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Im Juli in NRWWarum die Rolling Stones noch ewig so weitermachen können

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Die Rolling Stones in München  

München – Ihre aktuelle Europa-Tournee haben die Rolling Stones die „Sixty Tour“ getauft, denn am 12. Juli 1962 traten Mick Jagger und Keith Richards zum ersten Mal unter diesem Namen auf. Das war im Londoner Marquee Club, damals schrieben sie sich The Rollin’ Stones, mit Apostroph. 60 Jahre im selben Unternehmen. Wer hätte gedacht, dass das mal Rock’n’Roll sei?

Das erste Deutschland-Konzert der „Sixty Tour“ hatten die greisen Buben jetzt im Münchener Olympiastadion gegeben und es wurde in allen Medien als das große Ereignis gefeiert, welches es zweifellos auch war.

Als Jagger und Richards auf die 60 zugingen, wurde jeder ihrer Auftritte von einem Meinungsstück begleitet, in dem die Frage erörtert wurde, wann man denn nun endgültig zu alt fürs Rockgeschäft sei. Ein 60-Jähriger, der noch auf der Bühne herumhampelt wie ein junger Hahn, das werde doch langsam hochnotpeinlich.

Mick Jagger vorm Weihnachtsbaum

Damals ahnte noch niemand etwas von Mick Jaggers Instagram-Account (2,5 Millionen Follower, da ist noch Luft nach oben), auf dem der Sänger wie ein Papp-Aufsteller seiner selbst vor saisongerechten Hintergründen oder touristischen Ausflugszielen posiert: Jagger vor Weihnachtsbaum, Jagger vor holländischer Windmühle, beim Flamenco-Abend in Madrid und im Münchener Biergarten, eine Maß hebend. „A Mogens, Prost“, grüßt der Sänger. Macht keinen Sinn, aber diese Filme und Bilder sind sowieso übersinnlich. Eine ikonische Figur wie Jagger wirkt in jeder Umgebung, als hätte man ihn mittels Photoshop hereinkopiert.

Aber ich schweife ab. Nächstes Jahr werden Jagger und Richards 80, Ron Wood, das Küken der Band, hat gerade seinen 75. Geburtstag gefeiert und Charlie Watts, ihr wunderbar stoischer Schlagzeuger, ist vergangenes Jahr im Alter von 80 Jahren gestorben. Das wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, aufzuhören. Stattdessen stolziert Jagger über weitausgreifende Laufstege durch Fanmassen und hüpft aufgeregt zu den offenen Akkorden seines lebenslangen Frenemys Keith Richards, als hörte er diese zum ersten Mal, als wäre die Welt sein Trampolin. Muss das sein?

Die Rockmusik ist tot

Die Antwort lautet: selbstverständlich. Die Rockmusik ist ein totes Genre. Nennen sie mir doch mal eine aktuelle, junge Rockband. Die sich nicht anhört, als spielte sie schlicht die Schallplatten ihrer Eltern (Großeltern?) nach, falls sie Greta van Fleet vorschlagen wollten. Doch je verwester – oder zombiefizierter – die Rockmusik erscheint, desto altersloser wirkt ihre unbestritten beste Band.

Das beantwortet auch die Frage, warum sich Menschen, die jeweils eine halbe Milliarde Dollar auf ihrem Konto geparkt haben, noch den Zumutungen einer Stadiontour unterziehen: Etwas Besseres als den Tod finden sie überall. In Madrid, München oder Gelsenkirchen.

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Auf diese Weise sind die Rolling Stones so etwas wie ein lebendes Denkmal geworden, die zunehmende Verwitterung mindert nicht den künstlerischen Wert. Man kann sie auch als lebende Installation betrachten, die zwar nicht auf der Documenta, dafür jedoch auf Schalke zu erleben ist (am 27. Juli, es gibt noch Karten).

Und als wüssten sie das selbst am besten, spielen die Rolling Stones auf dieser Europatour zum ersten Mal überhaupt ihr 56 Jahre altes Stück „Out of Time“ live. „You’re obsolete, my baby/ My poor old fashioned baby/ I said, baby, baby, baby, you’re out of time“, singt Jagger da.

Innere Stimme oder Drogenflashback?

Obsolet, das waren die Rolling Stones spätestens Anfang der 1980er, zirka nach „Tattoo You“ (1981). Seitdem existieren sie außerhalb der Zeit, als Wiederholung des Immergleichen, die nur deswegen nie langweilig wird, weil man nie so ganz genau weiß, wann und wie Richards oder Wood in die Saiten greifen werden. Die geschlamperten Gitarristen folgen entweder inneren Stimmen, Drogenflashbacks, oder einem Zufallsprinzip à la John Cage.

Wenn aber dann ein Akkord erklingt, war es mal wieder der exakt richtige Moment. Es ist dieses Paradox von Erwartbarkeit und Ereignis, das die Rolling Stones so einmalig macht. Das kann noch ewig so weitergehen.