1000 Jahre Abtei BrauweilerWie aus einem alten Kloster Adenauers Gefängnis wurde

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Blick auf die Abteikirche St. Nikolaus in Brauweiler durch einen Torbogen.

Die Abteikirche St. Nikolaus Brauweiler

Zum Jubiläum der Abtei Brauweiler gehören auch die dunklen Seiten ihrer Vergangenheit - als Gefängnis, Folterstätte und Psychiatrie. 

Als der König erfuhr, dass Daniel täglich zu seinem Gott betete, ließ er ihn in eine Löwengrube werfen. Am nächsten Tag kam er wieder, um nach ihm zu sehen. Daniel war unversehrt, ein Engel war den Löwen erschienen und hatte ihnen die Mäuler geschlossen. „Man fand keine Verletzung an ihm“, heißt es in der Bibel, „denn er hatte seinem Gott vertraut.“

In der Brauweiler Abteikirche gibt es eine moderne Darstellung dieses im Alten Testament beschriebenen Wunders. Sie findet sich über einem der Beichtstühle in einem Rundbogenfenster und zeigt Konrad Adenauer als Daniel mit ausgebreiteten Armen vor den Löwen knien. Alles ist ungewiss in diesem Augenblick, noch muss der Gefangene um sein Leben fürchten. Es ist kein Engel zu sehen, nur der Teufel in Gestalt von Adolf Hitler. Aber Adenauer weiß sein Schicksal in Gottes Händen.

Konrad Adenauer stiftete Brauweiler ein Kirchenfenster, das ihn als Gefangenen und Hitler als Teufel zeigt

Adenauer stiftete dieses Kirchenfenster im Jahr 1961 während seiner Amtszeit als deutscher Bundeskanzler. Es erinnert an die Wochen, in denen er, wenige Schritte von der Abteikirche entfernt, ein Gefangener der Gestapo war und in seiner Zelle mit anhörte, was andere Menschen in dieser Zeit erleiden mussten. Sein eigenes Leben verdankte er dem mutigen Eingreifen vieler Freunde, von denen einige ihren Mut mit dem Leben bezahlten. Sie stehen im Schwarz und Weiß gefassten Fensterglas für das noch abwesende Gute, das am Ende über das Böse siegt.

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In diesem eher unscheinbaren Kunstwerk werden die Gegensätze deutlich, zwischen denen man sich heute in der Abtei Brauweiler bewegt. Während der NS-Zeit wurde das ehemalige Benediktinerkloster zum Schauplatz furchtbarer Verbrechen, und zugleich führt die Daniel-Episode in die Gründungsjahre der Abtei zurück. Bereits die adligen Gründer des Klosters vertrauten 1024 auf das Gute, indem sie Gott ihrer Treue und Dankbarkeit versicherten. Und natürlich lag schon damals eine Symbolik in ihrer Stiftung, die Glauben und Politik, privates Gedenken und öffentliches Bekenntnis unauflösbar miteinander verband. Vom ersten Tag an war Brauweiler ein religiöser und politischer Ort, ein Kampfplatz und ein Zankapfel unterschiedlicher Interessen.

Das Buchcover von 1000 Jahre Abtei Brauweiler zeigt mehrere reich verzierte Kapitelle aus Stein.

Das Buch zum Jubiläum: „1000 Jahre Abtei Brauweiler“ von Michael Kohler

Mit dem Kölner Erzbischof Anno II. stritt das Kloster jahrelang um seine wirtschaftliche Unabhängigkeit, und während Kaiser und Päpste die rhetorischen Klingen kreuzten, suchten adlige Frauen ihren Platz in einer von Männern dominierten Welt. In Brauweiler setzte sich die exilierte polnische Königin Richeza mit einer neuen Abteikirche ein Denkmal, das allerdings wenige Jahrzehnte nach ihrem Tod bereits wieder geschleift wurde, um Platz für ein noch prächtigeres Gotteshaus zu machen. Gebaut wurde am Kloster zu allen Zeiten und Jahrhunderten, bis es in der geltungssüchtigen Epoche des Barock seine heutige Gestalt erhielt.

Im Inneren der herrlichen Mauern suchten die Benediktinermönche nach dem richtigen Weg zu Gott. Nicht immer war dieser leicht zu finden. Die Kirche stritt damals so erbittert über Glaubensfragen wie die unsrige, und da ein Kloster auch ein Wirtschaftsbetrieb ist, schrammten die Mönche nicht selten am Konkurs vorbei. Immer wieder kam die große Welt ins kleine Brauweiler: in Form der Pest, vieler Kriege oder der religiösen Verblendung, die sich etwa in der „Hexenverfolgung“ zeigte.

Die Abtei Brauweiler war kein besserer Ort und kein schlechterer – sie war ein Teil der Welt

Die Abtei Brauweiler war kein besserer Ort und kein schlechterer – sie war ein Teil der Welt und teilte mit dieser das Gute und das Schlechte. In dieser Hinsicht änderte sich ihr Charakter kaum, als sie 1802 von napoleonischen Truppen aufgelöst und in ein „Bettlerdepot“ umgewandelt wurde. In diesem Jahr übernahm der Staat das Sagen im Kloster, das nun dazu dienen sollte, die Armen in Lohn und Brot zu bringen. Aber wie die Kirche wurde auch der Staat den eigenen Idealen selten gerecht: Unter Napoleon galt Armut bald als Delikt, und unter preußischer Herrschaft wurde aus dem „Bettlerdepot“ eine militärisch organisierte Arbeits- und Besserungsanstalt.

Wie bekämpft man die Armut und ihre Folgen? Im Grunde haben wir immer noch keine befriedigende Antwort auf diese Frage gefunden. In der „Rheinischen Provinzial-Arbeitsanstalt“ Brauweiler versuchte man es mit einer Mischung aus Fürsorge und Zwang, wobei der Zwang immer mehr die Oberhand gewann. Im Kaiserreich wuchs die Arbeitsanstalt zu einer riesigen Gefängnisfabrik mit Tausenden Insassen heran – und wurde 1895 erstmals zum Skandal. Mehrere Todesfälle schreckten die Öffentlichkeit auf, und nach dem anschließenden Prozess hatte Brauweiler endgültig einen schlechten Leumund. Gewalt und Machtmissbrauch scheinen dort auch später keine Seltenheit gewesen zu sein.

Die Verbrechen in der NS-Zeit überstiegen jedoch alles, was man in Brauweiler zuvor gekannt hatte. Während der Regelbetrieb einfach weiterlief, „mietete“ sich die Gestapo dort ein, um politische Gegner zu inhaftieren und jüdische Bürger zu deportieren. Bereits 1933 wurde Brauweiler zu einem frühen Konzentrationslager, nach 1943 diente der Zellenbau als Folterstätte. In der Nachkriegszeit versuchte man, an die Zeit vor 1933 anzuschließen, beinahe, als wäre nichts geschehen. Oft war das abgeschiedene Brauweiler ein Spiegel seiner Zeit.

Mehrere Skandale um die 1969 aufgelöste Arbeitsanstalt und das kurzlebige Landeskrankenhaus führten 1978 zu einem echten Neuanfang. Das alte Benediktinerkloster wurde als historisches Baudenkmal restauriert und ist heute ein lebendiger Kulturort. An die Nutzung im Nationalsozialismus erinnern ein Gedenkstein und eine Ausstellung im ehemaligen Frauenhaus; die meisten nach der Barockzeit entstandenen Gebäude wurden hingegen abgerissen. Mitunter fällt es daher schwer, die Gegensätze dieses Orts zusammenzubringen. Das liegt nicht nur an seinem wechselhaften Geist, sondern auch in der Natur der historischen Erinnerung. Eine Zeitspanne von 1000 Jahren ist mehr, als man begreifen kann. In der Abtei Brauweiler beginnt man zu verstehen, warum dies so ist.


Der Text stammt aus dem im Greven Verlag erschienenen Buch „1000 Jahre Abtei Brauweiler - Kloster, Gefängnis, Kulturdenkmal“,  208 Seiten,  80 Abbildungen, 40 Euro.

Ab 29. Juli 2024 ist die neue Dauerausstellung zur Abteigeschichte im LVR-Kulturzentrum Abtei Brauweiler zu sehen: „1000 Jahre Abtei Brauweiler. Ein Ort rheinischer Geschichte“, Ehrenfriedstr. 19, Pulheim, Di.-So. 9- 17 Uhr. Eintritt frei.

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