Tupac ShakurHier steht das wohl einzige Denkmal für einen Schwarzen in Deutschland
- In der ostwestfälischen Kleinstadt steht ein sieben Meter hohes Denkmal für den berühmten Musiker Tupac Shakur.
- Aber warum ist das so? Eine Reise nach Herford auf der Suche nach einer Erklärung.
- Eine Spurensuche aus unserem Archiv.
Herford – Ein Stern, auf Englisch „Star“, entsteht, wenn der Kern einer Molekülwolke kollabiert. Ein komplexes System aus klitzekleinen Teilen fällt in sich zusammen. Und aus einer Art Nebel wird ein Schein, der mehrere Lichtjahre weit reicht.
Am 7. September 1996 schießt ein Unbekannter an einer Ampel in Las Vegas zwölf Kugeln auf einen schwarzen BMW. Fünf davon treffen Tupac Amaru Shakur, einen Jungen aus dem Ghetto, einen ehemaligen Drogendealer, einen der bedeutendsten Musiker des Jahrzehnts. Seine Songs handeln von Gangs, Reue, Rassismus. Manche sagen, Tupac habe den Gangsta-Rap erfunden. Manche sagen, Tupac habe den Kampf für die Rechte der Schwarzen in den USA genauso geprägt wie Martin Luther King oder Malcolm X. Manche sagen, Tupac sei in den Wochen bevor die Projektile in den Wagen schlugen, auf dem Höhepunkt seiner Karriere gewesen.
Tupac Amaru Shakur stirbt sechs Tage später, am 13. September 1996, mit nur 25 Jahren, in einem Krankenhaus in Nevada.
So viel dazu.
Tupacs Auferstehung in Herford
Der Platz, an dem er wieder auferstand, liegt 8.801 Kilometer entfernt. An diesem waschbetongrauen Morgen allerdings glaubt man, bei der Berechnung muss ein Fehler unterlaufen, es müssen Lichtjahre sein. Herford, Ostwestfalen. Kirche als Wahrzeichen, 67.000 Einwohner. Ein bundesdeutscher Dazwischen-Ort, der von der Autobahn 2 gelöffelt wird. Zu groß für eine Kleinstadt, zu klein für ein einstelliges Kfz-Kennzeichen. Angeblich wurde hier die erste Einbauküche der Welt gefertigt und so sieht es auch aus. Kurze Wege, alles gut erreichbar, kaum etwas unangenehm hoch. Wer spazieren mag, dem sei Herford empfohlen. Man kann hier gut spazieren.
Bis plötzlich Tupac Shakur vor einem steht. Oberkörperfrei, überlebensgroß, fast sieben Meter hoch, die Hände auf dem Rücken. Er hat steinharte Bauchmuskeln, und überhaupt: er ist aus Stein. Er, Tupac Shakur, ist hier eine Statue auf einem Betonsockel, der aus dem Boden schießt, als hätte ihn die Naturgewalt da höchstselbst herausgetrieben.
Nur: Warum ausgerechnet in Herford?
Das ist die Frage, die es zu beantworten gilt und weswegen sich der Reporter aus Köln hierher begeben hat. Natürlich nicht ohne Vorab-Vergewisserungen: Nein, Tupac hat diese Stadt nie besucht, er ist weder Ehrenbürger, noch hat er entfernte Verwandte hier wie etwa Leonardo DiCaprio in Oer-Erkenschwick (Großmutter). Tupac selbst, soviel Spekulation muss erlaubt sein, kannte die Stadt Herford wahrscheinlich nicht. Stattdessen ergibt sich eine originellere Ausgangslage:
Ein anderer sehr erfolgreicher Rapper, deutsch und sehr lebendig, Casper genannt, behauptete einst in einem Interview, es gäbe in seiner Heimat eine, jene Tupac-Statue. Angeblich, so wurde es ihm zugetragen, habe der Schöpfer dieser Statue, ein Künstler, sein Werk im Rahmen einer Ausstellung nach Herford gebracht. Und dieses dort dann einfach zurückgelassen, weil die Kosten für den Rücktransport zu hoch gewesen sein.
Das natürlich wäre Stoff für eine herrliche Geschichte. Dass an einem Ort, der sich anhand folgender Fakten sehr gut beschreiben lässt:
- Ein Viertel der Menschen in Herford ist über 65 Jahre alt
- In Herford gibt es mehr Schützenvereine als Discotheken
- Der größte Bezirk in Herford heißt „Herford-Stadt“
dass an diesem Ort also, in dem die Zielgruppe für „Gangsta-Rap“ so überschaubar scheint wie die Bahnsteige am Bahnhof (es sind vier), nun für immer ein Denkmal für einen Gangsta-Rapper im Zentrum steht, nur weil ein Künstler zu pleite war, seine Skulptur wieder mitzunehmen.
Auf der Suche nach der Erklärung
Termin Nummer eins: der Chef. Roland Nachtigäller ist ein großer, herzlicher Mann, der aussieht, wie Männer Ende 50 eben so aussehen, vielleicht eine Spur zu jung, aber sonst: ordentlicher Scheitel, Brille, einfarbiges Hemd, Sakko. Er könnte Versicherungsfachmann sein, Physik-Professor oder SPD-Ortsvorsitzender. Jedenfalls sieht er nicht aus wie jemand, der sich eine Tupac-Statue vor die Tür stellt. Und als er kam, war sie ja auch schon da.
Nachtigäller ist seit zehn Jahren künstlerischer Direktor im „Marta“, eines der führenden Museen für zeitgenössische Kunst. Eröffnet 2005. In Herford. Das Gebäude, entworfen von Starachitekt Frank Gehry, Baustil Dekonstruktivismus, dekonstruiert tatsächlich in beachtlicher Weise das Stadtbild. Wie Wackelpudding-Klumpen fallen auf dem Dach Ziegelblöcke aneinander. Darunter klammert sich Wellblech an die Fassade, dass man spätestens davorstehend denkt: Ja, hier ist ein Ufo gelandet und hat einen Toten als Türsteher mitgebracht: Hallo, Tupac, schön dich zu sehen, ich muss hier mal kurz vorbei, bis gleich.
Drinnen allerdings doch irdischer Museumsflair, Infostand, Spinds, Kultur-Rentnergruppen. Es liegen Postkarten aus mit Sprüchen von Novalis, Serge Gainsbourg. Und Tupac. If you can make it through the night, there’s a brighter day.
Nachtigäller bittet an einen Tisch im Café, wirkt durchaus aber ein wenig überrascht, dass man den weiten Weg gemacht hat, nur für diese Statue. Er denkt, dass die Erklärung ganz schnell geht. Und zwar so:
Die Tupac-Statue ist ein Werk des italienischen Künstlers Paolo Chiasera und trägt den Namen „Tupacproject“. Sie war Teil der allerersten Ausstellung im Marta, damals entschied man sich, sie außerhalb, direkt vor dem Eingang, zu platzieren. Dazu noch ein paar Museumsdirektor-Schlauheiten: Es sei außerdem das einzige Denkmal für einen Schwarzen in ganz Deutschland. Der Betonsockel sei Freifläche für Graffiti-Künstler. Jeder dürfe kommen und dransprühen, was er möchte. Mache nur irgendwie in Herford niemand. Komisch. Wirklich? Ne, irgendwie nicht.
Also, Herr Nachtigäller, warum steht diese Statue denn noch immer hier, obwohl die Ausstellung 14 Jahre her ist?
Eine Dauerleihgabe eines lokalen Kunstsammlers. Habe der damals gekauft.
Ja, aber warum denn nur? Warum hat der sich gedacht, dass das eine gute Idee wäre, ein Tupac-Denkmal für Herford?
Gut, das könne er jetzt auch nicht so genau sagen, sagt Nachtigäller, er jedenfalls möge den Tupac sehr, wie eine Wächterfigur komme der ihm vor. Und früher, vor dem Bau des Museums, sei das hier ja auch das Bahnhofsviertel gewesen, ein ganz klassisches mit Bordellen, Kneipen, Drogen. Passe ja irgendwie.
Ja, vielleicht in einen Jörg-Fauser-Roman, aber doch nicht zu Tupac, man, Tupac war Großstadtstraßenrausch, Schießereien, Gefängnis. Ein Leben als Blockbuster-Blaupause. Jetzt mal ehrlich, müsste diese Büste nicht in New York, Los Angeles, Chicago stehen?
„Kontextverschiebung“, sagt Nachtigäller, lässt eine kurze Pause, lächelt. Man solle mal den Kunstsammler anrufen. „Aber verrennen Sie sich nicht: Gute Kunst muss Fragen stellen. Und es ist doch der spannendste Moment, wenn man etwas nicht versteht.“
Einziges Denkmal ohne Aufstellungslogik?
Wieder draußen. Wieder vor Tupac. Auf der anderen Straßenseite steht eine Schulklasse und versucht, die Skulptur aus der Luft abzuzeichnen. Zweifel. Ist die Statue vielleicht das einzige Denkmal in Deutschland ohne eine Aufstellungslogik? Ist vielleicht das die Geschichte?
Das Beethoven-Denkmal steht in Bonn, weil er dort geboren wurde, das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar, weil sie dort gestorben sind. Und vor allem: Weil diese Menschen dazwischen nachhaltig vorrangig eine Kultur geprägt haben: die deutsche. Aber Tupac, der hat weltweit 75 Millionen Tonträger verkauft. Jugendliche liebten ihn in Deutschland, genauso wie in den USA. Wahrscheinlich auch in Herford. Hat sich mit diesem grenzenlosen Ruhm nicht auch das Gedenken längst globalisiert? Würde sich wirklich jemand wundern, wenn sie morgen etwa ein John-Lennon-Monument in Minden oder eine Kurt-Cobain-Gedenktafel in Porta Westfalica aufstellen?
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Ja, wahrscheinlich schon. Also weiter. Anruf beim Kunstsammler. Der Besitzer von Tupac betreibt eine Firma, die Maschinen und Anlagen für die Veredelungen von Holzwerkstoffen herstellt. Er heißt Heiner Wemhöner. Also, wie kam Tupac denn zu Ihnen?
Na, der stand dort, bei der ersten Ausstellung, und der ehemalige und erste Museumsdirektor, Jan Hoet, ein Belgier, ehemaliger Documenta-Chef, in seinen letzten Jahren selbst mehr Popstar als Kunsthistoriker, fand die Statue so toll, die musste einfach da bleiben. Daraufhin, aus dem Gedächtnisprotokoll des Kunstsammlers, folgender Dialog:
Wemhöner: „Wie kriegen wir das hin?“ - Hoet: „Du musst ihn kaufen.“
Also kaufte Wemhöner Tupac, obwohl er den künstlerischen Wert nicht einordnen konnte. Hatte er doch selbst noch nie einen Song von Tupac gehört. „Aber wenn Jan Hoet das so wollte… Wissen Sie, es gab vor dem Marta für niemanden einen Grund, nach Herford zu kommen. Jetzt ist das anders.“ Ja, stimmt, jetzt kommen sogar Reporter, nur um über die Kunst auf dem Vorplatz zu schreiben.
Der anonyme Informant
Der Tagesausflug neigt sich dem Ende zu, da meldet sich ein Mann mit Telefonnummer aus Frankreich. Er habe, sagt er, Informationen zur Statue, möchte aber u-n-b-e-d-i-n-g-t unerkannt bleiben. Natürlich, natürlich, gerade das ist ja die Wendung, die man jetzt haben wollte, der geheime Informant mit dem brisanten Material, der kurz vor Schluss um die Ecke kommt. Anonym, kein Problem. Wir nennen ihn hier – er ist nämlich ein, so erzählt er, in Frankreich lebender Italiener – Bernardo.
Also Bernardo, was weißt du?
Nun ja, es gebe nicht nur diese eine Statue, insgesamt gebe es sogar drei, dazu noch einen Prototypen, alle identisch, alle entstanden 2003. Eine von ihnen stand mal in Bologna, unter einer Brücke, die Straßenreinigung habe sie allerdings in den Müll geworfen. Man holte sie rechtzeitig vor der Abfuhr wieder heraus und brachte sie nach Turin, wo sie auf einer Piazza ausgestellt wurde. Die Menschen dort gingen respektvoller mit Tupac um, hätten gar regelmäßig Blumen niedergelegt. Eine andere Statue wurde 2007 auf einem Schulhof in London installiert. Beide aber seien mittlerweile zum Künstler zurückgekehrt.
So bleibt nur noch die in Herford öffentlich. Und dass sie dort blieb, das sei nicht die Idee von Museumsdirektor Hoet gewesen, nein, sondern von Frank Gehry, dem Stararchitekten.
„Eigentlich ist es doch ganz schön“, sagt Bernardo, „dass die einzig verbliebene Statue an einem Ort steht, wo man Tupac wirklich nicht vermutet hätte. So ist sie für lange Zeit ein Symbol dafür, wie viele Grenzen er überwunden hat.“
Schön gesagt, Bernardo. Aber, jetzt mal ehrlich, die Geschichte mit dem fehlenden Budget für den Rücktransport, da ist also nichts dran?
„Wissen Sie, der fünf Meter hohe Sockel aus Zement, der wurde erst in Deutschland gegossen.“ Es wäre doch schon sehr schwierig geworden, sagt Bernardo, den nach Italien zu bringen.
Die Geschichte ist im Januar 2020 zuerst im „Kölner Stadt-Anzeiger“ erschienen.