Salzburger FestspieleZum Auftakt ermüdend langwieriger, esoterischer Kitsch
Salzburg – Salzburg ist eine Welt für sich. Jedes Jahr, wenn der Zug über die Salzach Richtung Bahnhof rollt und das atemberaubende Panorama der barocken Stadt sichtbar wird, macht sich das Gefühl breit, dass die Probleme der Welt vor diesem Ort Halt machen. Im ersten Pandemiejahr spielte Salzburg unverzagt und mit speziellem Hygiene-Konzept, auch im zweiten gaben die Festspiele alles, was Vorschriften, Impfkontrollen und Reisebeschränkungen hergaben.
In diesem Jahr nun sollte alles fast normal sein, keine Maskenpflicht mehr, nur noch eine Empfehlung, volle Platzauslastung und Gastronomieangebot. Aber nun wütet mitten in Europa ein Krieg und wirft für die Kunst einige ganz neue Fragestellungen auf. Schon die Auftaktpremiere birgt Konfliktstoff. Denn mit der Realisierung des Doppelabends mit Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ und Carl Orffs „De temporum fine comoedia“ betraute Intendant Markus Hinterhäuser Regisseur Romeo Castellucci und Dirigent Teodor Currentzis, beide zählen seit seinem Amtsantritt zum Kern seiner Dramaturgie.
Mit Teodor Currentzis steht ein „Problemfall“ im Graben
Mit Currentzis steht aber nun ein „Problemfall“ im Graben, denn seine Ensembles werden von der russischen VTB-Bank finanziert, die auf westlichen Sanktionslisten steht und Currentzis schweigt sich bisher aus. Dennoch hält Hinterhäuser an ihm und seinen Ensembles fest und argumentiert clever, aber abwiegelnd.
Tatsächlich stehen dann vor der Premiere eine Gruppe lautstarker Protestler auf der Seite der Schaulustigen in der Hofstallgasse. Aber sie protestieren nicht gegen den Auftritt von Currentzis, sondern krakeelen nur zum Auftritt von Politikern, wie etwa beim Eintreffen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Im riesigen Saal der Felsenreitschule wird es dann dunkel, sehr dunkel. Der Kegel einer Taschenlampe tastet sich durch die Nacht, es ist Teodor Currentzis, der zu seinem Arbeitsplatz schleicht. Wenn die Lampen im Orchestergraben wieder leuchten, brandet der erste demonstrative Applaus für ihn auf. Das Thema Currentzis ist in Salzburg kein Thema.
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Womit wir bei der Kunst wären, die problematisch genug ist an diesem Abend. Was nicht an Currentzis liegt, der gewohnt energetisch und effektsicher dirigiert, Bartóks spätromantischer Partitur irisierende Farben entlockt und Orffs perkussive Wucht präzis steuert. Sondern an Regisseur Romeo Castellucci, der sich offenbar zunehmend für letzte Dinge zuständig fühlt.
Nun verklammert er recht mutwillig zwei Werke, die miteinander eigentlich nichts zu tun haben. Bevor der erste Ton erklingt, hört man aus der Ferne Babygeschrei, dann ist plötzlich Stille. Und dann hört man eine Frauenstimme verzweifelt schreien. Judith, die Frau, die jenem mysteriösen Herzog auf seine dunkle Burg folgt und von ihm fordert, sieben geheimnisvolle Türen zu öffnen, ist bei Castellucci keine Frau, die besessen ist von toxischer Liebe, sondern eine durch Kindesverlust Traumatisierte. Damit kassiert er Bartóks abgründige Liebesgeschichte zugunsten eines rätselhaften, mit bedeutungsvollen Symbolen und Metaphern hochgerüsteten Geschehens, das sich vor einer rabenschwarzen Stoffwand vorwiegend im Dunkeln vollzieht. Immer wieder entzünden sich von Geisterhand Flammen an metallenen Körpern, mal eine Säule, dann ein großer Kreis, oder das Wort „Ich“, das sich im Wasser spiegelt, das den Boden bedeckt.
Castellucci verschenkt ein einmaliges Bühnenambiente
Der schwarze Stoff wird den ganzen Abend über die archaische Arkadenwand der Felsenreitschule verbergen, womit Castellucci ein einmaliges Ambiente einfach verschenkt. Als Blaubart und Judith sind Mika Kares und Ausrine Stundyte zwischen den Feuer- und Wasserzeichen oft nur schemenhaft zu erkennen. Kares singt sonor und wohltönend, Stundyte setzte ihren hochdramatischen Sopran bis auf einen expressiven Ausbruch sparsam und schlank ein, Currentzis hat das Gustav Mahler Jugendorchester bestens im Griff.
Nach der langen Umbaupause öffnet sich wiederum ein schwarzer Raum, doch nun entern mit dem musicAeterna Chor und zwei weiteren Salzburger Chören die Massen die Bühne. Orffs Opernoratorium ist ein mit spärlichem musikalischem Material arbeitendes Spiel vom Weltuntergang mit herber Klangsprache, das den Chören Schreien und skandiertes Sprechen abverlangt und die Schlagwerker rotieren lässt. Es gibt keine Handlung, am Anfang beschwören neun Sibyllen das Ende der Welt, dann übernehmen die larvenartig sich aus dem Boden quälenden Choristen, sowie Lucifer (Christian Reiner).
Carl Orffs karge Partitur hämmert religiöse Bekenntnisse
Orffs karge Partitur hämmert repetierend religiöse Bekenntnisse, Orakelsprüche und Büßerformeln, Cindy Van Acker choreografiert die Massen zu Überwältigungs-Tableaus. Es wird gebetet, ein Totempfahl wird errichtet und eine Frau wird gesteinigt (Judith?). Und am Ende bittet Lucifer Gott um Verzeihung, bei Castellucci aber gemeinsam mit Judith und Blaubart, die wiederkehren.
Das Ganze erweist sich mehr und mehr als ermüdend langwieriger, esoterischer Kitsch mit einer sehr fragwürdigen Rückbesinnung aufs Archaische. Wenn nämlich demütig sich unterwerfende Orff’sche Massen (Er)-Lösung anbieten.
Musikalisch und technisch ist das alles perfekt und zielt auf Überwältigung. Trotz düsterer Botschaft zeigt sich das Publikum begeistert und feiert den Weltuntergang, Currentzis und sogar den offenbar spirituell erleuchteten Regisseur.