Graffiti, Sticker und Schablonen: Kölner Wände sind voll mit urbaner Kunst. Doch im Alltag nehmen viele die Werke gar nicht wahr. Warum sich das Stehenbleiben lohnt.
Kultur unter freiem HimmelBei Streetart-Touren die buntesten Ecken Kölns entdecken
„Liebe!“, steht auf einem kleinen Porzellanteller geschrieben, der an einem Brückenpfeiler am Ehrenfelder Bahnhof geklebt ist. Nur bei genauerer Betrachtung ist die kleine, weiße Untertasse an der Venloerstraße Ecke Heliosstraße zu erkennen, weil sie bei all den bunten Stickern und Stencils (Schablonen) um sie herum beinahe untergeht. „Die Künstlerin kommt aus Norddeutschland“, erzählt Eva Himmighofen von „Alternative Cologne Tours“. Seit sechs Jahren führt sie Kunstinteressierte durch die Stadt und gibt Einblicke in die legale und illegale Welt der Kölner Straßenkunst.
„Die Idee dahinter war ein Perspektivwechsel“, sagt die 36-Jährige. Es gehe darum, Ecken in Köln, an denen man vielleicht schon hunderte Male vorbeigelaufen ist, bewusst wahrzunehmen. Dabei entdecke sie jedes Mal etwas Neues, weil das Stadtbild sich stetig verändere. „Die Kunst kommt und geht, man weiß nie, wie lange etwas noch da ist. Die Szene ist sehr dynamisch“, berichtet sie. Durch stetigen Kontakt mit vielen Künstlern aus der Szene hat sie allerhand Wissenswertes zu berichten. So zeigt sie zum Beispiel auf das Konterfei eines Kindes, das auf einen Pfeiler geklebt ist: „Das ist von Opus aus Düsseldorf.“
Street Art Tour Köln: Szene war früher politischer
Ihr gehe es aber auch darum, sagt Himmighofen, die Menschen für diese Kunstform zu sensibilisieren, im besten Fall sogar zu begeistern. „Streetart ist, wie Kunst generell, natürlich total subjektiv, aber die Stadt ist wie eine Galerie.“ Daher lohne es sich, einfach mal stehen zu bleiben und Bilder genauer zu betrachten. „Hinter den Kunstwerken stecken immer Menschen, die uns etwas mitteilen wollen“, sagt die Stadtführerin.
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Aber vor allem kritische und politische Werke verschwinden schnell wieder von der Bildfläche. So habe es zum Beispiel reihenweise Motive gegen Donald Trump, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine oder für die Seenotrettung geflüchteter Menschen gegeben. Alle seien aber zeitnah zerstört und damit mutwillig wieder aus dem Stadtbild entfernt worden. „Eine Meinung erzeugt nun mal eine Gegenmeinung“, sagt Himmighofen. Früher sei die Szene politisch aktiver gewesen. Dass es heute deutlich weniger kritische Kunst gibt, werde von vielen Kunstschaffenden bemängelt.
Auch das mutwillige „Crossen“ (Übermalen) aufwendiger, genehmigter Werke kritisiert die aktive Szene. Solche Auftragsarbeiten werden häufig im großen Stil an Fassaden oder Brücken angebracht und kosten viel Zeit und Geld. In der jüngeren Vergangenheit sei es in Köln bereits häufiger vorgekommen, dass illegale Graffitis solche Werke verunstaltet hätten. Dabei gehe es im Wesentlichen, wie eigentlich immer bei Streetart, um Respekt. Übermalen dürfe man generell nur, wenn das neue Bild aufwendiger, bunter, schlicht besser ist, als das Vorherige, erklärt Eva Himmighofen.
Streetart Köln: Ehrenfeld interessant für Künstler aus aller Welt
Köln und Ehrenfeld im Speziellen haben sich mittlerweile zu angesagten Orten für Streetart entwickelt und ziehen Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt an. So ist auf der Venloerstraße zum Beispiel ein Aufkleber mit einem Fischmotiv, den ein italienischer Künstler dort vor mehr als fünf Jahren angebracht hat, zu entdecken. „Das ist schon krass, dass das dort so lange hängt“, berichtet die Streetart-Expertin. Dass gerade Ehrenfeld sich zu einem Hotspot für Straßenkunst entwickelt hat, hänge mit der Geschichte des Veedels zusammen. Nicht selten beginnt die Gentrifizierungsgeschichte eines Stadtteils mit günstigen Mieten, jungen, kreativen Menschen und eben jeder Menge Straßenkunst.
Auch das Belgische Viertel, wo Eva Himmighofen ebenfalls Touren anbietet, hat viele bunte Ecken zu bieten. Dort gebe es aber weniger große Flächen und daher auch weniger großflächige Kunstwerke. In Ehrenfeld sind dagegen viele Hausfassaden oder große Teile des Bahnhofs mit Auftragsarbeiten versehen. So kann man im Prinzip sternförmig vom Ausgangspunkt Bahnhof Ehrenfeld ausschwärmen und zum Beispiel entlang eines überdimensionalen Werkes Richtung Nordosten schlendern.
Biegt man dann rechts in die Hansemannstraße, ist von legalen Auftragsarbeiten bis hin zu illegalen Graffitis und Stickern jede Menge Wandverzierung zu sehen. Wer Hintergrundinformationen dazu bekommen möchte, um tiefer in die Welt der Kölner Streetart einzutauchen, sollte eine Tour buchen. Neben Gruppen, wie zum Beispiel Junggesellenabschieden oder Arbeitskollegen, nehmen auch viele Kölnerinnen und Kölner aus der Nachbarschaft an den Führungen von Eva Himmighofen teil. Viele würden ihr Veedel im Anschluss mit anderen Augen betrachten, sagt die Streetart-Expertin. Neben den Touren von „Alternative Cologne Tours“, gibt es auch weitere Anbieter, wie zum Beispiel den Kunstverein „Art RMX“.
Neben der geklebten Untertasse am Ehrenfelder Bahnhof ist das Display eines iPads festgeklebt. Der Künstler, der dahinter steckt, habe es zu seinem Markenzeichen gemacht, skurrile Gegenstände, wie zum Beispiel ein Display, als Kunst in den urbanen Raum zu tragen. Daneben wiederum hängt eine Schachtel mit der Aufschrift „gs_art“, dem Kürzel für „Gelbe Sack Kunst“, einem Streetart-Künstler, der seine Werke ausschließlich aus Müll erzeugt. „Die Stadt ist voll davon, man muss nur hinsehen“, sagt Eva Himmighofen.