Streit um Til Schweigers „Keinohrhasen“Wer ist der Autor eines Films?
Köln – Film ist bekanntlich eine kollektive Kunst, an der ein ganzes Arbeitsheer spezialisierter Kräfte mitwirkt – am nicht enden wollenden Abspann ist es regelmäßig abzulesen. Künstlerischen Ruhm (sofern vorhanden) und den finanziellen Rahm schöpfen hingegen nur die wenigsten darunter ab; die mit dem Namen über dem Titel, wie es in Frank Capras Hollywood-Erinnerungen heißt. Dort stehen in aller Regel die Hauptdarsteller, oft auch die Regisseure, aber niemals diejenigen, deren Beitrag zum Film am ehesten dem klassischen Kunstverständnis entspricht: die Drehbuchautoren.
Es geht um viel Geld
In der Autorenzunft hat das schon immer für Bitterkeit gesorgt, insbesondere seitdem die Regisseure von Verfechtern der „Autorentheorie“ zu den wahren Urhebern eines Films erklärt wurden. „Gestern bin ich an Otto Premingers Haus vorbeigefahren“, höhnte der Drehbuchautor Burt Kennedy, „oder muss es heißen: ein Haus von Otto Preminger?“ Es ist der Spott des Arbeitskollektivs über in den Adelsstand erhobene Proleten.
Die Frage, wer wie viel zum Gelingen eines Films beiträgt, ist allerdings nicht nur philosophischer Natur. Es geht im Zweifelsfall auch um sehr viel Geld, wie derzeit der juristische Streit zwischen der Drehbuchautorin Anika Decker und den Produzenten der von ihr „geschriebenen“ Til-Schweiger-Filme „Keinohrhasen“ und „Zweiohrküken“ zeigt. Vor Gericht erstritt Decker das Recht, die Bilanzen der Produktionsfirmen einsehen zu dürfen, denn sie verlangt über ihr Honorar hinaus eine „faire“ Gewinnbeteiligung an zwei der erfolgreichsten deutschen Nachkriegsfilme überhaupt. Was fair ist, regelt in diesem Fall das Urheberrechtsgesetz, das bei überdurchschnittlichem Erfolg eine Nachvergütung vorsieht.
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Gegen das Urteil sind die beklagten Firmen in Berufung gegangen, wogegen wiederum drei große deutsche Drehbuchautoren-Verbände in einem offenen Brief protestierten. Der Verband Deutscher Drehbuchautoren, Kontrakt 18 und Mitglieder der Sektion Drehbuch der Deutschen Filmakademie erklären sich mit Deckers Anliegen solidarisch und kritisieren die Haltung der Produzenten: „Es bleibt ein Skandal, dass Transparenz zwischen Vertragspartnern im Filmbereich weiterhin kostspielig und mit hohem persönlichem Aufwand und Risiko vor Gericht erstritten werden muss.“
Für die Unterzeichner geht es bei Deckers Klage freilich nicht allein ums Geld, diese sei zudem Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der Drehbuchautoren. Eine junge Generation fordere „Mitsprache und Mitbestimmung bei der Umsetzung ihrer Werke“ – was dann doch eher nach dem alten Autorentraum, selbst im Regiestuhl zu sitzen, klingt. Schon Billy Wilder hatte es satt, sich seine Geniestreiche durch (seiner Ansicht nach) begriffsstutzige Regisseure ruinieren zu lassen, und bewies, dass er es besser konnte. Allerdings ist nicht jeder eine Doppelbegabung, und nicht jedes Drehbuch hat ein Happy End. Jedenfalls erscheint die Vorstellung, demnächst würden Drehbuchautoren am Set über die werkgetreue Umsetzung ihrer Arbeit wachen, so weltfremd wie absurd.
Weltfremdes Solidaritätsschreiben der Autoren
Das Besondere an der Kunstform Film liegt schließlich in einer Arbeitsteilung, in der die verschiedenen Gewerke möglichst ohne Reibungsverluste ineinander greifen und dabei im Idealfall etwas produzieren, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Am höchsten entwickelt war dieses „Genie des Systems“ in den Hollywoodstudios der 1930er und 1940er Jahre, die mitunter wöchentlich einen Film fertig stellten, was selbstredend nur durch eine Produktion wie am Fließband möglich war. Schauspieler, Regisseure, Autoren, Kameraleute, Bühnenbildner und andere schöpferische Gewerke waren fest angestellt und übernahmen Aufgaben innerhalb eines Systems, das auch den ästhetischen Rahmen setzte. Die Studios hatten einen eigenen Stil, MGM stand für Opulenz, Warner für Realismus, und suchten sich Talente, die dazu passten. Innerhalb dieses Rahmens boten die Studios ihren Angestellten konkurrenzlose Möglichkeiten, sich zu entfalten, so dass Regisseure, Autoren oder Ausstatter ihren jeweils eigenen Stil ausbilden konnten. Die Idee, Filmgeschichte werde vor allem von Künstlern geschrieben, die gegen das System der Filmproduktion rebellieren, ist zwar populär, aber weit von der Wirklichkeit entfernt.
Im Grunde ist es höchst fragwürdig, einzelne Beiträge aus einem kollektiven Produktionsprozess herauszulösen – selbst bei der vergleichsweise autarken Filmmusik geht dies mit Verlusten einher, und man wird immer vielen Unrecht tun. Aber es ist durchaus möglich, beim Film einzelne Personalstile zu identifizieren und zu würdigen, wie es etwa alljährlich bei der Oscar-Verleihung geschieht. So lässt sich leicht behaupten, dass Alfred Hitchcocks „Psycho“ ohne Bernard Herrmanns Filmmusik kaum der Klassiker geworden wäre, der er heute ist, und dass ein Kameramann wie Michael Ballhaus das Aussehen „seiner“ Filme prägte – in der Regel wurde er genau für diese Gabe engagiert. Ähnliches lässt sich über die Stars anderer Gewerke sagen, angefangen bei der Kostümbildnerin Edith Head, die den Stil des Studios Paramount mitgestaltete, bis zu den Fuchsbauten, die der Designer Ken Adams für die Superschurken der James-Bond-Filme schuf.
Spuren des alten Studiosystems finden sich heute in langjährigen künstlerischen Partnerschaften, wie sie etwa Martin Scorsese mit seiner Schnittmeisterin Thelma Schoonmaker pflegt, und in aufwendigen Filmreihen wie „Harry Potter“. Hier gibt der Produzent einen stilistischen Rahmen für die wechselnden Regisseure vor, um Brüche zwischen den einzelnen Teilen zu vermeiden und für einen reibungslosen Produktionsablauf zu sorgen (die jugendlichen Darsteller sollten schließlich nicht aus ihren Rollen herauswachsen). Der Look der Potter-Reihe wurde vorab durch den Szenenbildner Stuart Craig definiert – mit einer Autorschaft im klassischen Sinne hat aber auch dies nur wenig zu tun.