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Die Ärzte in KölnZwischen Pogo und Nostalgie – drei Boomer auf Versöhnungsmission

Lesezeit 5 Minuten
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Farin Urlaub von den Ärzten beim Konzert im Kölner Rheinenergie-Stadion.

Köln – „Wie viele Konzerte habt ihr letztes Jahr gesehen?“, fragt Farin Urlaub in das Rund des Rheinenergie-Stadions und lässt seinen ewig blonden Schopf über die Silhouetten der knapp 50.000 Fans schweifen. Wie auch immer die Antwort im Einzelfall ausfällt, Farin Urlaub verspricht: „Wir machen das alles wieder gut!“ Auch wenn sich nach dem Konzert die Frage stellt, wie viel die Ärzte uns heute noch zu sagen haben – versöhnlich war der Auftritt der selbsternannten „besten Band der Welt“ in jedem Fall.

Einige Fans mussten wegen organisatorischer Probleme beim Einlass in den Innenbereich quälend lange warten, als die Band schon losgelegt hat. Doch das war schnell vergessen, als Farin Urlaub nach einer Viertelstunde breit grinsend die ersten Akkorde von „Lasse redn“, die alte Hymne gegen kleinbürgerliches Spießertum, anstimmt und eine Welle der Nostalgie durch das Stadion schwappt. Zehntausende grölen jede Zeile mit und spüren: Die Ärzte können es immer noch.

Die Welt hat sich weitergedreht

Was lässt sich noch sagen zu einer Band, die die letzten Jahrzehnte deutscher Popmusik so stark geprägt hat, wie Die Ärzte? Vielleicht das: Musikalisch hat sich die Band im Prinzip kaum verändert. Nur die Welt um sie herum hat sich weitergedreht.

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Harte Gitarrenriffs von Farin Urlaub, rollende Bässe, seit 1993 von Rodrigo González und krachige Drums von Bela B. Mit spielerischem Witz ergänzt durch den ein oder anderen Ausflug in den Pop – das Konzept funktioniert 1980 genauso wie 2022. Auch die neuen Songs auf den Alben „Hell“ und „Dunkel“, die in den letzten beiden Jahren nach langer Bandpause erschienen sind, fügen sich da nahtlos ein. In Köln spielen sie einen Mix aus neuen und alten Liedern. Einen Unterschied bemerkt man kaum, höchstens noch an der Textsicherheit des Publikums.

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Die Ärzte nahmen ihre Fans in Köln mit auf eine nostalgische Reise in ihre BRD-Jugend.

Ihre Fans feiern die Ärzte aber vor allem wegen den selbstironischen Texten, den Pennäler-Gags und Blödeleien und ihrer klaren Kante gegen Rechts. Über Jahrzehnte kämpften sie gegen Spießigkeit, Rassismus und Homophobie.

Positiv formuliert: Die Ärzte sind sich treu geblieben und haben mit ihrer Musik dazu beigetragen, die graue bundesdeutsche Realität ein bisschen bunter und toleranter zu machen.

Vom Bürgerschreck zum Klassensprecher deutscher Popmusik

Dramatisch verändert hat sich dadurch die öffentliche Wahrnehmung der Band: In den 80er-Jahren wurden Songs wie „Geschwisterliebe“ indiziert. Radiostationen weigerten sich , die Anti-Nazi Hymne „Schrei nach Liebe“ zu spielen, weil dort das Wort „Arschloch“ vorkommt. Mittlerweile tritt die Band in der Tagesschau auf und erklärt Moderator Ingo Zamperoni, wie stark die Musikbranche durch die Corona-Pandemie gebeutelt wurde. Vom Bürgerschreck zum Klassensprecher deutscher Popmusik – auf die Ärzte können sich mittlerweile alle einigen.

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Ärzte-Schlagzeuger Bela B. in Aktion beim Konzert im Kölner Stadion.

Das zeigt sich auch im Publikum: Den Großteil des Publikums bilden Familienväter und -Mütter mit Kindern auf den Schultern, außerdem schwangere Frauen, die sich zwischendurch eine Pause auf den Sitzschalen der Arena gönnen. Sie alle schunkeln gemeinsam zu einer Band, die genau weiß, wie eine Stadionshow funktioniert. Die Ärzte jedenfalls haben sichtlich Freude daran, ihr alterndes Publikum an ihre Jugend zu erinnern.

Mit dem Schlachtruf „Was für ein Schwachsinn“ treibt Farin Urlaub eine La-Ola-Welle durch das Stadion. In den Songpausen zwischen „1/2 Lovesong“ und „Manchmal haben Frauen“ liefern sich Bela B. und Farin Urlaub Loriot-hafte Dialoge. Zwischendurch spielen sie „Satisfacton“ von den Rolling Stones an. „Denen ist ja ganz egal was wir spielen“, witzelt Farin Urlaub dann.

Ganz unrecht hat er damit nicht. Das Publikum in Köln ist dankbar für jeden Akkord der Band, mit der ein Großteil der Menschen hier erwachsen geworden ist. Doch erst beim großen Finale, als Die Ärzte nach zweieinhalb Stunden endlich „Schrei nach Liebe“ anstimmen, entlädt sich all die nostalgische Energie in einem Pogo.

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Auf dem neuen Album „Dunkel“ gibt es mit „Doof“ so etwas wie eine Neuauflage von „Schrei nach Liebe“. Auch „Doof“ spielen Die Ärzte am Samstagabend. „Nazis sind Nazis, weil sie Nazis sein wollen/ Und meine Oma hat den Grund dafür gekannt/ Doof bleibt doof/ Da helfen keine Pillen, nicht beim allerbesten Willen“ singt Farin Urlaub dort.

Boomer-Humor vom Feinsten.

Die Aussage bleibt die Gleiche, wie vor 29 Jahren: wer rechts wählt ist bescheuert. Damals traf die Band damit einen Nerv. Heute, unter den Vorzeichen endloser Debatten um den bedrohlichen Rechtsrutsch in Europa, kann man sich schon fragen, ob es sich Die Ärzte damit nicht ein bisschen einfach machen.

Onkelhaft wird es außerdem, wenn Farin Urlaub dem Publikum offenbart „Ich habe ein neues Genre kennen gelernt: Hip-Hop!“ Und das Publikum dann dazu animiert zu „Ich, am Strand“ „Yo, Yo“ zu skandieren. Auch wenn das natürlich alles ironisch gemeint ist: Hier hantiert die Band mit Klischees über Rap, die vielleicht 2005 mal lustig waren. Und eignet sich damit eine Musikkultur an, die sie offensichtlich nicht verstanden hat: Boomer-Humor vom Feinsten.

Sei´s drum. Selbst wenn Die Ärzte vielleicht nicht mehr die Popmusik neu erfinden werden, schaffen sie es, ihre Fans in Köln auf eine nostalgische Reise in ihre Jugend zu entführen. Und stellen unter Beweis, dass es auch in der Gegenwart kaum eine bessere Live-Band gibt. Das ist schon viel.