Rammstein traten am Samstagabend im Berliner Olympiastadion auf – so reagierten Fans und Demonstranten nach den Missbrauchsvorwürfen.
Rammstein in BerlinWie eine Parallelwelt für ihre Party kämpft
War da etwas, oder reicht da schon ein Bier, ein Bass, um die Dinge wieder einzurenken? Ist das hier, Olympiastadion, 65.000 Fans, eine Gerichtsverhandlung oder doch schon wieder ein Konzert? Und vielleicht die wichtigste der Fragen: Ist Till Lindemann im Herzen böse, oder ist er es nur von Berufs wegen? Natürlich gibt es keine Antwort, doch es gibt Lieder, die wie Schüsse von Kanonenbooten klingen. Und da sind Sätze aus den Songs, die unters Mikroskop gelegt werden: „Fressen und gefressen werden“, „Bestraf mich!“.
Es ist Samstagabend, im Grunde könnte man zu Hause sitzen und sich die zweite Tüte Chips holen. Stattdessen sitzt man bei der Band, dem in Verruf geratenen Unternehmen Rammstein, das wie eine gut geölte Firma mit dem Feuer und dem Bösen spielt. Und wenn der Abend eingeäschert und beendet wird, kurz vor 23 Uhr, zieht man Bilanz. Ja, es gibt eine Vermisstenliste: Sie spielten nicht mehr „Pussy“, das Lied, zu dem sie die Kanone auf die Bühne schoben, aus der sie Sperma schossen. Natürlich war es irgendwie Konfetti, aber es ist deutlich, was gemeint war. Und auf den Monitoren dieser Riesenshow zwischen den Stücken gab es keine Bilder mehr von jungen Frauen, die auf den Schultern ihrer Männer sitzen, vor der Bühne, und ihre nackten Brüste zeigen. Das ist vorbei. Die Fans, die vor der Bühne stehen, werfen mit Ballons in Form von roten Herzen.
Es gibt keine After-Show-Party nach dem Konzert, sie ist vom Senat verboten worden
Es gibt keine After-Show-Party nach dem Konzert, sie ist vom Senat verboten worden, und es gibt wieder Tickets für die Show am Dienstag, dem dritten Auftritt der Band, nachdem es wochenlang geheißen hat: Alles ausverkauft! Gingen Tickets zurück?
Die Bühne ist das Kapital der Band, Scheinwerfer, die wie eine helle, gnadenlose OP-Lampe über der Bühne hängen. Man könnte nicht behaupten, dass die Band etwas im Dunkeln lässt, rein von der Wattzahl her ist das die Nacht des Jahres auf Berliner Konzertbühnen. Jeder Lidstrich von Lindemann, jeder Faltenwurf ist hier zu sehen, zumindest auf den Monitoren. Dennoch hüllt sich diese Band in ein Geheimnis, das als dunkel gelten muss.
Sie schweigen, und sie sind doch laut: Zunächst das „Rammlied“, nachdem sie einen Ball aus Feuer zünden, es knallt, und immer noch ist rein moralisch unklar, ob man so viel Munition mit ins Olympiastadion nehmen sollte, dem alten Bau der Nazis, die ihre Perversion ins rechte, sehr rechte Licht rücken wollten. Um den Gedanken auszuräumen, Rammstein seien Kinder der Propaganda-Filmemacherin Riefenstahl, gleich als zweiten Song das Stück: „Links 2–3–4“. Ist hier politisch jemand rechts? Rechts ist im Zweifel immer nur der nächste Bierstand.
Die Leute sind treu. Jedenfalls die Leute, die gekommen sind und ihre Tickets nicht zurückgegeben haben. Nach 90 Minuten eine kleine Pause, der Hauptteil dieses Abends ist gespielt, gedonnert, geschrien, die Band macht sich jetzt fein für ihre Zugabe. Kameras zeigen auf Schilder im Publikum, „Wir halten zusammen, wir halten euch die Treue“, oder „Ohne euch wollen wir nicht sein“.
Jedesmal ein Stoß von Jubel durch das Stadion, wenn eines dieser Schilder auf dem Monitor gezeigt wird. Was sagt die Band dazu? Nichts. „Danke, Berlin!“, ruft sie am Ende. Sie bleiben sich treu. Interviews gab es so gut wie nie, auch früher nicht. Sie mögen keine Fragen. Sie geben Antworten, je lauter, desto besser. Diese Antworten sind dehnbar, sie knallen in den Ohren, sie klingen abgelesen aus dem Alten Testament.
Feuer, immer wieder Feuer. Es kommt zur Geltung, wenn der Abend dunkel wird, zeitlich wird das eingeläutet mit dem Lied „Du hast“. „Willst du bis der Tod euch scheidet, treu ihr sein für alle Tage? Nein! Nein!“ Till Lindemann schießt mit einer künstlichen Pistole in den Himmel, eine Feuerbahn zieht ihre Kreise, die Stelen im Stadion spucken Feuer. Jetzt geht es nicht mehr um Musik. Sondern um die Überwältigung. Jetzt können sie erzählen, was sie wollen, gegen die Kraft der Elemente findet man kein Argument. Doch sie erzählen nichts. Auch nicht zu den Protesten, die vor dem Stadion, wenn man von der S-Bahn kommt, nicht zu finden sind.
Ja, es gibt erneut den riesengroßen Kinderwagen auf der Bühne, wenn sie ihr Stück „Puppe“ singen. Der Wagen steht in Flammen. Und wieder kann man so was furchtbar finden. Und ja, es gibt den großen Kessel, Flake steigt hinein, der Keyboarder, der seine Radioshow beim RBB verloren hat, weil er keine Stellung zu möglichen sexuellen Übergriffen des Sängers Lindemann bezog. Lindemann kommt mit dem Feuerwerfer, um Flake im Kessel zu kochen.
Das Feuer ist ein Fetisch dieser Band, es ist heiß, es ist gefährlich, doch es wärmt. Und es schlägt die Gegnerinnen und Gegner in die Flucht. Wenn man musikalisch denkt, bleibt unterm Strich: laut und kernig, wie es den Fans gefällt. Wenn man gesellschaftlich auf diesen Abend blickt, zeigte sich eine Parallelwelt, die für ihre Party kämpfte. Auch wenn es nichts zu feiern gab. Die Band hatte gesungen. Doch sie hätte reden sollen. Leise. Ohne Reime. Dezidiert. (Lars Grote/ RND)