Die Holztür in der Kölner Kirche St. Maria im Kapitol ist in Deutschland einzigartig. Ein neues Buch will ihre Deutung popularisieren.
St. Maria im KapitolDas Geheimnis hinter der romanischen Bildertür
Man mag die gotische Kathedrale umkreisen, wie man will, am Ende ist Köln doch eine romanische Stadt. Zwölf Kirchen dieses Zeitalters bilden einen heiligen Kranz, der es nicht nötig hat, leichtgläubige Pilger mit fahlen Gebeinen in die Falle zu locken. Unter den vielen echten Schätzen dieser Gotteshäuser ist die hölzerne Bildertür von St. Maria in Kapitol eine besondere Kostbarkeit; in ganz Deutschland hat sich nichts Vergleichbares erhalten.
Die Gründe dafür sind banal: Christliche Bildertüren, auf denen biblische Geschichten in geschnitzten oder gegossenen Reliefs erzählt wurden, waren im 11. Jahrhundert eine Rarität, und Bronzetüren wie in den Domen von Augsburg und Hildesheim deutlich besser dafür gerüstet, das vor ihnen liegende Jahrtausend unbeschadet zu überstehen. Die zweiflügelige Kölner Holztür, 4,85 Meter hoch und 2,50 Meter breit, wurde nur zu hohen Anlässen, etwa bei königlichem Besuch, geöffnet, und im 12. Jahrhundert durch eine steinerne Vorhalle eingehegt. In diesem Schutzhäuschen stand sie sicher, gelegentliche Übermalungen, etwa während des Barocks, erwiesen sich später als schonende Hülle für die von einem oder mehreren Meistern geschnitzten Reliefs.
Erst im 19. Jahrhundert wurde die Bedeutung der Kölner Holztür erkannt
Erst im 19. Jahrhundert wurde die volle Bedeutung der Kölner Holztür erkannt, und seitdem rätseln die Gelehrten über deren ungewöhnliches Bildprogramm. Die Reihenfolge der 26 Reliefs weicht teils deutlich von den Berichten der Evangelien ab, und selbst an die Leserichtung christlicher Flügeltüren (erst links von oben nach unten, dann das Gleiche rechts noch mal) scheint sich der Autor (vermutlich der Kölner Erzbischof Hermann II.) nicht durchweg gehalten zu haben.
Im Großen und Ganzen folgt die Erzählung dem Leben Christi, von der unbefleckten Empfängnis bis zur Auferstehung. Auf der linken Flügeltür sehen wir die frühen Jahre vorüberziehen, die rechte Türhälfte beginnt mit dem Einzug nach Jerusalem. Ungewöhnlich ist der prominente Auftritt des König Herodes, der als wiederkehrender Nebendarsteller die Rolle eines Gegenspielers einnimmt. Diese Aufwertung des angeblichen Kindermörders wurde lange damit erklärt, dass St. Maria im Kapitol nach dem Vorbild der Geburtskirche von Bethlehem errichtet wurde. Mittlerweile hat sich in der Forschung allerdings eine andere, von Klaus Gereon Beuckers formulierte Lesart durchgesetzt: Herodes steht für den unwürdigen und Christus für den wahren Königstyp. Ihr ausführlich dargestellter Gegensatz sollte Herrschern aller Zeiten eine Mahnung sein.
Jetzt ist ein schmales blaues Büchlein erschienen, das Beuckers‘ Interpretation popularisieren soll und in Kölner Auslagen vortrefflich aufgehoben scheint. Die Farbe des Einbands ist nicht unwichtig, denn Gabriele Klemperts „Der unwürdige König“ erscheint in der legendären Reihe der „Blauen Bücher“, mit dem der Langewiesche Verlag in den 1910er Jahren den Kunstbuchmarkt eroberte und teilweise umkrempelte. Die „Blauen Bücher“ waren schmal, günstig und reich bebildert, einzelnen deutschen Kunst- und Bauwerken gewidmet und richteten sich an ein fachlich nicht „vorbelastetes“ Publikum. Insbesondere die Beiträge Wilhelm Pinders wurden zu Bestsellern und halfen, eine durch die Kunstgeschichte vermittelte „volkstümliche“ Idee deutscher Identität zu stiften. Während der NS-Zeit dienten sich sowohl Pinder als auch der Langewiesche Verlag bereitwillig den Nazis an.
Seit 1945 hat sich eine derartige Popularisierung des Deutschen in mehr als einer Hinsicht überlebt - etwas verwundert hält man daher das neue blaue Buch in Händen. Die 48-seitige Broschüre wirkt nicht gerade zeitgemäß, die Aufmachung, angefangen beim verrutschten Schriftbild des Buchrückens, kann man selbst für einen Ladenpreis von 12,90 Euro nicht anders als billig nennen. Am kräftigsten wurde offensichtlich beim Layout gespart, dafür sind die 37 Abbildungen durchweg mehr als brauchbar. Und inhaltlich funktioniert das altbackene Konzept immer noch erstaunlich gut.
Das Buch soll die Studien von Klaus Gereon Beuckers verständlich machen
Gabriele Klempert nennt die Büchlein selbst ein „Plagiat“, allerdings eines, das mit Einverständnis des Plagiierten entstanden sei. Sie will Beuckers wissenschaftliche Studien, darunter sein 1999 in Köln publiziertes Buch „Rex iubet – Christus Imperat“, „entschlacken“ und „für den Laien verständlich machen“. Dem Kunsthistoriker und Professor an der Universität Kiel stellt dies kein gutes Zeugnis aus, dabei lesen sich seine von Klempert umformulierten Erkenntnisse eingängig und klar. Offenbar hat sich die Plagiatorin vor allem von den quellenkritischen Herleitungen des Originals getrennt.
Zunächst führt Klempert in die Entstehungszeit der Bildertür ein: Kaiser und Kirche stritten um die politische Vorherrschaft, Kirchenämter waren käuflich, wenige Päpste blieben ohne Gegenpapst. Eine Ermahnung, sich an den wahren Herrscher, Christi, zu erinnern, erschien mehr als angebracht. Bei den Betrachtungen der Türbilder geht die Autorin ins Detail: Herodes tritt das erste Mal beim Besuch der drei Weisen auf, deren heilsame Botschaft er nicht erkennt; im Hintergrund drückt sich eine Wache mit Lanze und Schild, den Insignien des Kriegs, herum.
Die folgenden Auftritte des weltlichen Königs scheinen im Sinne der biblischen Geschichte entbehrlich, sind es aber für das Kölner Bildprogramm gerade nicht: Soldaten melden Herodes, dass sich die drei Weisen seinen Befehlen widersetzen, woraufhin der König einen Schriftgelehrten „befragen“ lässt; mit Beuckers sieht die Autorin einen erfolglosen Bestechungsversuch. Schließlich werden die Lanzen ausgegeben, mit denen die Erstgeborenen ermordet werden sollen.
Auf dem rechten Türflügel gerät derweil die biblische Chronologie ein wenig durcheinander, um dem unwürdigen König die „passenden“ Motive des wahren Königs gegenüberzustellen. So wird Herodes in der dritten Bildreihe symbolisch durch einen Christus entthront, der Petrus segnet und als ersten Papst einsetzt. Die Botschaft gab Beuckers Studien ihren lateinischen Titel: Der König befiehlt, Christus herrscht.
Gabriele Klempert: „Der unwürdige König. Das Bildprogramm der Tür von St. Maria im Kapitol“, Verlag Langewiesche Nachfolger, 48 Seiten, 37 Abbildungen, 12,90 Euro.