„Mülheim mon amour“ hieß die große Abschiedsshow, mit der sich Kölns Schauspiel-Chef Stefan Bachmann nach Wien verabschiedet.
Gala im Depot 1Schauspiel-Chef verabschiedet sich mit Seitenhieb auf Henriette Reker aus Köln
Last but not least, hallt die Stimme von Martin Reinke durch das Depot 1, begrüße man heute Abend die stets abwesende Henriette Reker. Die Oberbürgermeisterin blieb dem Theater ihrer Stadt in den elf Jahren des Mülheimer Interims fern. Stefan Bachmann beklagte sich nie, jedenfalls nicht öffentlich. Bis jetzt. Zum Abschied aus Köln gönnte der Intendant sich und seinem Team eine ausufernde, berührende, mal alberne, mal todernste Gala mit dem bezeichnenden Titel „Mülheim mon amour“, ein bisschen Nachtreten inklusive.
Die Liebe ist groß, manche Wunde indes noch offen. „Es war ein Albtraum“, rekapitulierte Bachmann im Gespräch mit Thomas Laue, seinem ehemaligen Chefdramaturgen, die Ereignisse des Sommers 2015, als er seinen Urlaub abbrechen musste, um übernächtigt und missgelaunt zusammen mit der damaligen Opernintendantin Birgit Meyer als Leidtragende des Baustellendebakels vorgeführt zu werden: „So sehr wie ein Idiot habe ich mich noch nie gefühlt.“
Die Pressekonferenz zur gescheiterten Baustelle am Offenbachplatz wird noch einem nachgespielt
Die desaströse Pressekonferenz lässt der scheidende Schauspiel-Chef in einem bitterlustigen Re-Enactment nachspielen, im stilechten Kaffeekännchen-Ambiente städtischer Verlautbarungen. Sabine Waibel gibt die hilflose Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach. Die weist die Schuld an der gescheiterten Sanierung genauso weit von sich, wie alle anderen Stadtoberen – der noch amtierende OB Jürgen Roters blieb der Veranstaltung einfach fern. Aber ihr törichter Ausspruch vom „Oberverantwortungshut“, den sie nicht trage, ist in Köln zum geflügelten Wort geworden.
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Ein unbegrenztes Interim im Carlswerk: Das klang 2015 noch wie das Höchststrafmaß. Thomas Laue empfängt seine Gäste im Depot 1 wie sein berühmter Vornamensvetter auf einem geschwungenen Sofa, übrigens auch ähnlich gewitzt. Es gibt Einspielfilme und Shownummern, die Gäste fahren mit lustigen Gefährten auf die Bühne. Es gibt sogar eine Außenwette, in der Justus Meier begeistert durchs leere, verstaubte Haus am Offenbach turnt und verwegen darauf tippt, dass das Schauspiel noch am selben Abend eröffnet wird: „Schlüsselübergabe möglicherweise durch die OB.“
Doch die Geschichte, die Bachmann in dieser Gala unbedingt noch einmal erzählen will: Wie man in Mülheim aus widrigen Bedingungen – keine Duschen, keine Kantine, drinnen Gelenke-schindender Stahlbetonboden, draußen postindustrielle Wüstenei – eine Oase der Kultur geschaffen hat. Moritz Sostmann, langjähriger Hausregisseur, ist vom Innenhof der Berliner Schauspielschule Ernst Busch zugeschaltet. Er fasst die ersten Jahre im Depot bündig zusammen: „Es hat gestunken und gekracht, und wir haben Kunst gemacht.“
Und mehr als das. Auch Meral Sahin von der IG Keupstraße und das Ensemble von „Die Lücke“ nehmen auf dem Sofa Platz. Erzählen noch einmal, wie allein gelassen sie sich von der Stadt im Nachgang des Nagelbombenanschlags fühlten, wie wenig auch als Teil Kölns akzeptiert. Bis die neuen Nachbarn vom Schauspiel Köln auf sie zugingen, bis Regisseur Nuran David Calis ihre Geschichte, so wie sie diese erlebt haben, auf die Bühne brachte. „Die Lücke“ ist seit 2014 genau 200-mal aufgeführt worden und sie wird auch zur kommenden Spielzeit im Repertoire bleiben, wenn Rafael Sanchez für ein Jahr die Intendanz übernimmt.
Im Carlsgarten ist keine Pflanze illegal
Dann singt der betriebseigene Chor „Get Lucky“, es wird gequizzt, es werden elf Monologe aus elf Inszenierungen in elf Minuten vorgetragen. Chefdramaturg Thomas Jonigk stellt Import-Export-Kollektiv und Old School vor, Melanie Kretschmann noch einmal ihren Carlsgarten, die grüne Visitenkarte des Hauses: „Bei uns ist keine Pflanze illegal.“
Als Thomas Laue spät am Abend noch eine Überraschung ankündigt, zuckt Stefan Bachmann nervös. Sie entpuppt sich als freundlich-ätzender Monolog, den Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek eigens zur Begrüßung des Burgtheaterintendanten geschrieben hat, „der jetzt zu meinem Glück, zum Pech von Ihnen, zu mir in meine Stadt kommt“. Jörg Ratjen trägt ihn meisterlich vor, in hellblauem Badeanzug und mit Jelinek-Perücke. Das Publikum ist ehrlich ergriffen. Bachmann hat es die Sprache verschlagen, er muss erstmal zum Wasserglas greifen.
Dann ist es Zeit, die pathetische Abschiedsstimmung ein letztes Mal zu brechen: Justus Meier verkündet Schampus spritzend die Eröffnung des Offenbachplatzes – und Henriette Reker kommt doch noch, wird von Rafael Sanchez auf einem motorisierten Schwan auf die Bühne kutschiert. Ach nein, es ist nur Anja Laïs im Kostüm. Aber was heißt hier nur? Laïs gibt eine glänzende OB ab, selbst wenn die nicht hundertprozentig weiß, wo sie sich gerade befindet, nur dass sie gleich zum nächsten Termin eilen muss.
Schon Bachmanns Vorgängerin Karin Beier hatte sich mit einem speziell für Köln verfassten Jelinek-Text und reichlich Spott für die Lokalpolitik verabschiedet. Beim nächsten Mal wird das dann Tradition. Im Depot 1 bleibt der Pseudo-Reker noch Zeit für ein letztes Walzertänzchen mit dem scheidenden Intendanten. Dann setzt sich Bachmann zur Band von Sven Kaiser und singt – nicht schön, aber aufgewühlt – ein Lied von Hildegard Knef: „In dieser Stadt kenn‘ ich mich aus/ In dieser Stadt war ich mal zuhaus.“