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„Was macht eure Oma heute Abend?“So war das Cher-Konzert in Köln

Lesezeit 5 Minuten
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Auf einem Podest schwebte Cher über der Bühne.

  1. Um alle Phasen ihrer sechs Jahrzehnte umfassenden Karriere vorzuführen reichen die anderthalb Stunden des Konzertes selbstredend nicht aus, zumal ein nicht geringer Anteil der Zeit für Kostümwechsel draufgeht.
  2. Wichtig ist allein, dass Cher wahrscheinlich die einzig lebende Performerin ist, die so etwas durchziehen kann, ohne sich dem Gelächter des Publikums auszusetzen. Sie ist camp-resistent.
  3. Um die Musik geht es auch nicht wirklich: Kein Song aus ihrem besten, leider kommerziell unergiebigen Album.

Köln – Gefühlte 20 Minuten lang erzählt Cher in der Lanxess-Arena nun schon von der Nacht ihres 40. Geburtstages, wie ein beschwipster Partygast ohne Sozialkontrolle.

Erzählt von Mad-Max-Regisseur George Miller, der ihr auf den Kopf zusagte, dass er sie zu alt und zu unsexy für seine Verfilmung von „Die Hexen von Eastwick“ findet, vom Hauptdarsteller Jack Nicholson, damals 49, der seinem Regisseur beipflichtete.

Vom just aus dem Knast entlassenen Studio-54-Besitzer Steve Rubell, dem sie noch 28 000 Dollar schuldete, von Late-Night-Moderator David Letterman, den sie vor laufender Kamera als „Arschloch“ titulierte – nachdem sie für ihren Auftritt 28.000 Dollar verlangt hatte.

Und davon, dass sie mit ihren 40 Jahren viel besser ausgesehen habe als Nicolas Cage, ihr halb so alter Filmpartner, der in „Mondsüchtig“ einen leckeren Bäcker spielt, und überhaupt seien sogar ihre Tränen fabulös, ja einer Madonna würdig, und damit meine sie nicht die blonde.

Cher verkündet ihr Alter

Dann endlich kommt Cher auf den Punkt der pointenlosen Geschichte, der da lautet, dass man zu seinem Alter stehen soll. „Ich bin 73“, verkündet die Entertainerin unter dem aufbrandendem Applaus von 15.000 Verehrern und Verehrerinnen. „Und was macht eure Oma heute Abend?“ Erneuter Applaus.

Da hatte man sie bereits in Goldlamé und mit „naturblauem Haar“ (scherzt Cher) inmitten römischer Zenturien (oder sollten das „Cesar’s Palace“-Türsteher sein?) „Strong Enough“ singen gesehen. Und sie gleich darauf als indische Tempeltänzerin erlebt, die auf einem mechanischen Elefanten durchs Bühnentor reitet.

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In einem an Amazonen erinnernden Kostüm zeigte sich Cher auf der Bühne in der Kölner Lanxess-Arena.

Da mag die eigene Oma also noch so viele Runden mit ihrem Motorrad im Hühnerstall drehen, sie wird nicht an die Frau heranreichen, die Mitte der 1940er Jahre als Cherilyn Sarkisian in bettelarmen Verhältnissen geboren wurde, die schon im Background-Chor von „Be My Baby“ und „You’ve Lost That Loving Feeling“ zu hören war und deren baldiges Karrierenende Kritiker seit Ende der 60er Jahre vorausgesagt hatten. Nicht ahnend, in welcher Inkarnation ihnen Cher als nächstes begegnen würde.

Als Folk-Chanteuse oder Mode-Ikone, als TV-Gastgeberin oder Disco-Queen, als Oscar-Gewinnerin oder Verbraucherin junger, hübscher Männer, von Tom Cruise bis zu jenem jungen Bagel-Bäcker, den sie Mitte der 80er in Imitation ihrer Oscar-Rolle in „Mondsüchtig“ verführte.

Um alle Phasen ihrer sechs Jahrzehnte umfassenden Karriere vorzuführen reichen die anderthalb Stunden des Konzertes selbstredend nicht aus, zumal ein nicht geringer Anteil der Zeit für Kostümwechsel draufgeht.

Cher, die Übermalungskünstlerin

Das liegt aber auch gar nicht im Interesse des Superstars: Cher hat kein Werk geschaffen, das Schritt für Schritt aufeinander aufbaut, viel eher ist sie eine Übermalungskünstlerin, eine, die sich immer wieder von neuem erfindet, und in dieses Bild passt dann auch ihre Pionierarbeit auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie.

Chers Vergangenheit wird in den Einspielern zwischen den Umbaupausen jedenfalls vordringlich als Leistungskatalog präsentiert und weniger als persönlichkeitsbildender Inhalt.

Um die Musik geht es auch nicht wirklich: Kein Song aus ihrem besten, leider kommerziell unergiebigen Album „3614 Jackson Highway“ (1969), noch nicht einmal der Evergreen „Gypsys, Tramps & Thieves“ vom nachfolgenden Langspieler. Selbst bevor sie sie sich mit ihrem toten Ex-Ehemann Sonny Bono zum unverwüstlich charmanten „I Got You Babe“ duettiert, behauptet sie, lange darüber nachgedacht zu haben, ob sie das Stück überhaupt zum Besten geben solle. Wohl gemerkt: Das Stück, das sie 1965 ins Rampenlicht katapultierte, der Song, auf dem ihr Ruhm fußt. Schnee von gestern.

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Stattdessen singt sie sich blond perückt durch gleich drei Abba-Songs („Waterloo“, „SOS“, „Fernando“), ja hat sogar ihre Tour nach dem „Mamma Mia!“-Sequel „Here We Go Again“ benannt, in dem Cher zwar die Mutter der fast gleich alten Meryl Streep spielen muss, dafür aber die gesamte Aufmerksamkeit an sich reißen kann.

Abba und vergessene Filme

Eingerahmt wird der Abba-Teil von Songs aus eher vergessenswerten Filmen, „Welcome to Burlesque“ (aus „Burlesque“, 2010) und „After All“ (aus „Ein himmlischer Liebhaber“, 1989). Letztere Ballade singt die Diva als eine Art Mischung von Freiheitsstatue und Sonnenkönigin kostümiert, im Hintergrund ragt Schloss Neuschwanstein auf einer Felseninsel aus dem Meer. Ein Beitrag zum Klimawandel?

Egal. Wichtig ist allein, dass Cher wahrscheinlich die einzig lebende Performerin ist, die so etwas durchziehen kann, ohne sich dem Gelächter des Publikums auszusetzen. Sie ist camp-resistent.

Ein kurzer Ausflug in die musikalische Früherziehung (Hank Williams, Elvis, Tito Puente) führt uns zu Mark Cohns „Walking in Memphis“ und zu Rudy Clarks „Shoop Shoop Song“ und dann endlich zum Höhepunkt aus deutscher Sicht: der mainstreamrockenden Cher. Für die beiden Powerballaden „I Found Someone“ und „If I Could Turn Back Time“ schmeißt sie sich doch tatsächlich noch einmal in das schwarze, mehr oder weniger alles freilegende Trikot, mit dem sie 1987 das biedere „Wetten, dass..?“-Publikum ins Schwitzen brachte. Ja, da passt sie auch mit 73 Jahren noch bestens rein.

Und ob das jetzt an guten Genen, guten Chirurgen oder gesunder Ernährung liegt, geht ja niemanden was an. Zeigt es doch vor allem, welch starken Willen diese Frau besitzt, die sich irgendwann entschlossen hat, alles zu können und dabei doch stets Cher zu bleiben.

Als Zugabe singt die ewig 40-Jährige obligatorischerweise ihren Dance-Hit „Believe“, und schon wieder muss man sich wundern: Ja, den Auto-Tune-Effekt hat sie auch in die Popmusik eingeführt.