Unesco-WeltkulturerbeAlte jüdische Gemeinden am Rhein bewerben sich
Speyer/Worms/Mainz – Speyer, die Stadt im Rhein-Neckar-Gebiet, war im Mittelalter ein bedeutendes Zentrum im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation – vor allem präsentierte sich gemeinsam mit Worms und Mainz die dortige jüdische Gemeinde als die geistige Mitte von Aschkenas, wie in der mittelalterlichen rabbinischen Literatur Deutschland bezeichnet wurde. Spira, Warmaisa, Magenza – die Anfangsbuchstaben der hebräischen Städtenamen ergeben das Akronym SchUM, mit dem sich für Rheinland-Pfalz aktuell ein besonderes Projekt verbindet: Endlich sollen die jüdischen Stätten des Landes in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen werden – die Entscheidung über den Antrag fällt in wenigen Tagen, wird ihm zugestimmt, wäre dies eine Premiere: Erstmals in Deutschland würden jüdische Stätten mit dem Titel ausgezeichnet.
„Wie sehr gehören unsere Lehrer in Mainz, in Worms und in Speyer zu den gelehrtesten der Gelehrten, zu den Heiligen des Höchsten“, heißt es in einer Lobrede aus dem 13. Jahrhundert. „Von dort geht die Lehre aus für ganz Israel. Seit dem Tage ihrer Gründung richteten sich alle Gemeinden nach ihnen, am Rhein und im ganzen Land Aschkenas.“ Seit dem 12. Jahrhundert tauschten sich die Juden der drei Städte darüber hinaus in politisch geprägten Zusammenkünften aus und diskutierten gemeindeübergreifend Fragen des Rechts im Geiste der Thora.
Das Rashi-Haus in Worms
Mitte des 11. Jahrhunderts kam Shlomo Ben Jitzach, genannt Raschi, der bis heute bedeutende Kommentator von Thora und Talmud, nach Worms. Zehn Jahre später kehrte er in seine Heimat, ins französische Troyes, zurück, wo seine überragende theologische Karriere begann. In Worms ist heute das einstige Tanz- und Hochzeitshaus im Süden des Synagogenviertels nach ihm benannt. Das Raschi-Haus beherbergt ein Museum, das den Unesco-Antrag 2020 zum Anlass nahm, die Geschichte der SchUM-Gemeinden auch in multimedial aufbereiteter Form zu erzählen – und im Gewölbe, vermutlich dem ehemaligen Weinkeller des Gebäudes, mit dem Golem des amerikanischen Bildhauers Joshua Abarbanel moderne Kunst zu zeigen.
Weitere Infos
Köln mit seinem neu entstehenden Jüdischen Museum im Archäologischen Quartier am Rathaus könnte sich der Unesco-Bewerbung der SchUM-Städte anschließen. In der Diskussion ist aber auch eine gemeinsame Kölner Bewerbung mit der Alten Synagoge in Erfurt.
Die Synagoge in Worms ist aufgrund von Restaurierungsarbeiten derzeit für den normalen Besucherverkehr geschlossen.
Unter der Adresse www.schumstaedte.de lassen sich auch die Apps herunterladen.
Der Wormer Machsor und Soundcollagen aus dem jüdischen Viertel, das „Unetaneh tokef“, ein Gebet der aschkenasischen Juden, und seine Neuinterpretation durch Leonard Cohen unter dem Eindruck des Jom-Kippur-Kriegs – im Raschi-Haus durchdringen sich Vergangenheit und Moderne, so wie das SchUM-Projekt überhaupt mit Erfolg versucht, den Anschluss ans Heute zu finden: Zwei Apps informieren über die Gemeinden, sie bieten wertvolle Überblicke und Einordnungen vor Reisebeginn, und sie leiten die Besucher an den Orten selbst durch die Bauwerke und an den Monumenten entlang – so auch zur Synagoge in direkter Nachbarschaft zum Raschihaus, deren Vorläuferfragmente bis ins Jahr 1034 weisen. Als älteste Synagoge Europas beanspruchte sie auch baulich Vorbildfunktion, hier entstand die erste Frauenschul. 1938 legten die Nationalsozialisten Feuer in ihren Mauern – 1957 begann der Wiederaufbau, obwohl es die jüdische Gemeinde von Worms nicht mehr gab.
Ein paar Straßenzüge weiter begrenzt die Bahnlinie Mannheim-Mainz zum Westen hin den Heiligen Sand, den ältesten in situ erhaltenden jüdischen Friedhof in Aschkenas mit rund 2500 Grabsteinen. Wie beim Pogrom von 1615 war die Ruhestätte immer wieder Ziel von Grabschändungen, Ende des 19. Jahrhunderts versuchten Vandalen, Steine die Böschung hinab auf die Gleise zu werfen – ohne Erfolg. Die Bahnstrecke in ihrem tiefen Graben stört die Ausstrahlung des Ortes nicht: Der Heilige Sand erstreckt sich sanft über Hügel, 1260 wurde der Friedhof von einer Mauer umgeben, die wenn schon nicht wirklich schützend, so aber strukturgebend wirkt, und wer zum majestätischen „Martin-Buber-Blick“ gelangt, schaut über die Gräber hinweg auf den rötlich schimmernden Dom, dessen Turmspitzen himmelwärts zeigen wie die Grabsteine selbst.
Autoverkehr rauscht in Mainz am Judensand vorbei
Die Inszenierung von Weltkulturerbe stellt man sich mitunter anders vor. Der Autoverkehr der Mainzer Mombacher Straße rauscht am Judensand vorbei, dem Friedhof, dessen älterer Teil 1286 erstmals erwähnt wird. Es ist ein eigentümlicher Kontrast, der sich aus den ernsten, aufrecht stehenden Grabsteinen im Schatten der Bäume und dem Getöse des Stadtverkehrs ergibt. Alles hätte hier noch schlimmer kommen können: Grabsteine wurden im Laufe der Jahrhunderte in Straßen und Brücken verbaut; 2007 wollte die Stadt auf dem Gelände Villen mit Rheinblick errichten. Das Vorhaben scheiterte nicht zuletzt am Einspruch der Mainzer jüdischen Gemeinde, die sich nach dem Holocaust hier wieder etabliert und ihr Gemeindezentrum in der neuen, von Manuel Herz in der Form von fünf hebräischen Buchstaben erbauten Synagoge hat.
Ein Erfolg der Unesco-Bewerbung wäre eine große Hilfe. „Die Vermittlungsarbeit wird nach Anerkennung der SchUM-Stätten eine große Rolle spielen“, heißt es auf Anfrage dazu aus dem Innenministerium in Rheinland-Pfalz. „Es wird in allen drei Städten über Welterbe-Informationszentren nachgedacht. Die Stadt Mainz ist da sicher in ihren Überlegungen mit dem im letzten Jahr durchgeführten Planungswettbewerb zur Öffnung und Erschließung des Friedhofs und einem Besucher-Pavillon am weitesten.“
Jüdische Bürger sollten Speyer zur Weltstadt machen
Christliche Würdenträger wie Rüdiger, der Bischof von Speyer, erhofften sich durch die Ansiedlung der Juden eine Aufwertung ihres Sprengels, ja zur „Weltstadt“ sollte sich Speyer dank der gebildeten und vielfach weitgereisten Neubürger mausern. „Die herbeigeholten Juden siedelte ich deshalb außerhalb der Gemeinschaft und den Wohnplätzen der übrigen Bürger an und umgab ihre Siedlung mit einer Mauer, damit sie nicht durch Viehherden gestört werden“, heißt es in Rüdigers Privileg aus dem Jahr 1084. Der Judenhof von Speyer, wiewohl abgetrennt von der christlichen Stadtgesellschaft, liegt nur wenige Schritte von der trutzigen Kathedrale entfernt: in ihrem Schutz, und zugleich auf Distanz.
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Heute betritt man das Gelände durch das Museum Schpira, das auf einer relativen kleinen Ausstellungsfläche Grabsteine, Doppelbogenfenster und Fragmente der mittelalterlichen Synagoge zeigt – deren Überreste erheben sich im Gestalt der erhaltenen Mauern, der angrenzenden Frauenschul und der als Bodendenkmal überlieferten Jeschiwa im gartenähnlich gestalteten Innenhof, der zugleich das wohl eindrücklichste Monument der SchUM-Gemeinden bereithält. Es ist die in romanischem Stil gehaltene Mikwe, das rituelle Bald, in das man rund elf Meter hinab bis zum Grundwasser steigt.
Friedliche Koexistenz und erbitterte Feindschaft; Wohlstand, Wissenschaft und religiöse Entfaltung einerseits – Hass und Verfolgung, Pogrome in der Kreuzritterzeit und im Schatten der Pest und im 20. Jahrhundert die Shoah: ein Besuch der SchUM-Städte ist eine Reise in die wechselvolle Geschichte von Aschkenas. Wie im Inneren der Mikwe ist es ein Gang vom Licht durch die Dunkelheit und wieder hin zum Licht, ein Vorantasten hinab in die Geschichte der drei jüdischen Gemeinden am Rhein. Es ist mehr als wünschenswert, es ist geboten, dass deren Strahlkraft durch den Titel des Weltkulturerbes noch einmal betont wird.