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„Scream“-RevivalWarum dieser Klassiker des Horrorfilms einfach nicht totzukriegen ist

Lesezeit 5 Minuten

Jenna Ortega als Opfer des Maskenmörders

Köln – Dieser Horrorfilm kann aus zwei Gründen akute Magenschmerzen verursachen. Erstens, weil hier so viele Menschen abgestochen werden und so viele Stiche wie noch nie knapp oberhalb der Gürtellinie treffen – wobei die Klinge gerne sicherheitshalber in den Eingeweiden gedreht wird. Dass etliche Charaktere trotzdem ziemlich munter weiterkämpfen und -stechen, widerspricht zwar allem, was wir über die Jahre im cineastischen Anatomiegrundkurs gelernt haben, wo die Opfer von Magentreffern angesichts ihres unausweichlichen Todes mitleidig angesehen wurden. Aber hey, dies ist das 21. Jahrhundert, vielleicht sind gerade Frauen resistenter geworden; noch resistenter, sollte man sagen, da Frauen in der „Scream“-Reihe stets taffer und widerborstiger waren als die Männer.

Der zweite Grund für abdominale Schmerzen beim Zuschauer ist eher grundsätzlicher Art. Sie betreffen die Frage nach der Existenz dieses Film: Brauchen wir wirklich „Scream 5“? Die kurze Antwort – Nein! – könnte jede Diskussion im Ansatz stoppen. Aber das wäre letztlich ungerecht gegenüber dieser bahnbrechenden Kinoserie, die sich einen beachtlichen Rang in der Hall of Fame des Horrorgenres geschnitzt hat.

Die neue Geschichte variiert viele Details des Originals. Im kleinen Nest Woodsboro treibt schon wieder ein Serienmörder sein Unwesen, fast elf Jahre nach Teil vier. Noch ehe die Frage beantwortet werden kann, ob seine Edvard-Munch-Maske den Regularien eines FFP2-Mundschutzes entspricht, hat der schwarzgewandete Todbringer mehrmals zugestochen. Fortan fragen sich die Teenager dieses Städtchens, wer der Mörder ist – und wie das alles passt in die Logik der „Stab“-Reihe, jener Film-im-Film-Serie, die die wahren Metzeleien in Woodsboro in Horror-Geschichten fürs Kino ummünzte. Das alles gehört seit jeher zu jener Meta-Ebene der Reihe, in der das Geschehen live reflektiert wird und Schlauschlümpfe diskutieren, wer laut Kino-Regeln als nächste(r) dran glauben müsste.

Ohne die alten Helden geht es in „Scream 5“ nicht

Die Tatsache, dass die Film-im-Film-Blutsauger längst bei „Stab 8“ angekommen sind und ein paar grässliche Änderungen des Mythos vorgenommen haben, was viele Hardcore-Fans echt wütend gemacht hat, ist einer der hübschesten Gags von „Scream 5“ – der gegen Ende dann sogar inhaltlich von Belang ist. Auch lustig: wie das erste Opfer „Stab“ abwertet und den Blick lieber auf kleine Kino-Schocker wie „The Babadook“ (2014) oder „Hereditary“ (2019) lenkt. Der Neuigkeitsfaktor von „Scream 5“ ist dagegen niedrig, fast möchte man notgedrungen hinzufügen, denn die Filmgeschichte hat gezeigt, dass nur die wenigsten Fortsetzungen etwas taugen, wenn sie sich zu weit vom Original lösen.

Weil die neuen, jungen Charaktere die Sache nicht in den Griff bekommen, eilen die drei Überlebenden der Teile I bis IV herbei: Dewey Riley (David Arquette), der langjährige, etwas tölpelige Sheriff von Woodsboro; die TV-Karrieristin Gale Weathers, die Deweys Hinterwäldler-Charme liebt; und natürlich Sidney Prescott (Neve Campbell, die deutlich natürlicher gealtert ist als Courteney Cox), eine unsterbliche Scream Queen, wie es nur wenige gegeben hat. Neues Blut trifft also auf Vermächtnis, oder Legacy, wie es neuerdings auch hierzulande oft heißt – im Film wird der schöne Begriff „Requel“ für dieses Zusammentreffen erfunden.

Auch Neve Campbell kehrt zurück

Man kann es negativ formulieren und sagen, dass die neuen Gesichter keine Chance haben gegen die Veteranen; oder positiv feststellen: Auch 25 Jahre nach dem ersten Teil füllen die drei Kernfiguren die Handlung mit Leben. Das ist vermutlich das ultimative Lob für das erste Drehbuch von Kevin Williamson, der Mitte der 1990er die beiden ersten Schocker schrieb und nicht bloß „Halloween“ oder „Freitag, der 13.“ abkupferte. Da war mehr. Der ursprüngliche „Scream“ handelte von der Sucht nach Ruhm, Teil zwei von der Bürde dieses Ruhms, der leicht dazu führte, berüchtigt zu sein. Der Autor schuf Charaktere, mit denen man alt werden wollte – ein Gedanke, der mit den Gesetzen des Horrorfilms kaum vereinbar ist und deutlich macht, wie außergewöhnlich Williamsons Ansatz war.

Er hatte das Glück, einem Visionär des Schreckens zu begegnen: Wes Craven hatte der Filmhistorie schon zwei Standardwerke des Genres beschert, als er bei „Scream“ an Bord kam. 1972 hatte er die Filmwelt mit „Last House on the Left“ schockiert (zu Deutsch besonders fein: „Mondo brutale“), einer rüden Variante von Ingmar Bergmans „Jungfrauenquelle“. 1984 erfand Craven den Stahlkrallen-Rowdy Freddy Krueger, der in die letzte private Zone der Menschen eindrang: die Traumwelt, wo er allerhand schutzlosen Wesen den Schlaf und nicht selten das Leben raubte.

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Kein Wunder also, dass Craven und Williamson zusammen noch einen Schritt weitergingen und 1996 die Traum- und Film- mit der Realität-im-Film-Ebene vermischten. „Scream“ spielte gewieft mit den Erwartungen der Zuschauer, legte falsche Fährten und verhandelte zugleich den Einfluss des Kinohorrors auf die Realität. Ein naheliegender Schritt, aber bis dahin hatte ihn noch niemand derart radikal gewagt. So brillant und spielerisch das Script war, so dringend notwendig war Regisseur Craven als ordnende Hand: Er fand die perfekte Mixtur aus Entertainment und Reflexion, aus Oberfläche und Tiefenschärfe, aus Horror, Humor und Romantik. Und um sicher zu gehen, dass seine Schöpfung nicht so banalisiert wurde wie die „Nightmare“-Filme, drehte er die Teile zwei bis vier selbst.

Craven verstarb 2015, nicht bevor er sogar noch eine TV-Serie von „Scream“ entwickelt hatte. Hollywood wiederum hatte kein Interesse daran, die Kinoserie sterben zu lassen. Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett, die die Regie von „Scream 5“ übernommen haben, sind Fans des Originals, sie würden es nie verraten. Allerdings besitzen sie weder die Eleganz noch Cravens szenisches Talent, um Momente zu kreieren wie den Einwegscheibenhorror in „Scream 2“. Am Ende bleibt ein fünfter Teil, der es fertig bringt, respektvoll, brauchbar und ziemlich überflüssig zu sein. Und die Drohung, dass Hollywood bis sechs zählen kann.