So war der „Tatort"Spannend und wichtig, aber mit dramaturgischen Schwächen
Göttingen – Maria Furtwängler ermittelte in „National Feminin“ in einem brisanten Mordfall.
Der Fall
Im Göttinger Stadtwald wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden. Den beiden Ermittlerinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) dämmerte schnell, dass dieser Fall ihnen einiges an Fingerspitzengefühl abverlangen würde. Denn bei der Toten handelte es sich um Marie Jäger (Emilia Schüle), eine junge Jurastudentin, die mit ihrem Video-Blog „National Feminin” zum Aushängeschild der jungen rechten Szene avancierte.
Für „Tatort“-Fans
„Tatorte“ gibt es viele: klassisch, experimentell, spannend oder doch eher langweilig? In unserer Vorschau erfahren Sie immer bereits ab Samstag, wie der kommende „Tatort“ werden wird.
Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.
Kurz vor ihrem Tod hatte sie Anzeige bei der Polizei erstattet: Ein junger Man hatte sie gestalkt. Obwohl ihre Täterbeschreibung keinerlei Rückschlüsse auf dessen Ethnie zuließ, war für Maries rechtsradikales Umfeld sofort klar, dass es sich um einen Migranten handelte. Im Netz begann derweil eine rechte Hetzkampagne gegen die Polizei, den Staat und die Demokratie.
Die Auflösung
Durch ihren Video-Blog hatte Marie Jäger den linksorientierten Hamburger Blogger Tom Rebeck (Jascha Baum) kennen und lieben gelernt. Am Abend ihres Todes wollte sie sich eigentlich mit ihrem Geliebten nach Neuseeland absetzen.
Ihr WG-Mitbewohner und Leiter der nationalistischen Jungen Bewegung Göttingen, Felix Raue (Samuel Schneider), hatte ebenfalls schon seit geraumer Zeit romantisches Interesse an ihr. Nachdem Marie ihn zurückgewiesen hatte, begann er sie zu stalken. Als er von Maries Beziehung zu Tom Rebeck erfuhr, lockte er sie in eine Falle und ermordete sie.
National Feminin
Inf ihrem Video-Blog hielt Marie Jäger reißerische Reden über die Rolle der „modernen deutschen Frau” und wiegelte ihre Zuschauer und Zuschauerinnen auf, gegen „immer mehr Männer aus frauenverachtenden Kulturen“, die als Flüchtlinge nach Deutschland kämen. Ihre national-feministischen Ideen waren stark von ihrer Mentorin und zeitweisen Geliebten, Professorin Sophie Behrens (Jenny Schily), geprägt.
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Eine Rückblende zeigte deren Antrittsvorlesung, in der sie Werke von führenden Vordenkerinnen des modernen Feminismus wie Virginia Woolf, Judith Butler und Simone de Beauvoir achtlos von sich schleuderte und die Rolle der Frau in der modernen Gesellschaft scharf kritisierte. Frauen, so Behrens, sollten nicht nur erfolgreich im Job sein, sondern daneben auch perfekte Mütter und Partnerinnen. All diese Erwartungen an Frauen seien ideelle Konstrukte und in der Praxis nicht realisierbar. Vielmehr führten sie zu einer weiteren Form der Unterdrückung von Frauen. Stattdessen sollten Frauen sich klar zwischen Karriere und Familie entscheiden.
Ihre reaktionären feministischen Ideen paarte Behrens mit rechtsnationalem Gedankengut. Laut Drehbuchautor Florian Oeller sei diese neue Ausrichtung heute typisch für die Neue Rechte: „Man erkannte: Hypermaskuline Springerstiefel-Propaganda ist ungeeignet, um breite Bevölkerungsschichten anzusprechen. Also wurde ein neuer Markenkern entwickelt und professionalisiert, mit Frauen in Schlüsselpositionen.“
Rechte Trolle
Immer wieder wurden Twitter-Postings eingeblendet, in denen Stimmung gegen die Polizei und den Rechtsstaat gemacht wurde und rassistisch gegen „Migranten” und „Flüchtlinge” gehetzt wurde. Die Einblendungen nahmen Bezug auf die anhaltende Entwicklung in den Sozialen Medien: Sogenannte rechte Trolle, Fake News und rechtsextreme Verschwörungstheorien machen dort verstärkt die Runde und erwecken so den Eindruck, rechtsextremes Gedankengut sei wieder weit verbreitet im Land.
Tatsächlich werden solche digitalen Hetzjagden gezielt von rechten Gruppen orchestriert, um genau diesen Eindruck zu wecken. Eine gefährliche virtuelle Jagd auf demokratische Grundwerte.
Insbesondere die Twitterkanäle der Polizei werden mit rechtem Gedankengut geflutet, sobald ein Gewaltverbrechen geschehen ist. Ohne jegliche Anhaltspunkte werden Rückschlüsse auf die Herkunft des Täters gezogen, um die Tat so für rassistische Propaganda auszunutzen. Der neue Tatort „National Feminin” griff auf diese Weise ein wichtiges, aber auch brisantes, gesellschaftliches Thema auf.
Fazit
Der neue Tatort „National Feminin” machte keine halben Sachen. In knapp 90 Minuten wurde ein hochaktuelles Thema aufgemacht: Die neuen Formen des Rechtsextremismus in Deutschland und seine Verbreitung durch das Internet. Während der Fall an sich spannend war, konnte der Tatort inhaltlich seine eigens gesetzten Maßstäbe nicht erreichen. Zu komplex war das Thema, zu flach die Figuren.
Um die Komplexität des Themas einigermaßen fassen zu können, hielt Kommissarin Lindholm immer wieder kurze Vorträge in denen sie den Zuschauern etwa den rechten Begriff der „Remigration” erklärte oder was ein „Femizid” ist und was es mit den erschreckend hohen Fallzahlen an Gewalt an Frauen in Deutschland auf sich hat.
Keine Frage, das Thema war von größter Relevanz und es war aller Ehren wert, dass sich der neue "Tatort" mit diesem auseinandersetzte. Dieses darzustellen, ohne in allzu schwarz-weiße Rollenmuster zu verfallen, gelang allerdings leider nicht. Zudem erschienen einige Nebenhandlungen fragwürdig bis überflüssig, wie etwa der Unfalltod von Jonas Noll (Zio Tristan Mundry).
Die dramaturgischen Schwächen milderten dennoch nicht das hohe Spannungsniveau dieses Tatorts.