Vor seinem Wechsel ans Wiener Burgtheater blickt Stefan Bachmann auf Höhepunkte und Tiefschläge aus elf Jahren Schauspiel Köln zurück.
Scheidender Schauspiel-Chef„Vermissen werde ich ganz viel an Köln, aber nicht die KVB“
Stefan Bachmann, jetzt ist es soweit, Sie hocken auf gepackten Koffern Richtung Wien, Richtung Burgtheater. Ein gutes Gefühl?
Stefan Bachmann: In sentimentalen Momenten überlege ich mir schon, ob das jetzt die richtige Entscheidung war. Aber dann sage ich mir: Ich kann ja gar nicht hierbleiben, es kommt ja ein Neustart am Offenbachplatz. Ich bezweifle, dass ich nach all den Jahren in Mülheim die richtige Person bin, um das mit der gebotenen Neugierde, Frische, Unbefangenheit und Begeisterung zu machen. Das würde ich mir nicht glauben. In Mülheim ist ein Theater entstanden, wie es kein zweites gibt. Da kann ich nicht behaupten: Jetzt wird es erst so richtig toll! Ich bin dankbar, dass es genau diese 11 Jahre geworden sind. Und dadurch, dass es so erlebnisreich war, fällt der Abschied so schwer – und ist gleichzeitig unausweichlich.
Lassen Sie uns nochmal an den Anfang zurückkehren. Was waren ihre Träume, ihre Wünsche und Erwartungen an die Stadt, als Sie vor zwölf Jahren die Zusage für Köln bekommen hatten?
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Wenn ich zurückschaue, denke ich, dass sich die Welt in diesen zwölf Jahren noch viel mehr verändert hat, als ich mich selbst verändert habe. Also habe ich damals in einer anderen Welt gelebt, habe anders auf das Theater geschaut. Köln war eine der wenigen größeren Städte, in denen ich noch nie als Regisseur gearbeitet hatte. Ich kam aus Österreich und dachte mir: Jetzt bist du in der Mitte von Deutschland angekommen. Ein Deutschland, das einen eher miefigen Geruch hatte. Es gab, ob ich jetzt im Kulturdezernat oder beim Oberbürgermeister war, Filterkaffee aus Kännchen und der stand auch immer auf einem Häkeldeckchen. Und es roch gefühlt überall nach Kölnisch Wasser, was mich immer an meine deutsche Oma erinnerte. Köln war für mich retro, die 50er Jahre sind hier irre präsent, die Beschäftigung mit Riphahn, dem Architekten der Oper und des Schauspiels, hat dazu noch beigetragen. Ich war auch ziemlich irritiert von der Autofahrerkultur in der Stadt und ihrer mangelhaften Infrastruktur.
Das klingt nach einer Enttäuschung.
Ich finde diese Art von Auseinandersetzung gehört zu einer Beziehung dazu. Über Zürich, die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, würde ich noch viel kritischer reden. Lokalpatriotismus ist mir fremd, aber das ist natürlich genau das, womit man in Köln als erstes konfrontiert ist. Ansonsten hatte ich die naive Erwartung, zwei Spielzeiten Zeit zu haben, um mit der Stadt warmzuwerden – und dann an den Offenbachplatz zurückzuziehen. Damit hatte mich Georg Quander, der damalige Kulturdezernent, gelockt und damit hatte ich alle Menschen, die mit mir nach Köln gegangen sind, überzeugt.
Wo Sie das auf zwei Jahre angesetzte Interim verbringen würden, war Ihnen also gar nicht so wichtig?
Doch, mir war wichtig, diese zwei Jahre nicht einfach als Übergangszeit zu sehen, sonst hätte ich zu ganz anderen Möglichkeiten ja gesagt. Die kleine Halle Kalk war einer dieser Vorschläge, aber das hätte mir nicht gereicht. Ein Theater von der Bedeutung des Schauspiel Köln braucht drei Spielorte.
Sie haben das Depot eine Wellblechdose in Kackbeige geschimpft. Wenn man heute draufguckt, vergisst man leicht, was für ein Unort das anfangs war.
Das ganze Gelände hier war komplett leergefegt, es fühlte sich extrem nach Stadtrand an. Uns trieb die nackte Angst, die Zuschauer nicht motivieren zu können, hierhin zu kommen. Der Ort war aus sich selbst heraus nicht attraktiv, da mussten wir besonders gute Gastgeber sein. Das führte zur Idee des Gartens und auch der Gastro im Anbau.
Die Idee zum Carlsgarten kam von Ihrer Frau, Melanie Kretschmann?
Da gibt es unterschiedliche Narrative: Thomas Laue erzählt gerne, sie wäre aus der Überlegung heraus entstanden, dass wir hier draussen verhungern würden und also unser eigenes Gemüse anbauen müssten. Aber Melanie hatte sich schon länger für Urban Gardening-Kultur interessiert und sie hat sich dann in die Materie reingekniet, hat Kontakt mit den Leuten von den Berliner Prinzessinnen-Gärten aufgenommen. Die haben uns erstmal ausgelacht, weil sie dachten, da schminkt sich ein Theater schnell ein grün-alternatives Image auf. Jetzt gibt es kein Kompendium in der Urban-Gardening-Szene mehr, dass ohne den Carlsgarten auskommt, es ist ein richtiges Vorzeigeprojekt geworden. Und eine starke Metapher für unsere Arbeit.
Jetzt gibt es in Köln eine ganze Generation, die sich kein Theater ohne Garten vorstellen kann.
Wir haben buchstäblich Samen auf Asphaltplatten geworfen und aus denen haben sich Pflanzen entwickelt, die sich in die Ritzen hineingegraben und so festgehalten haben, dass dieses Projekt unsere Kölner Zeit überdauern wird. Ich glaube, wir konnten mit dem Carlsgarten auch punkten, weil Köln sonst wenig Plätze mit Aufenthaltsqualität hat. Jetzt kommen hier Leute hin, mit Handy und Reiseführer in der Hand, weil es der Garten auch in Touristen-Guides geschafft hat, als ein urbaner Höhepunkt in Köln.
Vor elf Jahren haben Sie mir erzählt, dass Sie wieder die großen Geschichten erzählen wollen. Ist das in der Rückschau so passiert?
Ich glaube, dass wir dem Anspruch gerecht geworden sind. Wenn ich nur mal meine Inszenierungen betrachte, könnte ich den Bogen von „Genesis“ bis zu „Akıns Traum“ spannen, also vom ersten Buch Mose bis zur gesamten Geschichte des Osmanischen Reiches. Da löst sich der Anspruch, große Weltgeschichte zu erzählen, ein. Mittlerweile haben wir durch die Netflixisierung die Fähigkeit zurückgewonnen, große Narrationen zu verfolgen. Aber 2012, 2013 war man doch noch sehr stark von Dekonstruktionsbewegungen geprägt. Oder nehmen Sie als Kontrastformat „Die Lücke“, wo es um eine große Erzählung aus der Nachbarschaft geht, das Nagelbombenattentat, das für diesen Bezirk und die Menschen, die betroffen waren, von enormer Bedeutung ist.
„Die Lücke“ war wohl die folgenreichste Premiere Ihrer ersten Spielzeit?
Ja, das war der Gamechanger, gekoppelt an das Birlikte-Fest. Da ging die Saat nach einer sehr holprigen ersten Spielzeit zum ersten Mal richtig auf.
Der Anfang war nicht leicht ...
Wir sind an den Bedingungen unserer zugigen und zu großen Halle gescheitert. Der Funke wollte lange nicht überspringen. Aber „Die Lücke“ ist 100 Prozent aufgegangen. Das war ein sehr emotionaler Beitrag zu einem Verhältnis hier im Bezirk, dass bis dahin von Misstrauen, Abgrenzung und Vorurteil geprägt war. Und dass sich dann in ein Gefühl von Gemeinsamkeit verwandelt hat, dass Mülheim wirklich ein Teil von Köln ist. Danach fing es an, besser zu werden hier auf dem Gelände. Und das hat uns in dem Moment, da wir erfuhren, dass wir noch in Mülheim bleiben werden, sehr geholfen.
Sie sprechen von der geplatzten Eröffnung am Offenbachplatz 2015 ...
Das war eine unfassbare Frustration. Viele hatten die Zähne zusammengebissen, mit der Aussicht auf die Rückkehr. Als die zusammenbrach, war die Verzweiflung groß. Wir haben uns dann mit allen Gewerken an einen Tisch gesetzt und überlegt: „Wie überleben wir das Interim?“ Jede Abteilung hatte fünf Minuten zur Verfügung, um zu sagen, was für sie am schlimmsten ist im Provisorium. Die Maske, die Eimer mit Wasser zum Bühnenrand tragen musste, um die Schauspieler abzuschminken. Die Schauspieler, die sich auf dem Stahlbetonboden die Gelenke ruiniert haben. Der fehlende Aufenthaltsraum, die Sammelgarderoben, es hat sich von allen Seiten aufgehäuft. Wir haben dann überlegt, was wir selbst gelöst kriegen, wo Investitionen möglich sind. Eigentlich haben sich die Mitarbeiter ihr Theater dann selbst gebaut. Wir sind in dieser Halle komplett unabhängig von irgendeiner architektonischen Ästhetik, sie ist eher eine Villa Kunterbunt, genauso wild gewachsen wie der Garten davor.
Welche Inszenierungen der vergangenen elf Jahre sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Sehr viele: „Die Lücke“ habe ich ja schon erwähnt, aber es gab ja eine ganze Serie von Nuran-David-Calis-Inszenierungen, die sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Türkei-Deutschland auseinandergesetzt haben. Ansonsten: den installativen Ansatz von Robert Borgmann mit „Segen der Erde“ fand ich spannend. Die Bühnenbilder von Olaf Altmann haben das Theater verändert. Für „Geschichten aus dem Wienerwald“ hat er zum ersten Mal eine Drehscheibe in diese Halle hineingesetzt. Nach „Hamlet“ hatten wir ein Portal und einen roten Vorhang, Materialien, die wir immer wieder verwendet haben. Dadurch wurde das Depot 1 wieder mehr zum Guckkastentheater, das war wichtig, weil die Möglichkeiten der Halle irgendwann erschöpft waren. Dann fand ich die Castorf-Abende ganz toll. Vor allem „Ein Heldenleben“ mit dem Nachbau von Clärchens Ballhaus. Das war eine spektakuläre Aufführung.
Die nur zweimal zu sehen war, dann kam Corona.
Ja, das war sehr bedauerlich. Luk Percevals „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ hat mich berührt und der „Hiob“ von Rafael Sanchez. Auch sein „König Lear“. Moritz Sostmanns „Der gute Mensch von Sezuan“ war toll, aber am besten fand ich seine Inszenierung von Lars Noréns „3.31.93“, wie da die Puppen in diesem großen Raum mit den Schauspielern interagierten, diese Kombination eines realistisch-psychologisch schreibenden Autors mit dieser Kunstform, das war irre. Und für mich als Regisseur war „Johann Holtrop“ ein Höhepunkt.
Gab es eigene Arbeiten, mit denen sie unzufrieden waren?
Einige auf jeden Fall. Aber ich will nicht sagen, welche …
Wo wir schon Summen ziehen: was waren die glücklichen Höhepunkte ihrer Intendanz?
Das Birlikte-Fest. Die „Geschichten aus dem Wienerwald“, weil das künstlerisch auf ein Niveau gekommen ist, wo ich dachte, jetzt sind wir wieder da, wo wir hingehören. Wie während Corona durch unsere digitalen Geschichten supercoole Sachen entstanden sind. Immer wieder im Desaster die Möglichkeiten zu sehen, das klingt nach Unternehmensstrategie, aber in Köln hat sich ein Team herauskristallisiert, das genauso agiert. Krisen hatten wir viele, aber wir haben auch wahnsinnig gern zusammengearbeitet, weil wir uns selbst als so krisenfest erlebt haben.
Was uns zu den Tiefpunkten bringt, denn die gab es doch auch?
Das war zuerst mal die Pressekonferenz im Sommer 2015. Da war ich angezählt, fühlte mich vollkommen überrumpelt und unfassbar doof. Wie naiv ich dieses Fähnchen hochgehalten habe und diese Propagandalüge verbreitet habe, dass das alles auf einem guten Weg sei. Ich wusste zwar nicht, dass das eine Lüge ist. Aber warum habe ich mich da so instrumentalisieren lassen? Dann der Artikel im „Spiegel“ 2018, die Machtmissbrauchvorwürfe, das hat mich schwer getroffen und auch das ganze Theater verletzt. Es hat allerdings einen Prozess in Gang setzt, der am Ende viel Gutes kreiert hat.
Was haben Sie denn aus der „Spiegel“-Affäre denn Positives gelernt?
Sicher eine große Sensibilisierung gegenüber einem grundsätzlichen Wandel. Ich hatte in einer festen Vorstellung gelebt, wie Theater zu funktionieren hat, hatte die künstlerische Seite an meiner Position betont und in zu geringem Maße die betriebliche. Ich hatte gedacht, dass man dabei komplett verspießt oder zumindest künstlerische Kraft einbüßt. Aber Betriebsführung bedeutet eben, sich täglich der Verantwortung zu stellen, genau in den Betrieb reinzuschauen und Dinge, die nicht gut laufen, zu verändern. Letztlich war das die Entscheidung: Entweder ich lerne das jetzt oder ich werde wieder freier Regisseur.
Gibt es noch andere Lektionen, die sie aus Köln mitnehmen?
Ich komme aus der Regie und habe meine eigene Vorstellung von Theaterästhetik. Die basiert sehr darauf, künstlerisch und handwerklich die höchste Virtuosität anzustreben. Durch diesen Ort und seine Verbindung mit der Keupstraße habe ich gelernt, dass andere Theaterformen – mit mehr Partizipation, mit Laienspiel – eine andere Art der Begegnung mit einer Stadt ermöglichen. Etwa so ein Projekt wie die Next Generation. Das hat nichts mehr von, bei uns dürfen auch Menschen mit Behinderung Theater spielen, sondern das hat eine völlig eigene Qualität. Da gab es beim Abschlussabend einen Text aus dem Sommernachtstraum, den habe ich noch nie so gut gehört. Also, das habe ich gelernt. Und dass ein Theater einen Garten braucht, damit es attraktiv ist.
Jetzt wechseln Sie vom prekären Dauerzustand ans Burgtheater, der Theaterinstitution überhaupt. Was können Sie da überhaupt anwenden?
Also das mit dem Garten wird schwierig, weil alles rund um die Burg denkmalgeschützt ist. Ich habe mich schon erkundigt, ob man die kurz gemähten Wiesen vor dem Burgtheater nicht etwas diverser bepflanzen könnte. Bis jetzt ist jeder Vorschlag abgeprallt. Das sehr große Direktorenbüro mit dem repräsentativen Balkon werde ich auflösen und in einen Gemeinschaftsraum verwandeln. Vielleicht kann man auf dieser Terrasse einen kleinen Garten pflanzen. Das sind Symbole, um zu zeigen, dass wir ein Stück weit von diesen repräsentativen Gepflogenheiten und tradierten Hierarchien weggehen wollen.
Was werden Sie an Köln, jetzt meine ich die Stadt, vermissen, was nicht?
Vermissen werde ich ganz viel: Menschen, Orte, auch eine Form von Flair und freundlicher Gesinnung und Mentalität. Köln ist mir schon nahegekommen. Was ich auf keinen Fall vermissen werde? Die KVB.