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Ulrich Wickert„Schließung von Goethe-Instituten ist falsches Signal“

Lesezeit 6 Minuten
Ulrich Wickert 2023 in der ARD-Talkshow maischberger.

Ulrich Wickert 2023 in der ARD-Talkshow maischberger.

Ulrich Wickert kritisiert die geplante Schließung von Goethe-Instituten in Frankreich.

Herr Wickert, warum glauben Sie, dass es zur Zeit ein falsches Signal ist, Goethe-Institute in Frankreich zu schließen?

Ich finde es nicht nur zurzeit ein falsches Signal - es ist grundsätzlich ein falsches Signal. Wenn Sie sich den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag angucken - also nicht nur den aus dem Jahr 1963, den de Gaulle und Adenauer damals unterschrieben haben. Sondern den Aachener Vertrag, der von Macron und Merkel unterschrieben ist. Dort ist ganz klar das Bekenntnis festgehalten, dass man die Sprache des jeweils anderen fördern will und das Verständnis füreinander. Dazu benötigt man natürlich genau diese Goethe-Institute. Gerade in Orten wie zum Beispiel Bordeaux, das im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt war. Mit unserer Vergangenheit ist es doch besonders wichtig, das Verständnis untereinander weiter zu fördern. Und ich bin der Meinung, dass das sehr viel wichtiger ist, als stattdessen jetzt ein Goethe-Institut auf den Fidschi-Inseln aufzubauen.

Vernachlässigt Deutschland die besondere Beziehung zu Frankreich?

Leider hat man in den vergangenen 20 Jahren ja schon die Gelder für die Arbeit der Goethe-Institute reduziert. Das finde ich tatsächlich eine Missachtung des Gedankens der deutsch-französischen Freundschaft. Und gerade in diesem Moment ist es besonders unglücklich, so etwas einfach ohne vorherige Rücksprache auch mit den betroffenen Städten zu verkünden. In Bordeaux, Lille und Straßburg ist das Entsetzen groß. Ich finde das besonders schlimm in einer Zeit, in der es sowieso ein schwieriges Verhältnis zwischen den beiden Regierungen gibt. Denn dadurch wird das ohnehin gestörte Grundvertrauen noch weiter belastet.

Woran machen Sie dieses gestörte Grundvertrauen fest?

Es gibt einfach grundsätzliche Probleme, zum Beispiel in der Frage der gemeinsamen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, wenn es um die Waffenproduktion geht. Oder in der Atomenergiepolitik. Die Franzosen setzen auf Atomenergie und machen dann den Deutschen Vorwürfe, dass sie immer noch mit Kohle heizen. Und wir Deutschen verstehen nicht, wie die Franzosen noch Atomenergie fördern können. Aber kaufen dann den französischen Atomstrom. Da sind auf beiden Seiten, also insbesondere auch bei uns, natürlich Ideologen am Werke.

Ist die geplante Schließung der Goethe-Institute für Sie auch ein Symbol?

Politische Freundschaften haben immer auch mit Symbolen zu tun. Der Kniefall von Willy Brandt in Polen. Das Bild von Kohl und Mitterrand in Verdun auf dem Soldatenfriedhof. Das sind alles Symbole, aber diese Symbole sind unglaublich wichtig. So entsteht gegenseitiges Vertrauen. Und es wäre ja jetzt auch sehr wichtig, mehr auf den französischen Präsidenten und seine Visionen einzugehen.

Sowas wie Fingerspitzengefühl existiert in der derzeitigen politischen Kommunikation überhaupt nicht.
Ulrich Wickert

Im September 2017 hielt Emmanuel Macron an der Sorbonne eine berühmte Rede zur Zukunft der EU und Europas. Die deutsch-französische Partnerschaft sei „entscheidend für Europa“, sagte er damals.

Es war ein Fehler, dass weder Angela Merkel noch der eigentlich außenpolitisch kaum bedeutsame Herr Maas auf diese Rede von Macron geantwortet haben. Die einzige Reaktion kam von Annegret Kramp-Karrenbauer und die war unglaublich unsensibel. Um zu sparen, schlug sie vor, Straßburg als Tagungsort des Europäischen Parlaments zu streichen. Sie hatte aber nicht daran gedacht, dass man den Franzosen damit einen unglaublichen Schmerz zufügt - mal ganz davon abgesehen, dass Straßburg in den römischen Verträgen festgeschrieben ist.

Es fehlt also von deutscher Seite an Fingerspitzengefühl?

Sowas wie Fingerspitzengefühl existiert in der derzeitigen politischen Kommunikation überhaupt nicht. Man muss doch solche Entscheidungen wie mit den Goethe-Instituten wenigstens mit einer gewissen Freundlichkeit vermitteln. Frankreich ist da natürlich auch nicht immer vorbildhaft, aber wenn zum Beispiel Olaf Scholz eine Europarede in Prag hält und dort nicht mit einem Wort auf Macrons Europavorstellungen eingeht – dann sage ich: Das ist ein Fehler. Da müssen wir einfach überlegen, wie wir gemeinsames Vertrauen wieder herstellen. Es ist vielleicht eine Vertrauensmaßnahme, dass Olaf Scholz Emmanuel Macron jetzt nach Hamburg eingeladen hat. Das ist endlich mal ein persönliches Zeichen.

Olaf Scholz (l.) mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron an einer Fischbude in Hamburg.

Olaf Scholz (l.) mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron an einer Fischbude in Hamburg.

Also stehen die Zeichen doch eher auf Versöhnung?

Ja, aber Sie ahnen gar nicht, wie entsetzt auch die französischen Kulturschaffenden über die Schließung der Goethe-Institute sind. Damit zeigt unsere grüne Außenministerin ja, dass man gegenüber den Franzosen überhaupt keine Rücksicht nehmen will. Und auch aus Deutschland haben wahnsinnig viele renommierte Leute den offenen Brief der Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften (VDFG) für Europa unterschrieben, in dem der Erhalt der Goethe-Institute gefordert wird: Patrick Süskind, Volker Schlöndorff, der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann. Einfach weil sie genauso entsetzt sind wie die Franzosen.

Glauben Sie, die Deutschen können diesen Fauxpas wieder ausbügeln?

Es ist unglaublich wichtig, dass man den anderen auch mit kleinen Gesten Respekt zeigt - das können die Franzosen besser als wir. Es ist natürlich gerade auch nicht einfach. Die Franzosen haben einen Präsidenten, der Visionen hat, Dinge verändern will. Und wenn dann Olaf Scholz sagt: Ja, das müssen wir mal im Detail ausarbeiten. Dann sagt Macron: Das können dann ja unsere Beamte machen. Und das führt natürlich auch nicht weiter. Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing hatten den großen Vorteil, dass sie beide Finanzminister gewesen waren. Sie haben gemeinsam das europäische Währungssystem erfunden, aus dem dann sehr viel später der Euro geworden ist. Und genau wie damals muss man sich jetzt überlegen: Wo finden wir Gemeinsamkeiten, um Deutschlands und Frankreichs Stärke zu zeigen und Europa voranzubringen. Wenn in Europa alle sagen: Die beiden Länder bremsen nur, weil sie sich nicht einigen können - dann haben wir offensichtlich ein Problem.


Ulrich Wickert, geboren 1942 in Tokio, moderierte von 1991 bis 2006 die ARD-Tagesthemen. Unter anderem war er auch Frankreich-Korrespondent und Leiter des Pariser ARD-Studios. Im November 2005 wurde er wegen seiner Verdienste um die deutsch-französischen Beziehungen zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Wickert gehört zu den Unterzeichnern eines offenen Briefs der Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften (VDFG) für Europa. Darin wird der Erhalt der Goethe-Institute gefordert.

Die Stadt Köln verbinden übrigens sehr besondere Städtepartnerschaften mit Turin in Italien, Rotterdam in den Niederlanden und Lille, wo sich das erste in Frankreich gegründeten Goethe-Institut befindet. Die vier Städte sind in einer europäischen Ringpartnerschaft seit 1958 miteinander verbunden, einzigartig in Europa. Und in allen drei Partnerstädten soll das Goethe-Institut geschlossen werden, betont Ulrich Wickert.

Das für die internationale Kulturpolitik zuständige Goethe-Institut steht vor grundlegenden Reformen mit Schließungen von Instituten und weltweiten Stellenkürzungen. Von den bisher weltweit 158 Instituten sollen die Standorte in Bordeaux, Curitiba (Brasilien), Genua, Lille, Osaka, Rotterdam, Triest, Turin und Washington geschlossen werden. Hinzu kommt das Verbindungsbüro in Straßburg. Vom Stellenabbau im internationalen Netzwerk sind 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen. Verbunden mit den Reformen sind auch neue Schwerpunkte. So soll neben Warschau und Krakau eine weitere Präsenz in Polen aufgebaut werden. Neue Goethe-Institute soll es geben in der Republik Moldau, im Südpazifik, in Texas sowie dem Mittleren Westen der USA.