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So war der „Tatort“ aus FrankfurtJannekes und Brix vorletzter Fall scheitert an zu großen Ambitionen

Lesezeit 4 Minuten
Die problematische Beziehung zwischen Lucas Baer (Bela Gábor Lenz) und seiner Mutter Anette (Jeanette Hain) spielt im neuesten Frankfurter Tatort eine zentrale Rolle.

Die problematische Beziehung zwischen Lucas Baer (Bela Gábor Lenz) und seiner Mutter Anette (Jeanette Hain) spielt im neuesten Frankfurter Tatort eine zentrale Rolle.

Der neueste „Tatort“ zeigt auf öde Art und Weise, wie schmal der Grad zwischen Liebe, Hingabe und „Kontrollverlust“ sein kann.

Die Streamerin Cara Mauersberger (Viktoria Schreiber) wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Zwei Messerstiche in Bauch und Brust. Die Wunden deuten auf eine Affekttat hin, die zerschlagene Balkontür auf einen Einbruch. Eine Spur zum Tatverdächtigen führt im vorletzten Fall der Kommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) im neuesten Tatort Frankfurt „Kontrollverlust“ in die Gamingszene.

Denn Cara, die unter dem Pseudonym Chipmunk nur Videospiele streamt, in denen weibliche Charaktere nicht sexistisch dargestellt werden, hatte sich Feinde in der Szene gemacht. Nicht alle waren von ihren feministischen Idealen angetan.

Der Fall: War es Hater CancelChipmunk oder der aggressive Freund?

Unter ihren 12.889 Followerinnen und Followern befanden sich auch Hater. Einer hinterließ unter dem Namen CancelChipmunk eindeutige Drohungen. Sie gehöre woanders hin – und er werde zuschlagen, wenn sie es nicht einsehe.

Doch auch Caras Freund Lucas Baer (Béla Gábor Lenz) stand im Fokus von Janneke und Brix. Seine Mutter Annette (Jeanette Hain) fand ihn kurz nach Caras Tod blutverschmiert und völlig apathisch im Badezimmer. Und von Leon Hamann (Franz Pätzold), einem Angestellten von Caras Hausverwaltung, wurde beobachtet, wie er sich mit Cara lautstark gestritten haben soll. Doch Lucas beharrte darauf, seiner Freundin nichts getan zu haben.

Als Janneke und Brix scheinbar am Ende der Ermittlungen ankamen, wurde auch noch Denise Wagner (Mina-Giselle Rüffer) ermordet. Sie hatte eine Vergangenheit mit Lucas – der kurz nach ihrem Tod erneut apathisch von seiner Mutter entdeckt wurde.

Die Auflösung: Eine Mutter, die ihren Sohn beschützen will

CancelChipmunk ist eigentlich Leon Hamann. Er kommt, genauso wie Cara, aus der sächsischen Kleinstadt Döbeln. Cara war erst vor wenigen Monaten nach Frankfurt gezogen. Leon wollte sie „zurückholen“ – oder eher entführen. Denn Ostdeutschland sei ihm wichtig. Weil es dort nach der Wende nur noch bergab gegangen sei, sei es nicht richtig, „wenn jetzt gute Mädels wie Cara in den Westen abhauen“, erklärte er Janneke und Brix. Leon war jedoch nie in ihrer Wohnung, die Rückholaktion brach er ab, als er Caras Leiche entdeckte.

„Kontrollverlust“ ist der vorletzte Fall von Paul Brix (Wolfram Koch) und Anna Janneke (Margarita Broich).

„Kontrollverlust“ ist der vorletzte Fall von Paul Brix (Wolfram Koch) und Anna Janneke (Margarita Broich).

Lucas Baer wurde derweil immer mehr zum Hauptverdächtigen. Sein Leben war geprägt von starken Aggressions- und Gewaltproblemen. Seine Ex-Freundin Denise, habe er nach einem Ausraster fast umgebracht. Sie hatte deshalb Kontakt zu Cara aufgenommen, um sie vor Lucas zu warnen. Dadurch kam es zum Streit zwischen ihm und der getöteten Streamerin. Sie hätten sich jedoch ausgesprochen. Als er seine Freundin später in ihrer Wohnung entdeckte, bekam er Panik und rannte weg. Er war allerdings nicht der Mörder.

Denn Cara wurde Lucas' Mutter Annette getötet. Aus Liebe. „Sie wollte uns trennen, mit welchem Recht? Sie hatte keine Ahnung, was du mir bedeutest!“, erklärte sie ihrem Sohn. Denise tötete sie ebenfalls, mit Gift. Aus Angst, dass ihr Sohn fälschlicherweise weiter verdächtigt wird. Denn Denise erzählte ihr von ihrem Gespräch mit Cara. Zudem sei sie sich sicher, dass Lucas der Mörder sein muss. Annette Baer wollte ihren Sohn beschützen. Dazu war ihr jegliches Mittel recht.

Fazit: „Kontrollverlust“ hat mit komplexen Themen zu große Ambitionen

„Kontrollverlust“ spricht zwei große, wichtige Themen an. Zum einen der Hass gegen Influencerinnen, vor allem wenn sie noch gewisse Werte vertreten. Ein aktuelles Beispiel aus der deutschsprachigen Streamingszene ist die Österreicherin „Shurjoka“, Pia Scholz. Sie engagiert sich, genauso wie Chipmunk, feministisch.

Gegen sie wurde in diesem Jahr eine regelrechte Hasskampagne gestartet, als sie dazu aufrief, das Harry-Potter-Spiel „Hogwarts Legacy“ wegen der transfeindlichen Aussagen von Autorin J.K. Rowling zu boykottieren. In viel geklickten Videos ziehen andere Streamer über Shurjoka her, womit sie wiederum viel Geld verdienen. Aus den Communitys gibt es entsprechende Hasskommentare.

Zu anderen zeigte der Frankfurter „Tatort“ auf, was eine toxische Mutter-Sohn-Beziehung auslösen kann. Annette Baer ist dabei mehr als eine Helikopter-Mutter. Sie zeigt Verhalten, welches in der Psychologie „Iokaste-Komplex“ genannt wird. Ein Gegenstück zum „Ödipus-Komplex“. „Ich habe immer probiert, die Waage zwischen Kontrolle und Loslassen zu halten, Mutter sein ist schon was Seltsamer, oder?“, fragte sie einmal Kommissarin Janneke.

Doch Annette hatte zu große Angst davor, dass ihr Sohn eigenständig wird. Sie gab dafür sich selbst und ihre Menschlichkeit auf und ging dafür wortwörtlich über Leichen. Schließlich führte all das nur dazu, dass das passierte, was sie nie wollte. Sie verlor ihren Sohn, dem wiederum eine große Last auf traumatische Art und Weise genommen wurde.

Der Frankfurter „Tatort“ von Elke Hauck, die ebenfalls Regie führte, und Sven S. Poser hatte mit „Kontrollverlust“ vermutlich große Ambitionen. Doch diese beiden komplexen Themen erfordern viel Erklärung und Hintergrund, wie etwa die Streamingszene, die für ältere Zuschauende, wie auch für die Kommissare Neuland sein dürfte.

Der vorletzte Fall von Janneke und Brix wurde dadurch leider stellenweise ziemlich langatmig. Es wäre gut gewesen, sich auf einen Aspekt zu konzentrieren. Dadurch hätte die Handlung im „Tatort“ aus Frankfurt atmen können, was wiederum einigen Figuren, vordergründig der obsessiven, aus Hingabe mordenden Mutterfigur, dabei geholfen hätte, nicht so hölzern zu wirken.