch etwas schuldig bin
- In den 80er Jahren konnte man Phil Collins kaum entkommen. Er war einfach nur da, da, da.
- Heute ist der Musiker ein Wrack. Aber so angesehen wie nie zuvor.
- Lesen Sie hier auch weitere Folgen der „Prominent verteidigt“-Kolumne.
Wann genau wurde eigentlich aus Phil Collins, einem meisterlichen Schlagzeuger und begabten Produzenten, der am meisten verachtete Mann des Musikgeschäfts? Als er im Video zu seinem weißgewaschenen Supremes-Cover „You Can’t Hurry Love“ die Rollen nicht nur von Diana Ross, sondern auch von Mary Wilson und Florence Ballard annahm? Oder als er und seine Band Genesis in viel zu weit geschnittenen Anzügen durch ihr „Invisible Touch“-Video tanzten, wie drei peinliche Onkel auf der Hochzeitsfeier?
Vielleicht war es ja auch die „sozialkritische“ Ballade „Another Day in Paradise“, mit welcher der erfolgreichste Musiker der 80er Jahre seinem Vermögen weitere Millionen hinzufügte, in dem er über Obdachlose sang?
Aber wo kamen diese Millionen denn her? Kann es sein, dass diejenigen, die Collins verachteten, nur eine kleine Minderheit waren? Der ausgerechnet all jene angehörten, die ihre Meinung in Musikmagazinen verbreiten durften? Und war deren Sozial- und Prestigeneid nicht viel peinlicher, als das ein wenig betriebsblinde Mitgefühl des Sängers?
Allerdings kann ich mich auch noch gut daran erinnern, als definitiv uncooler Teenager, der sich noch von seiner Mutter beim Jeanseinkauf begleiten ließ, jedes Mal panisch den Ausschalter zu drücken, wenn die schneidend hohe Stimme wieder aus dem Radio quäkte. Und genervt aufzustöhnen, als das altbekannte Mondgesicht während der Live Aid-Übertragung nach seinem Londoner Einsatz auch noch in Philadelphia aufging. Oder in einer „Miami Vice“-Folge mit Tapeten-artigen Schulterapplikationen und goldener Krawatte noch die schlimmsten Modesünden von Crockett und Tubbs überbot.
Man musste damals nicht erst die „Spex“ auswendig lernen, um Phil Collins zu hassen. Der Mann nervte durch schiere Überpräsenz. Jedes künstlerische Lebenszeichen von Michael Jackson war damals ein Ereignis. Was wahrscheinlich daran lag, dass Jackson immer wirkte, als wäre er erst vor zwei Minuten aus seinem UFO ausgestiegen. Aber Collins war einfach immer nur da, da, da.
Als er vor ein paar Jahren seine Rückkehr auf die Bühne feierte und dabei auch mehrmals in Köln auftrat, schlugen dem Künstler dagegen Wellen der Liebe entgegen. Nicht nur von Seiten des zahlenden Publikums. Die gesamte Presse war anlässlich von Collins' erstem Comeback-Auftritt auf dem alten Kontinent in einer Loge in der Lanxessarena versammelt. Das sind so Gelegenheiten, zu denen man sich in professionell ausgestellter Langeweile überbietet. Nicht so hier. Ausgerechnet die Musikjournalisten, seine alten Feinde, bekundeten eifrig ihre ungetrübte Verehrung für den kleinen Briten. Und als ich vorsichtig daran erinnerte, dass wir Collins in unserer Jugend doch alle ganz und gar furchtbar fanden, erntete ich nur verständnislose Blicke, die alles dasselbe besagten: Da hat wohl jemand den Schuss nicht gehört.
Seitdem trumpft jeder Artikel über Phil Collins mit einer Liste bestbeleumundeter Stars auf, die angeblich Collins verehren. Gerade konnte Phil Collins seinen 70. Geburtstag feiern, jetzt rundet sich die Veröffentlichung seines ersten Soloalbums, „Face Value“, zum 40. Mal. Gerade das klingt heute, nach der langen Entwöhnungsphase, extrem gut gealtert. Im Gegensatz zum Künstler selbst, der ist ein Wrack. Schuld sind der Alkohol, gescheiterte Beziehungen und eine misslungene Rückenoperation.
Heute weiß man, dass der Grund für Collins Allgegenwärtigkeit in den 1980er Jahren seine Unfähigkeit war, im Privatleben ähnlich gut zu funktionieren, wie im Studio oder auf der Bühne. Seine kommerziell äußerst erfolgreichen Scheidungssongs waren Hilferufe und Fluchten. Ich fühle mich heute fast schuldig, dass ich damals meine Ohren verschlossen habe, statt dem armen Mann Obdach zu gewähren.