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So war der TatortBesser hätte der Thriller aus Dresden nicht sein können

Lesezeit 4 Minuten
Orta sitzt auf ihrem Bett und schaut nach unten. Ihre Kleidung ist voller Blut. Der Hintergrund ist verschwommen, man erkennt ihre Wohnung, ihren toten Freund im Bett.

Sarah Monet (Deniz Orta) erwacht orientierungslos neben ihrem erstochenen Freund.

Der neueste Dresdner Tatort „Was ihr nicht seht“ macht sexualisierte Gewalt zum Thema und bleibt dabei dank der beiden Ermittlerinnen empathisch.

Eigentlich deutet alles darauf hin, dass Sarah Monet (Deniz Orta) ihren Freund im Bett erstochen hat. So jedenfalls der naheliegende Schluss der Dresdner Ermittlerin Karin Gorniak (Karin Hanczewski). Für ihre Kollegin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) ist der Fall aber alles andere als klar. Sie ist schon lange mit der Hauptverdächtigen befreundet, will ihr glauben - aber sie redet nicht viel, erinnert sich nur an Bruchstücke. Wurde sie vielleicht unter Drogen gesetzt und ist das wahre Opfer? Der Konflikt zwischen Empathie und einer kalten Beweisführung wird anhand von Gorniak und Winkler wirkungsvoll inszeniert.

Die Spannung bleibt in diesem Fall fast durchgehend hoch, auch wegen Leonie Winklers Zerrissenheit. Die ermittelt auch dann auf eigene Faust weiter, als ihr Chef Peter Schnabel (Martin Brambach) sie wegen Befangenheit vom Fall abzieht. Leonie Winkler beginnt aber an ihrer Freundin zu zweifeln, wodurch die Hauptverdächtige ihre letzte Stütze verliert. Sie flieht, um die Tatnacht selbst nachzuvollziehen.

Im Tatort: „Was ihr nicht seht“ geht es um sexuelle Gewalt

Die Ermittlerinnen stoßen schließlich auf mehrere Fälle, in denen Frauen von Blackouts berichten, von Anzeichen dafür, dass jemand in ihrer Wohnung war, von Vergewaltigungen, an die sie sich nicht oder kaum erinnern können. Parallel beobachtet man einzelne Szenen, in denen der wahre Täter sich an sein nächstes Opfer (Tatiana Nekrasov) anpirscht. Die Kamera zeigt das erst aus der Distanz des Stalkers heraus und geht dann immer näher heran. Während der Täter einer Frau K.-o.-Tropfen einflößt und sich an ihr vergeht, krallt man sich unbewusst an das nächste Sofakissen fest, auch wenn gerade die Nähe der Einstellungen dafür sorgt, dass man vieles eben nicht sehen muss.

Ein toxikologischer Bericht bestätigt endlich, dass auch der Hauptverdächtigen Sarah Monet K.-o.-Tropfen verabreicht wurden. Aus den Hinweisen der anderen Vorfälle ergibt sich dann die Spur zum Täter, ein Schlosser (Felix Vogel), der von Berufs wegen gut darin ist, in fremde Wohnungen einzudringen. Sarah Monet gerät derweil wieder in seine Fänge, und erst in allerletzter Not können die Ermittler den Mann erschießen.

Zumindest ein bisschen Entlastung für die Zuschauer, die aber sofort wieder dahin ist, als sich das Opfer im Krankenhaus an alles erinnert. Denn Sarah Monet hat tatsächlich ihren Freund erstochen. Nach der Vergewaltigung durch den Schlosser erwachte sie kurzzeitig, als ihr Freund in die Wohnung kam, die Erinnerung kochte in ihr hoch und sie tötete ihn aus dem Schock heraus. Besonders tragisch ist auch, dass dieser Vorfall der einzige Grund ist, warum die Ermittler überhaupt dem wahren Täter auf die Spur kamen.

Fazit zum Krimi am Sonntag

„Was ihr nicht seht“ titelt dieser starke wie emotionale Thriller. Die grandiose Kameraarbeit von Kaspar Kaven, die ihm eine Nominierung für den Deutschen Kamerapreis beschert hat, lässt uns nah an die Figuren herankommen. Mit Sarah Monet werden die Bilder diffus, langsam, und dann plötzlich stürmisch wie die Erinnerungen, die assoziativ und gewaltsam über sie hereinbrechen. Mit einer anderen Betroffenen, die den Ermittlerinnen ausführlich von ihrer Vergewaltigung berichtet, nimmt die Kamera sich zurück, zeigt die Frau frontal wie bei einem Dokumentarfilm, bleibt für anderthalb Minuten einfach starr.

Neben der Reichweite der visuellen Stilmittel überzeugen auch die Schauspieler, insbesondere Cornelia Gröschel als Leonie Winkler, die durch die Nahaufnahmen sehr nuanciert spielen können. Der Antagonist bleibt schemenhaft und bedrohlich, und der Fall verzichtet gänzlich darauf, die Psyche hinter dem Verbrechen zu zeigen, was dem Fall einen klaren Fokus auf die Betroffenen gibt. Unter der Regie von Lena Stahl ist so ein packender Tatort entstanden, der sexuelle Gewalt in seiner Drastik zeigt, ganz ohne zu verharmlosen. Gleichzeitig bleibt die Folge empathisch, was nicht zuletzt deswegen so gut gelingt, weil eben zwei Ermittlerinnen und die Betroffenen im Vordergrund stehen.

Ein cleverer und schmerzhafter Kniff ist auch am Ende zu sehen, als Winkler und der Staatsanwalt sich zu einem Bier verabreden. Es wird sogar schon das MDR-Logo eingeblendet, man fühlt sich sicher, die Folge ist geschafft. Nicht ganz: Eine weitere verstörende Szene zeigt, wie eines der Opfer nach der Vergewaltigung aufwacht, ohne zu wissen, was passiert ist. Und ohne, dass die Polizei je eine Spur zu ihr gefunden hätte.

Dieser Schluss geht einem durch Mark und Bein. Er zeigt aber auch, dass das Problem nicht verschwindet, auch wenn es nach großen Skandalen wie um Till Lindemann etwas stiller geworden ist. „Was ihr nicht seht“ ist ohne jeden Zweifel einer der besten Tatorte des Jahres. Und lässt einen einmal mehr bedauern, dass Karin Hanczewski ab 2025 Schluss mit Tatort macht.