Die Wunden heilen nichtSo wird der „Tatort“ aus Freiburg
Freiburg – Es gibt ein Weinfest, immer steht auf solchen Feiern irgendwo ein Mann herum, der keine abbekommt und grimmig in die Ferne blickt. Er schaut, wie in den Hitchcock-Krimis oft die Muttersöhnchen guckten, bei denen man gleich wusste, dass sie Frauen in die Mangel nehmen, wenn die nicht parieren. Doch wir reden hier von einem “Tatort” aus dem Jahr 2020, das Geschlechterdrama zeigt sich mittlerweile nicht mehr ganz so grell.
Der Mann, der einsam in der Ecke steht, heißt Lewandowsky (Marek Harloff). Weil das in der Welt, in der er lebt, wahrscheinlich lustig ist, trägt er ein Trikot vom Bayern-Stürmer Lewandowski, den man sehr ähnlich schreibt. Dieser Sportler Lewandowski ist ein Kerl, der Kapital aus jeder Flanke schlägt – anders als Mario Lewandowsky aus der Freiburger “Tatort”-Folge “Rebland” (27. September, 20.15 Uhr im Ersten), der im Liebesleben über seine eigenen Füße fällt. Beruflich ist er Polizist. Und nebenher vielleicht ein Sittentäter?
Ein DNA-Test soll Klarheit bringen
Auf dem Heimweg vom Weinfest wird Beate Schmidbauer (Victoria Trautmansdorff), eine Freundin der Kripochefin Cornelia Harms (Steffi Kühnert), bewusstlos geschlagen und vergewaltigt. Es gibt DNA-Spuren, ein Reihentest mit Männern der Region soll Klarheit bringen. Einige verweigern ihre Speichelprobe, niemand kann gezwungen werden. Dieser renitente Rest wird ausgestellt als Hinterwälder, Freaks und Gockel mit zwei Handvoll Gel im Haar.
Es ist eine Freude anzusehen, wie Eva Löbau still und vollständig gegen den Strich dieses Berufsprofils die Kommissarin Tobler spielt. Zusammen mit dem Kollegen Berg (Hans-Jochen Wagner) übernimmt sie die Ermittlungen. Sie tut es mit offenen Kinderaugen – angelegt ist die Figur im Grunde eher als Praktikantin, die sich straffen muss, um ihrer Umwelt mitzuteilen: Ich tue das beruflich, ich spiele nicht nur Detektivin in der Freizeit. Franziska Tobler fühlt sich zuständig für die Gefühle der Verbrechensopfer. Wahrscheinlich würde sie als Zeichen, dass sie es mit ihrer Arbeit ernst meint, gerne die Bibel hochhalten, lieber jedenfalls als ihren Dienstausweis, den sie manchmal selbst ein wenig ungläubig betrachtet.
Für „Tatort“-Fans
„Tatorte“ gibt es viele: klassisch, experimentell, spannend oder doch eher langweilig? In unserer Vorschau erfahren Sie immer bereits ab Samstag, wie der kommende „Tatort“ werden wird.
Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.
Ihre instinktive Arbeit bringt eine moralische, fast weltfremde Note in den „Tatort“. Nichts wird hier mit Effekten oder schrillen Pointen überspielt. Regisseurin Barbara Kulcsar (Drehbuch: Nicole Armbruster) zeigt in “Rebland” eine Geschichte, die auch in den 70er-Jahren hätte spielen können, die Kulissen geben das zumindest her.
Im Dorfbild ist nicht viel passiert während der letzten 50 Jahre. Die kleine Tankstelle ändert die Preise immer noch per Hand, im Friseursalon wirken die Haarschnitte wie in sehr alten “Derrick”-Filmen. Doch es gibt in dieser Folge eine neue Geisteshaltung: Feminismus. Nicht die laute Variante aus der Großstadt, eher zeigt er sich in einer leisen, ländlichen Spielart.
Trost in der Musik
Die Regisseurin Kulcsar kümmert sich eingehend um das Opfer des Verbrechens. “Ich möchte nicht, dass sich das so rumspricht”, sagt Schmidbauer zu den Kommissaren. Sie tut, als wäre nichts geschehen. Trost findet sie in der Musik von Blur (“Song 2”) oder Janis Joplin (“Bobby McGee”). Doch die Wunden heilen nicht.
Wir hatten Lewandowsky schon, der im Dienstwagen so etwas wagt wie einen Flirt mit der Kollegin. Er gilt als möglicher Täter. Das gilt auch für Victor Baumann (Roman Knizka), einen Frisör, der vor vielen Jahren bei der “Sitte” aufgefallen ist. Schließlich zählt Klaus Kleinert (Fabian Busch) zum Kreis der Verdächtigen, weil er sich als nervenschwacher, alleinerziehender Vater zeigt. Er holt die kleine Tochter, die man ihm entzog, auf eigene Faust aus ihrer Pflegefamilie. Die beiden fahren in den Urlaub.
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Diese Männer haben Probleme mit Partnerschaft. Am Ende wird jener überführt, der mental tatsächlich in den grauen Zeiten lebt, als Hitchcock noch das Frauenbild geprägt hat, mit starren, weltabgewandten Blondinen. Dass dieser Film es schafft, ohne Kampfparolen und geballter Faust die Kraft von Sehnsucht und Verklemmtheit auszuleuchten, ist ein Kunststück, das nicht jeden Sonntagabend gelingt.