Schauspiel-Intendant Stefan BachmannWie spielt man in der Pandemie?
- Seine Aufführung von Elfriede Jelineks neuem Stück kann Stefan Bachmann nur vor jeweils 42 Zuschauern am Abend zeigen.
- Im Interview spricht der Intendant des Kölner Schauspiel darüber, auf welche neuen Wege ihn die Coronakrise zwingt.
- Bachmann glaubt, dass es für die Besucher auch Vorteile hat, wenn Theater für sehr wenige gemacht wird.
Köln – Stefan Bachmann, ihre deutsche Erstaufführung von Elfriede Jelineks neuem Stück „Schwarzwasser“ war die erste Premiere, die vergangenen März abgesagt werden musste. Jetzt haben Sie eine Corona-Fassung der Produktion herausgebracht – für jeweils nur 42 Zuschauer ...
Das war die einzige Möglichkeit, das Stück doch noch herauszubringen, sonst hätte ich es begraben müssen. Und am Ende hat es der ganzen Sache sogar gutgetan. Ich fand es befreiend, es auf diese spezielle Weise zu machen. Es hat mich an die schönen alten Off-Theaterzeiten erinnert, wo man noch selber Hand angelegt hat. Für „Schwarzwasser“ habe ich mich zum Guerillero im eigenen Haus gemacht, habe ganz leise unter der Zuschauertribüne geprobt, während ein Kollege schon auf der großen Bühne arbeitete. Das sind eben die Einschränkungen: Wir hatten nur eine Woche Zeit.
Sie haben die Zuschauer in Sechsergruppen aufgeteilt und sie gleichsam, wie in einem Karussell zu den Schauspielern geführt, die Sie in verschiedenen Ecken des Hauses vereinzelt hatten.
Wie auf Inseln gestrandet
Ich konnte die Inszenierung, die vor Corona entstanden ist, nicht mehr machen, also habe ich sie fraktalisiert. Ich weiß, dass es solche Sachen schon gegeben hat, aber für mich war das Neuland. Die Idee war es, diese Krise poetisch auf die Spitze zu treiben und damit einen postapokalyptischen Zustand zu schaffen, in dem man in entlegenen Winkeln und an ungewöhnlichen Orten im Theater dem einen oder anderen Schauspieler begegnet. Die Figuren sind wie auf Inseln gestrandet.
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Sie hat die Krise also sogar beflügelt!
Mich deprimiert die Corona-Krise schon sehr und stellt mich vor existenzielle Überlegungen. Aber sie zwingt einen auch, künstlerisch neue Wege zu gehen. Die Perspektive der Regisseure und Schauspieler mit denen ich rede, ist gerade eine sehr optimistische, sehr produktive. Im Depot 2 haben wir den Raum auf den Kopf gestellt, da sitzt das Publikum um das Spielgeschehen herum, im Depot 1 haben wir bei „Warten auf Godot“ die Bühnensituation umgedreht, bei mir jetzt der Parcours. Kunst kann viele Hindernisse überwinden.
Ist es da nicht schade, dass das nur so wenige Zuschauer das erleben können?
Es wird in dieser Spielzeit weniger Aufführungen für weniger Zuschauer geben. Wir haben lange diskutiert und uns dazu entschlossen, lieber behutsam zu beginnen. Die Zuschauer sollen sich sicher fühlen. Wir wollen auch das Foyer nicht zu voll machen. Deswegen wird es auch keine parallelen Vorstellungen geben. Aufgrund der Kurzarbeitersituation haben wir die technischen Mannschaften nicht in gewohntem Umfang zur Verfügung. Wir können nicht mehr vormittags eine Produktion proben, dann umbauen und abends eine andere Produktion spielen. Wir sind im Moment stark eingeschränkt, und das geht allen anderen Theatern im deutschsprachigen Raum genauso.
Viele zögern noch mit dem Kartenkauf
Wenn ich Karten bekommen will, muss ich mich also beeilen?
Der Druck ist momentan nicht so, dass wir jede Vorstellung fünfmal ausverkaufen könnten. Viele Leute zögern noch. Es ist durchaus interessant, Theater für wenige zu machen, das Erlebnis für den einzelnen Zuschauer wird natürlich exklusiver. Man ist näher an den Sachen dran, es wird sehr wertvoll. Auf Dauer müssen aber schon wieder mehr Zuschauer ins Theater gehen dürfen.
Kann sich das im Laufe der Spielzeit noch ändern?
Bei der nächsten Premiere, Ersan Mondtags Inszenierung von Jelineks „Wut“, kommt zum ersten Mal wieder unsere Zuschauertribüne zum Einsatz. Wir prüfen gerade einen Saalplan mit schachbrettartiger Bestuhlung. Dabei wären immer noch zwei Plätze zwischen jedem Zuschauer frei, aber wir könnten jede Reihe, statt nur jede zweite besetzen, eben diagonal versetzt. Dann hätten wir 180 bis 200 Zuschauer statt der möglichen 480, also rund 40 Prozent der üblichen Platzkapazität. Der Bühnenverein schlägt 50 Prozent bundesweit vor, da finde ich 40 Prozent vertretbar.
Was glauben Sie, werden wir irgendwann alles, was jetzt gespielt wird, unter das Stichwort „Corona-Theater“ subsumieren?
Viele Texte hören wir jetzt unter der Präsenz des Themas natürlich anders, aber es geht auch darum, uns künstlerisch und inhaltlich von dieser Krise zu emanzipieren und andere Horizonte zu öffnen.