AboAbonnieren

Singspiel „Scherz, List und Rache”Goethe macht sich locker in Leverkusen

Lesezeit 5 Minuten

Auf der Probe zu „Scherz, List und Rache“ im Leverkusener Erholungshaus

  1. Die Oper „Scherz, List und Rache“ nach einem Libretto von Johann Wolfgang von Goethe und mit der Musik Philipp Christoph Kaysers wird im November im Bayer-Erholungshaus in Leverkusen aufgeführt.
  2. Ein Probenbesuch.

Leverkusen – Eine Oper nach einem Goethe-Libretto; eine Oper zudem, die in engstem persönlichem Kontakt zwischen Dichter und Komponist entstand – und die trotzdem niemand kennt: Kann es so etwas überhaupt geben? Leider ja: Philipp Christoph Kaysers vieraktiges Singspiel „Scherz, List und Rache“ nach der Vorlage mit dem nämlichen Titel aus der Feder des Weimarer Großdichters – sie harrt bis zum heutigen Tag ihrer Uraufführung wie ihrer Ersteinspielung auf Tonträger.

Nun ja, so ganz stimmt das nicht: 1993 fand im klassizistischen Liebhabertheater der Frau von Stein in Kochberg bei Weimar eine Aufführungsserie statt, die Hermann Dechant, der verdienstvolle Herausgeber des Klavierauszugs von „Scherz, List und Rache“, auf den Weg gebracht hatte. Aber es handelte sich um eine stark gekürzte Fassung, und das Orchester war, den Kochberger Raumverhältnissen geschuldet, auf eine Kammerbesetzung reduziert. Ein Tondokument dieser Produktion gibt es nicht. Und seit mehr als einem Vierteljahrhundert herrscht nun wieder Windstille um „Scherz, List und Rache“.

Das ändert sich in diesem Jahr: Wie die Bayer-Kulturabteilung soeben auf der Spielplan-Pressekonferenz für das Leverkusener Erholungshaus in der Saison 2019/20 bekanntgab, unternehmen es der Dirigent Werner Ehrhardt, sein in Leverkusen stationiertes Originalklangensemble L’arte del mondo sowie metieraffine Vokalsolisten (Annika Boos, Cornel Frey, Florian Götz), diese frühe Goethe-Oper endgültig der Vergessenheit zu entreißen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Partitur soll dabei klanglich ungeschmälert umgesetzt werden. Den halbszenischen (Igor Folwill) Aufführungen im Goethe-Theater des sachsen-anhaltinischen Bad Lauchstädt (26. Oktober) und im Bayer-Erholungshaus (28. November) schließt sich eine CD-Einspielung beim renommierten Label Sony Classical an.

Freilich: Kürzen muss auch Ehrhardt – der sein Projekt für „eine kleine oder vielleicht auch große Sensation“ hält. Ungekürzt bringt es „Scherz, List und Rache“ auf eine Wagner-affine Aufführungsdauer von fast vier Stunden – was einem Theaterpublikum von heute zumal angesichts des hier verhandelten Gegenstandes kaum mehr zu vermitteln wäre.

Der Gegenstand ist – sagen wir es ruhig – eine Farce: Tatsächlich sollte man bei „Scherz, List und Rache“ nicht an Goethes zeitnah entstandene klassische Dramen „Torquato Tasso“ und „Iphigenie auf Tauris“ denken. Das 1784/85 in Weimar verfasste Libretto ist eine poetische Nebenarbeit, die von des Autors Begeisterung für die italienische Commedia dell’arte zeugt.

In diesem Sinne typisch und aus den Buffa-Opern der Zeit sattsam bekannt sind Personal und Handlungsmotive dieser Drei-Figuren-Komödie: Ein alter geldgieriger Quacksalber hat ein junges Liebespaar durch üble Nachrede um das Erbe der reichen Tante gebracht und es sich selbst unter den Nagel gerissen. Die Jungen fädeln nun eine ausgefeilte Gegenintrige ein: Verkleidet nisten sie sich im Haus des Doktors ein und führen eine Situation herbei, in der dieser einen – selbstredend fingierten – Todesfall verursacht. Solchermaßen erpressbar geworden, rückt der Alte das Erbe heraus.

Goethes Frankfurter Jugendfreund Kayser, seit 1775 als Klavierlehrer und Komponist (zumal von Liedern) in Zürich ansässig, war von Goethes Kompositionsersuchen angetan und machte sich gleich an die Arbeit. Die schritt dann freilich mühsam voran – wenngleich Goethe, wie Erhardt im Gespräch mit dieser Zeitung konstatiert, „nie so nah und direkt im Austausch mit einem Komponisten zusammenarbeitete wie mit Kayser für diese Oper“. Im Mai 1786 traf aus Zürich endlich der vierte Akt in Weimar ein, aber die Schlussredaktion fand erst 1787 in Rom statt, wohin Goethe – damals auf seiner großen zweijährigen Italien-Reise befindlich – den Freund eingeladen hatte. Es scheiterten dann freilich alle Versuche des Dichters, das vollendete Werk, das bei Probeaufführungen durchaus das Vergnügen des Weimarer Hofpublikums gefunden hatte, an einer Bühne unterzubringen.

Damit ging jener Unstern über „Scherz, List und Rache“ auf, der dem Stück bis heute hartnäckig scheint. Aber warum tut er das? Die Handlung ist amüsant und spritzig, und zur Musik ist damit noch gar nichts gesagt. Indes bezeichnet Goethe/Kaysers vierstündige Originallänge in der Tat einen der Gründe, warum das Singspiel nie repertoirefähig wurde – zumal eine Bühnenbesetzung aus lediglich drei Darstellern auch heute noch rein kräftemäßig an ihre Grenzen käme.

Sodann setzte sich seit der Entstehungszeit in den Gemütern die Auffassung fest, dass Kaysers Vertonung nichts tauge (später wurde das Libretto übrigens von E.T.A. Hoffmann und Max Bruch erneut komponiert). Diese Einschätzung wurde dann ungeprüft von Generation zu Generation weitergereicht.

Den Bann brach recht eigentlich erst 2009 der musikalisch versierte Germanist Norbert Miller in seinem Buch „Die ungeheure Gewalt der Musik. Goethe und seine Komponisten“. Miller bescheinigt dem Komponisten außerordentliche künstlerische Fähigkeiten und konstatiert: „An Vielgestaltigkeit und dramaturgischer Stimmigkeit der Durchführung kann »Scherz, List und Rache« vor allem in den beiden Schlussakten mit jeder zeitgenössischen italienischen Oper konkurrieren.“

Dem hat Ehrhardt wenig hinzuzufügen: „Die Oper ist ungemein reich orchestriert, sehr abwechslungsreich, witzig, mit immer neuen Instrumentenkombinationen und einem großen Sinn für Farben und Situationskomik.“ Kaysers Musik begeistere „durch ihre differenzierte Kraft in der Kommentierung der Bühnenvorgänge und der Darstellung der Figuren, durch ihre genaue Ausrichtung auf ihre Gestik, durch die Vielseitigkeit der Formen, durch ihre Neigung, Rezitative und Arien zu großen Szenen schlüssig zusammenzufügen“.

Mozart habe mit seiner „Entführung aus dem Serail“ alles niedergeschlagen, klagte Goethe noch im Rückblick der „Italienischen Reise“ über den Misserfolg des mit Kayser „so sorgsam gearbeiteten Stücks“. Leider hat Mozarts Sonne abgesehen vom „Veilchen“ nie über der Weimarer Klassik geschienen – Goethe fand auch später keinen Bühnenkomponisten, wie er etwa Hugo von Hofmannsthal in Richard Strauss zuteilwurde.

Das kann man bedauern, muss es aber nicht. „Scherz, List und Rache“ ist ein Beispiel dafür, zu welch anspruchsvoller Originalität auch ein Musiker aus der zweiten Reihe jener musikalisch so reichen Zeit es in Kooperation mit dem Genie aus Weimar bringen konnte.

ZUR AUFFÜHRUNG

Die Oper „Scherz, List und Rache“ nach einem Libretto von Johann Wolfgang von Goethe und mit der Musik Philipp Christoph Kaysers wird am Donnerstag, 28. November, um 19.30 Uhr im Großen Saal des Bayer Erholungshauses in Leverkusen aufgeführt. Die Inszenierung stammt von Igor Folwill, es dirigiert Werner Erhardt. Preise: 26 bis 36 Euro.

Unser Autor ist als dramaturgischer Berater an der Produktion beteiligt.