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Kinostart am DonnerstagKann der neue Film von Quentin Tarantino überzeugen?

Lesezeit 6 Minuten

Eine wunderbare Freundschaft: Leonardo DiCaprio als Western-Darsteller und Brad Pitt als sein Stuntman

Im Jahr 1969 war die goldene Zeit des Western-Kinos im Grunde vorbei. Das Fernsehen hatte übernommen, genauer: Die Serie war das Medium, in dem sich die Helden von „Bonanza“, „Die Leute von der Shiloh Ranch“ oder Marshall Matt Dillon und sein schrulliger Deputy Festus Haggen in „Rauchende Colts“ einem Riesenpublikum präsentieren konnten.

Das Kino stand im Zeichen des Italo-Westerns eines Sergio Leone, der nicht bloß zahlreiche seiner Figuren, sondern gleich das ganze Genre begrub. Die Ära des Helden, des Frontkämpfers für ein weißes, christlich-gottesfürchtiges und puritanisches Amerika gehörte der Vergangenheit an.

Hochkarätige Besetzung

In Quentin Tarantinos Film „Once Upon a Time … in Hollywood“ spielt Leonardo DiCaprio den Seriendarsteller Rick Dalton, dessen Stern im Jahr ’69 langsam, aber sicher sinkt. Dass er nicht mehr so angesagt wie früher ist, merkt er spätestens dann, als er nur noch ein Angebot für einen Italo-Western erhält. Am Set gibt ihm eine erst achtjährige Mitspielerin obendrein eine altkluge Einführung ins Method Acting: Dalton hat allen Grund zu fluchen und seinen Ärger in reichlich Whiskey zu ertränken.

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In dieser nicht nur äußerst witzigen, sondern auch anrührenden Begegnung zwischen dem Mädchen und dem Star – oder dem, was vom einstigen Star übrig geblieben ist, nämlich ein ziemlich aufgeplusterter, eingebildeter und unfreiwillig komischer Wicht –, in dieser Szene also spitzt Tarantino zu, was den gesamten Film durchzieht: „Once Upon a Time“ zitiert zwar zwei Filmtitel von Sergio Leone und gibt sich ausführlich als Hommage Tarantinos an den Western, die Serie und das Kino überhaupt. Doch viel wichtiger ist die Zeitenwende, an der er spielt. DiCaprios Rick Dalton und auch sein von Brad Pitt dargestellter Stuntman Cliff Booth sind Auslaufmodelle, zwei amerikanische Biedermänner, zu deren Lebensstil teure Autos, Zigaretten, Alkohol und ein großes Macho-Ego gehören, doch eine neue Epoche ist bereits angebrochen, und deren Requisiten sind Joints, Schrottkisten und Love& Peace.

Schmuckes Anwesen

Dieses Phänomen spielt Tarantino in seinem fast drei Stunden dauernden, weniger erzähltem als vielmehr assoziiertem Film in mehreren Variationen durch. Zwar kann sich Dalton noch ein schmuckes Anwesen am Cielo Drive leisten, doch die Attraktion in den Hollywood Hills ist längst nicht mehr er – nebenan sind nämlich Roman Polanski und Sharon Tate eingezogen, der genialische Meisterregisseur aus Polen und die schönste Frau der Welt.

Das Paar ist nicht nur gänzlich desinteressiert an seinem einstmals berühmten Nachbarn, es führt darüber hinaus ein Bohème-Leben, das sich in seiner Verträumtheit fundamental von Daltons Wild-West-Attitüde unterscheidet. Margot Robbie sorgt in dieser Hinsicht für den schönsten Moment in „Once Upon a Time“, wenn sie an einem strahlenden kalifornischen Nachmittag als Sharon Tate ins Kino geht, um dort einen Film anzuschauen, in dem tatsächlich Sharon Tate mitspielt. Die Verzückung, die in ihrem Blick liegt, das verzauberte Lächeln im Angesicht ihres Alter Ego auf der Leinwand, darin offenbart sich tatsächlich die wunderbarste Liebeserklärung ans Kino, die sich denken lässt. Dem Kino hat Tarantino mit all seinen Filmen ein Denkmal gesetzt. Seit seinen Anfängen als Angestellter in einer Videothek hat er sich ein stupendes Filmwissen angeeignet, aus dem er als Autor und Regisseur nicht bloß zitierend schöpft – er verwandelt es sich an, mal unübertrefflich wie in „Pulp Fiction“, mal berserkerhaft wie in „The Hateful Eight“.

Huldigung an Los Angeles

Mit „Once Upon a Time … in Hollywood“ aber huldigt er auch dem Ort, der wie kein anderer für das Kino steht: L.A. 1969, das ist für ihn erkennbar der größte Abenteuerspielplatz, den man sich vorstellen kann. Hier kreuzt Brad Pitt im himmelblauen Cabrio über die Boulevards, und wie durch ein Wunder rauscht er in dieser gigantischen Siedlungscollage an immer derselben Gruppe von Hippiemädchen vorüber, die dem nicht mehr ganz jungen, aber immer noch knackigen Stuntman neckisch zuwinken. Auch hier wieder ein Zusammentreffen der Generationen, ein Knirschen im Gebälk der Zeit: Auf ihren Wegen begegnen sich der Repräsentant des alten Hollywood und die Blumenkinder zwar, doch haben sie niemals ein gemeinsames Ziel.Mit der Manson-Family schließlich führt Tarantino ein weiteres Motiv ein, über das er zur dämonischen Kehrseite von Love & Peace gelangt.

Die Manson-Family

1969 ist bekanntlich das Jahr, in dem Mitglieder der Sekte um Charles Manson mehrere Morde begingen, denen auch die hochschwangere Sharon Tate zum Opfer fiel. Damit schlägt Tarantino dramaturgisch zwar den Bogen zu seinem schillernden Traumpaar in der Villa am Cielo Drive, historisch aber hebt er gegenüber den tatsächlichen Ereignissen in einer Weise ab, wie wir dies aus seinen Rachefantasien „Inglourious Basterds“ als Kino-Revision der Nazigeschichte und „Django Unchained“ über die amerikanische Sklaverei kennen. Man kann es größenwahnsinnig finden, wie Tarantino die Historie neu erfindet, aber wie könnte ein Regisseur größeren Mut beweisen als durch die größtmögliche Freiheit, die er sich als Herr über seine Geschichten und Bilder herausnimmt?

Bei alldem ist „Once Upon a Time … in Hollywood“ eine zu Herzen gehende Geschichte einer Freundschaft, die offenbar schon uralt ist und zwei denkbar unterschiedliche Charaktere vereint: Hier der hyperaktive, ewig plappernde und blasierte Di Caprio als Rick Dalton, dort der wortkarge, gutmütige Pitt als Cliff Booth, der nicht nur Stuntman, sondern Mädchen für alles ist. Er kutschiert Dalton herum, repariert dessen Antenne auf dem Dach und lässt sich auch dann nicht aus der Ruhe bringen, wenn Rick die schlichten Sätze seiner Schurkenrolle im Western wieder und wieder vergisst. Vielleicht übertreibt es Tarantino, wenn er Rick Daltons Serienauftritte ausführlich ins Geschehen einflicht, doch vermutlich müssen in einem epischen Film auch solche Passagen episch sein.

Margot Robbie als Sharon Tate auf dem Weg ins Kino

Dass Tarantino auf seinem Weg durch das Hollywood des Jahres 1969 auch alte Haudegen wie Bruce Dern aufliest, dass er in einer famos aufgekratzten Szene an Bruce Lee erinnert und zu Steve McQueen aufblickt, dass er Filme wie Peckinpahs „Ride the High Country“ und Roy Rogers „The Golden Stallion“ zitiert, das versteht sich fast von selbst. Doch so bunt und quecksilbrig er das alte Los Angeles wiederaufleben lässt, es liegt stets ein Hauch von Melancholie über dem Film. Es ist ein wildes, tolles, durchgeknalltes Märchen, das Tarantino erzählt. Once upon a time.

Once Upon a Time ... in Hollywood USA 2019, 165 M., R Quentin Tarantino, D Leonardo DiCaprio, Brad PittTarantino widmet dem alten L.A. von 1969 eine wunderbare Liebeserklärung, wie auch dem Western, vor allem aber fängt er eine Zeitenwende ein.