Tarantino im Interview„Serien? Ich bin ermattet von diesen Seifenoper-Erzählungen!“
- Star-Regisseur Quentin Tarantino verfilmt in seinem neuen Film „Once upon a time in Hollywood” die bestialischen Morde der Manson Family. An diesem Donnerstag kommt er in die deutschen Kinos.
- Die Mansons brachten damals unter anderem Sharon Tate, die schwangere Ehefrau des Regisseurs Roman Polanski, um.
- Ein Gespräch über Los Angeles am Ende der 60er Jahre, seine Meinung zu Marvel-Filmen, Serien und die kiffenden Babysitterinnen, die seine Eltern früher für ihn engagierten.
- Außerdem erklärt er, warum er seinen Regie-Kollegen Polanski nicht um Erlaubnis fragte, bevor er seinen neuen Film drehte.
Mr. Tarantino, Ihr neuer Film „Once Upon a Time... in Hollywood“ ist unter anderem eine Hommage an ein irgendwie unschuldigeres Hollywood, das es so heute nicht mehr gibt. Sind Sie nostalgisch?
Die Frage höre ich nicht zum ersten Mal, aber ich bin mir da nicht so sicher. Muss man eine Sache nicht erlebt haben und sich daran erinnern, um nostalgisch zu sein? Aber wir kommen der Sache näher, wenn Sie Hollywood durch Los Angeles ersetzen. 1969 war ich sechs Jahre alt, und ich erinnere mich durchaus daran, wie meine Heimatstadt damals war. In gewisser Weise ist „Once Upon a Time ... in Hollywood“ für mich also durchaus das, was „Roma“ für Alfonso Cuarón war: ein Erinnerungsstück, ein fiktiver Umgang mit Bestandteilen der eigenen Kindheit. Ich musste mich wirklich zurückversetzen und mir vor Augen führen, wie damals die Bushaltestellen aussahen, welche Plakate in der Stadt hingen und was im Fernsehen lief.
Welche Elemente des Films sind denn zum Beispiel Ihrer eigenen Biografie entlehnt?
Ich hatte keine Schwestern, deswegen war ich nicht permanent von jungen Hippies umgeben, wie man sie im Film sieht. Aber ich hatte Babysitterinnen! Das waren Töchter von Freundinnen meiner Mutter, und sie waren alle ziemlich radikal und sahen genau so aus wie die Mädchen im Film. Wenn meine Mutter wegging, saßen sie bei uns auf dem Sofa und kifften. Und ich habe sie dann meistens verpetzt. Ein Mädchen hat besonderen Eindruck bei mir hinterlassen. Karen war ein echter Badass und ihre Aufgabe war es, mich von der Schule abzuholen. Immer wenn ein Polizeiauto vorbeifuhr, rief sie: „Fuck you, you fucking pig!“ Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Als Sechsjähriger ging ich davon aus, dass man vor Polizisten einen Heidenrespekt haben muss.
Noch präsenter als die Hippies ist in Ihrer Geschichte allerdings die Filmbranche in Hollywood. Welche großen Unterschiede zum heutigen Betrieb sind die gravierendsten?
Kinokarten kosteten damals 75 Cents. Das alleine sagt alles. Jeder konnte sich das leisten, man konnte ständig ins Kino gehen. Heutzutage werden Filme auf der großen Leinwand immer mehr zu einem Pendant von Broadway-Stücken oder Opern. Man muss für einen Kinoabend mitunter 35 Dollar hinlatzen, das überlegt man sich sehr genau. Die Zeiten, in den Kino eine Kunst war, die für alle zugänglich ist, sind vorbei.
Haben Sie insgesamt noch Hoffnung für das Kino?
Ja, ich glaube weiter daran, dass das Kino überleben wird. Und das auch nicht nur ausschließlich in der Form, die es aktuell angenommen hat, wo auf der Leinwand eigentlich nur noch Platz zu sein scheint für Science-Fiction- und Superhelden-Filme. Denn für viele Leute scheint Kino ja heutzutage synonym zu sein mit großen Blockbustern, mit Godzilla und Captain America.
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Sie klingen nicht gerade begeistert...
Ich will diese Marvel-Filme gar nicht schlechtmachen. Wären die ins Kino gekommen, als ich 27 Jahre alt war, wären sie für mich das Größte gewesen. Nur heute, mit 55, üben sie auf mich eben nicht mehr unbedingt einen solchen Reiz aus. Aber die Übermacht von solchen Filmen ist schon enorm, weswegen es auch ein echtes Risiko ist, einen Film wie „Once Upon a Time... in Hollywood“ heutzutage und vor allem im Sommer ins Kino zu bringen. Ich habe keine Ahnung, ob die Leute so einen Film noch sehen wollen. Er hat ja noch nicht einmal eine echte Handlung. Ich fand nur, dass meine Protagonisten Rick und Cliff tolle Figuren sind, mit denen ich für meinen Teil gerne Zeit verbringen wollte.
„Once Upon a Time... in Hollywood“ ist nicht zuletzt eine Verbeugung vor den Westernserien, die in den 60er Jahren im Fernsehen liefen.
Ich habe mir viele Westernserien aus den Sechzigern reingezogen und war wirklich umgehauen, wie gut die Geschichten waren, die da erzählt wurden. Was da in 47 Minuten alles passierte, war der Wahnsinn. Ganz zu schweigen von halbstündigen Westernserien wie „Westlich von Santa Fe“ oder „Wanted: Dead or Alive“. Als Drehbuchautor bin ich wirklich überwältigt, wie meisterhaft die Kollegen damals Geschichten in 24 Minuten erzählen konnten.
Gibt es heutzutage keine Serien, die Sie ähnlich überzeugen?
Alle sprechen ja seit einiger Zeit darüber, wie toll das Fernsehen heutzutage ist – und da mag auch etwas dran sein. Ich persönlich bin nur etwas ermattet von diesen großangelegten, komplexen Erzählungen, in denen alles zusammenhängt wie in einer Seifenoper. Ich finde eher nicht, dass es eine Serie auszeichnet, wenn man ihr nicht wirklich folgen kann, sollte man die erste Episode verpasst haben. Für mich macht eine erfolgreiche Serie aus, wenn ich auch erst in Folge 4 einschalten kann und zwar vielleicht einige Nuancen nicht mitkriege, aber trotzdem auf Anhieb gepackt bin.
Zum Abschluss noch kurz zu Roman Polanski, der anders als Sharon Tate noch lebt. Haben Sie ihn vorab konsultiert?
Nein, ich habe nicht um Erlaubnis gefragt, ob ich ihn und vor allem seine damalige Frau als Figuren in meinem Film vorkommen lassen darf. Ich kenne Roman ein wenig, allerdings habe ich ihn seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Aber ich wollte keine schlafenden Hunde wecken. Denn was hätte ich gemacht, wenn er negativ reagiert hätte?
Wie würden Sie es denn finden, wenn man Sie zur Filmfigur macht?
Oh, ich bin mir sicher, dass das schon viele Leute getan haben. Und so lange man mich nicht als viel zu fett darstellt, habe ich damit auch kein Problem.