Das Kölner Schauspiel zeigt Tennessee Williams' Klassiker „Die Katze auf dem heißen Blechdach“. Aber warum nur?
Schauspiel KölnWenn das Drama der Queerfeindlichkeit nach Mottenkugeln riecht
Am Ende, wenn das Licht bereits verloschen ist, gibt Maggie, die Katze, eine Zugabe. Gerade hatte sie Brick, das gefallene Sport-Ass, ins Ehebett abgeführt wie einen ertappten Dopingsünder, jetzt kehrt sie auf den ins Publikum führenden Laufsteg zurück, um ihren zentralen Monolog, die wichtigsten Sätze des Stückes, nachzuholen. Sie singt auf Englisch, in ihrer Heimatsprache, sie schreit, als wolle sie ihren pinken Nachtfummel übertönen, von den schönen, schwachen Menschen, die jemanden brauchen, der ihnen ihr fortgeworfenes Leben zurückgibt, und davon, dass sie gewillt ist, dieser jemand zu sein, dass es nichts Entschlosseneres gäbe, als eine Katze, die sich zum rettenden Sprung entscheidet.
Regisseur Bastian Kraft beginnt den Abend mit einem Sprung ins Ungewisse
Am Ende scheint auch Regisseur Bastian Kraft den Mut gefasst zu haben, noch einmal etwas Ungewöhnliches zu wagen, nachdem der mit einem Sprung ins Ungewisse begonnene Abend seiner dramatischen Auflösung entgegen geplätschert war. Knapp zwei Stunden zuvor hatte sich Brick an Krücken mühsam auf dem langen schmalen Steg nach vorne gearbeitet, finster entschlossen, nichts und niemanden an sich heranzulassen, ewig gegen die Strömung des Laufbands anzugehen. Maggie schlich ihm nach einer Weile hinterher, vorsichtig den einen Fuß vor den anderen setzend, nörgelnd wie eine vor der Zeit gealterte Ehefrau und beschwörend wie ein Mentalitätscoach, der einen an Leib und Seele verletzten Sportstar aus der Sinnkrise zu führen versucht.
Das Laufband ersetzt im Depot 1 des Schauspiels Köln das großbürgerliche Ambiente, in dem Tennessee Williams seinen Klassiker „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ spielen ließ, jenes Stück über ein sterbendes Familienoberhaupt und seinen zerrissenen Klan, das Williams‘ Ruhm sicherte und bereits kurz nach der Uraufführung mit Paul Newman und Elizabeth Taylor in den Hauptrollen verfilmt wurde. Selten war Hollywood so aristotelisch: Die Figuren verlassen nie die Bretter der drei Drameneinheiten, belauern einander auf engsten Raum im Erb- und Ehestreit und tigern im Käfig ungelöster Konflikte umher. Kraft bringt das auf eine gerade Linie, die von Nadin Schumacher entworfene Bühne ist halb Catwalk und halb gebauter Ausdruck dafür, trotz ständiger äußerer Bewegung nicht vom Fleck zu kommen.
Aus Dialogen werden frontal ins Publikum gesprochene Monologe
Aus Dialogen werden so frontal ins Publikum gesprochene Monologe. Während Maggie ihren Ehemann umgarnt, schaut dieser stur ins Publikum – und lässt die Distanz zwischen beiden unendlich erscheinen, während die Livebilder auf den monumentalen Leinwänden links und rechts des Bühnenstegs das Gegenteil behaupten. Auf den Teleobjektiv-Aufnahmen rücken die Figuren eng zusammen, sie sitzen einander buchstäblich auf der Pelle und rammen die Köpfe gegeneinander. Im Grunde ist diese Piscator-hafte Erweiterung des psychologischen Theaters genauso altbacken wie die Südstaaten-Schauerromantik in Williams‘ Stücken. Aber sie ist deutlich besser gealtert.
Vermutlich fiele es selbst in Tennessee heute schwer, eine Figur wie Brick (wahrhaftig) zu finden: Einen Mann, der alles hat und alles wegwirft, weil er seine Homosexualität versteckt hält und lieber eine Lüge lebt, als mit seiner großen Liebe wegzugehen (die andere, von Williams angedeutete Möglichkeit, dass Brick darüber zum Alkoholiker wird, dass er fälschlicherweise der Homosexualität bezichtigt wird, ist eher theoretischer Natur). In den 1950er Jahren war das nichts als Realismus, im Köln des Jahres 2024 wirkt diese ausweglose Konstellation dagegen weit hergeholt.
Für dieses offenkundige Problem fand Kraft eine auf den ersten Blick bestechende Lösung, eine Lösung zumal, die in der Hauptfigur selbst angelegt ist. Bei Williams ist Brick ein ehemaliger Quarterback, dem eine große Karriere prophezeit wurde, bevor er sich dem Alkohol ergab; Nikolaus Benda spielt ihn in Köln wie einen Profifußballer, dem mal wieder die Nerven versagten und der nach einer schmählichen Niederlage Fans und Reportern Rede und Antwort stehen soll.
Mit Tunnelblick und poldihaft gepresster Artikulation holt Benda die schillernde Newman-Figur auf den Boden der vorabendlichen Sportschau-Tatsachen zurück. Er ist eine Sportskanone mit Ladehemmungen, ein etwas tumber Typ und vor allem das Produkt eines Sportsystems, in dem Homosexualität weiterhin ein Tabuthema zu sein scheint. Im Faltblatt zur Aufführung steht, was als dramaturgisches Heureka des Abends gelten kann: „Besonders der professionelle Männerfußball ist nach wie vor von einem Klima latenter bis offener Queerfeindlichkeit geprägt.“ Ein wahrer Satz. Aber wem jagt das Schicksal deutscher Fußballmillionäre wohl Furcht und Mitleid ein?
Für einen Akt ist das alles interessant genug. Man schaut Lisa-Katrina Mayer mit nur allmählich nachlassender Faszination beim ewigen Anschleichen zu, und das klug abgestimmte Zusammenspiel aus Rollband, Live-Übertragung und monotoner Musikbeschallung treibt die Seelendynamik zwischen den verhinderten Eheleuten Brick und Maggie unablässig an. Zu den anderen Figuren fällt Kraft dagegen kaum mehr ein, als sie durch ihr Gangarten zu definieren. Andreas Leupolds Big Daddy schreitet stets tatkräftig voran und steht so breitbreinig an der Rampe, als wollte er einen Abgrund unter seinen Füßen überbrücken. Da auf dem Catwalk menschliche Interaktion weder möglich noch gewünscht ist, hat Leupold nur sich selbst als Gegenüber; seine beste Minute kommt, als sich Big Daddy selbst eingestehen kann, dass er sterben muss.
Ansonsten trippelt Katharina Schmalenberg als ebenso gebärfreudige wie giftige Schwiegertochter im Umstands-Petticoat umher, während Johannes Beneckes Gooper allenfalls andeuten darf, wie er zu seinem stets bevorzugten jüngeren Bruder steht. Wurden die vertiefenden Sätze gestrichen oder standen sie schon bei Williams nicht im Skript? Das Laufband hatte sich schon lange zuvor totgelaufen; im klärenden Gespräch zwischen Brick und seinem Vater liegen beide am stillstehenden Boden, während sich die Decke über ihnen bedrohlich senkt. Im Kleiderschrank ist es eng, wir haben es begriffen. Schade nur, wenn es darin nach Mottenkugeln riecht.