Köln – Herr Professor Ubl, im Jahr 321, vor 1700 Jahren also, erwähnte Kaiser Constantin die Jüdische Gemeinde zu Köln in einem Erlass. Was war der Anlass dafür?Karl Ubl: Es kam die Frage auf, inwiefern sich die jüdischen Einwohner Kölns an der Verwaltung der Stadt beteiligen sollten. Damit waren erhebliche Lasten verbunden, die das persönliche Vermögen betrafen, weshalb es viele ablehnten, sich am Stadtrat zu beteiligen. Deshalb wurde an Kaiser Constantin die Frage gerichtet, ob sich Juden am Rat beteiligen sollten, was er positiv beschied.
Wie lässt sich das Verhältnis von Juden und Nicht-Juden zur damaligen Zeit beschreiben, in Köln und überhaupt im Römischen Reich?
Da Constantins Erlass das einzige Dokument aus der Spätantike darstellt, können wir zu diesem Verhältnis für Köln nichts weiter sagen. Aber allgemein lässt sich feststellen, dass das römische Kaisertum den Juden Schutz bot, auch zu einer Zeit, da die antijüdischen Stimmungen innerhalb des Christentums immer stärker wurden. Das ist seit dem 3. Jahrhundert sicher der Fall. Im 4. und 5. Jahrhundert ist der Kaiser eingeschritten, zum Beispiel gegen die Zerstörung von Synagogen. Dem Kaiser lag vor allem an Rechtssicherheit, an der Durchsetzung von Recht, und so konnte er natürlich nicht dulden, dass ein Mob durch die Straßen zieht wie in gewissen Städten im Osten des Reiches.
Ein Wort zu Constantin, der eine schillernde Figur war. Er selbst verehrte lange die alten Gottheiten, insbesondere den Sonnengott, bevor er sich taufen ließ. Was war er für ein Herrscher?
Zwar hat er sich erst am Ende seines Lebens taufen lassen, aber er hat schon früh das Christentum vehement gefördert und sich in innerchristliche Angelegenheiten eingemischt. Das Christentum war damals aber noch keine Mehrheitsreligion, weshalb er den Ausgleich mit den sogenannten Altgläubigen suchen musste, und daneben war es auch eine Aufgabe des Kaisers, sich um den Schutz der Juden zu kümmern.
Wie hat sich die Jüdische Gemeinde in Köln weiterentwickelt?
Zur Person
Karl Ubl, geboren 1973 in Wien, lehrt seit 2011 als Professor für Mittelalterliche Geschichte mit dem Schwerpunkt Früh- und Hochmittelalter an der Universität zu Köln.
Man weiß über achthundert Jahren hinweg nichts mehr über die Juden von Köln. Auf die ersten sicheren Nachrichten stößt man erst wieder im 11. Jahrhundert. Über die Zwischenzeit ist eine heftige Diskussion entbrannt: Ausgrabungen schienen den Befund zu bestätigen, dass es eine Kontinuität zwischen dem spätantiken und dem hochmittelalterlichen Judentum gab – diese Meinung hat der damaligen Ausgräber Sven Schütte energisch vertreten, doch wird dies mittlerweile einhellig von Historikern und auch von Archäologen als widerlegt angesehen.
Zugunsten welcher Ansicht?
Man muss davon ausgehen, dass die Juden im Zuge des Niedergangs von Köln im 5. Jahrhundert geflohen sind. Als die Franken die Kontrolle über die Stadt übernahmen und Köln in seiner Urbanität stark litt, sind viele reiche Römer in den Süden Galliens geflohen. Zu diesem Zeitpunkt werden auch die Juden die Stadt verlassen haben. Die Wiederansiedlung kann man ins 10. Jahrhundert datieren. Schon Anfang des 11. Jahrhunderts wird die erste Synagoge gebaut, woraus man auf eine größere jüdische Gemeinde schließen kann. In anderen Städten wie Mainz, Regensburg oder Magdeburg sind jüdische Gemeinden bereits im 10. Jahrhundert nachweisbar. Da Köln die größte Stadt im Reich war, ist auch hier davon auszugehen.
Wenn wir ins Rheinland blicken, auf die sogenannten SchUM-Städte, Mainz, Speyer und Worms: In welchem Verhältnis stand Köln dazu?
Köln war von der Größe der Gemeinde her sicher mit Mainz zu vergleichen, wo freilich das Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit lag. Man weiß aus Nachrichten über das Pogrom von 1096, dass Köln der Treffpunkt von Juden im weiteren Reichsgebiet war. Es gab drei große Messen in Köln, zu denen aus der gesamten damaligen Christenheit die Leute zum Handeln kamen. Auch die Juden haben sich anlässlich dieser Messen hier getroffen und nebenbei über Rechtsfragen diskutiert.
Wie haben die Juden im „Heiligen Köln“ gelebt, rein räumlich in direkter Nachbarschaft zum Erzbischof?
Das berührt die Frage, wie die Juden nach Köln kamen – daran war der Erzbischof stark beteiligt, ebenso wie daran, sie auf dem Gelände des ehemaligen römischen Statthalterpalasts anzusiedeln. Es war ein Viertel, das stark von erzbischöflichen Funktionsträgern dominiert wurde. Insofern kann man davon ausgehen, dass die Zuweisung von Häusern in der Pfarrei Sankt Laurenz an die Juden auf erzbischöflichen Beschluss erfolgte. Auch im Nachhinein war der Erzbischof ein wichtiger Garant für den Schutz des Judentums. Davon zeugt die berühmte Steininschrift im Dom, in der der Erzbischof den Juden wichtige Privilegien verlieh.
Gleichwohl gab es Antisemitismus. Wie sah sozusagen dessen mittelalterliche Ausprägung aus?
Ausstellung und Veranstaltung
„Menschen, Bilder, Orte – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ – unter diesem Titel ist eine Wanderausstellung zum Gedenkjahr in der Alten Synagoge Essen gestartet. Sie ist ein Höhepunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten und wurde vom MiQua-Team des Jüdischen Museums Köln kuratiert. Die Wanderausstellung beleuchtet mit einem Fokus auf das Rheinland und Westfalen die Geschichte und Geistesgeschichte des Judentums in Deutschland. Vom 2. Juli bis zum 12. August 2021 wird sie im LVR-Landeshaus in Köln zu sehen sein.
An diesem Donnerstag beginnt die Melanchthon-Akademie in Zusammenarbeit mit der Bibliothek Germania Judaica und dem Katholischen Bildungswerk eine digitale Veranstaltungsreihe zu „Jüdisches Leben an Rhein und Ruhr seit 1945“ mit Günther B. Ginzel, Autor einer mehrteiligen WDR-Filmreihe. Dieser Abend ist als Hybrid-Veranstaltung geplant. Eine Anmeldung für alle vier oder einzelne Veranstaltungen bei der Melanchthon-Akademie ist erforderlich:per Mail oder telefonisch: 0221/931 803-0Veranstaltungsnummer 1016B
(FO)
Man spricht für das Mittelalter eher von Anti-Judaismus, auch wenn diese Unterscheidung heute umstritten ist. Ich halte sie dennoch für legitim, weil es sich um eine theologisch motivierte Judenfeindschaft handelt und nicht um eine rassische. Anti-Judaismus war im Christentum selbst verankert, weil es sich vom Judentum erst einmal loslösen musste. Die Christen haben das Judentum immer als eine vergangene Stufe der eigenen Religion betrachtet, die überwunden worden ist hin zur eigenen, überlegenen Religion. Natürlich gab es unterschiedliche Positionen: Die einen verteidigten die Existenzberechtigung des Judentums als Zeuge für die Wahrheit des Alten Testaments, andere bezeichneten vom Boden des Neuen Testaments aus die Juden als Gottesmörder. Der Anti-Judaismus reichte von Pogromen über Vertreibungen bis hin zur Tolerierung bei gleichzeitiger Diskriminierung des Judentums.
Im 14. Jahrhundert kam es dann zum sogenannten Pest-Pogrom, bei dem den Juden die klassische Sündenbock-Rolle zugewiesen wurde. Von da an war die Kontinuität abgeschnitten.
Die Juden wurden umgebracht, ihr Viertel wurde niedergebrannt – und auch, wenn man 20 Jahre später wieder Juden in die Stadt hineinließ, so handelte es sich nur um eine Handvoll Familien. Während der Erzbischof dafür war, Juden in der Stadt wohnen zu lassen, hat der Stadtrat dies als Einfallstor für erzbischöfliche Eingriffe zurückgewiesen.
1424 kam es zur Verbannung „auf alle Ewigkeit“. Es gab eine Konkurrenz, wer in der Stadt das Sagen hat: Effektiv hat der Stadtrat regiert, auch wenn sich der Erzbischof weiterhin als oberster Herrscher über Köln betrachtete. Auch im Hinblick auf die Juden wollte der Stadtrat seine Souveränität und Autonomie demonstrieren. Es gab natürlich auch anti-judaistische Vorurteile, doch der eigentliche Grund für das Handeln des Stadtrats und die Aufhebung des Aufenthaltsrechts lag darin, erzbischöfliche Interventionen zu verhindern.
Antisemitismus respektive Anti-Judaismus – also auch ein Machtfaktor.
Auf jeden Fall, nicht nur in Köln. In Spanien standen die Juden unter dem Schutz des Königs; jeder Angriff auf die Juden war ein Angriff auf das Königtum – die Judenpolitik des Mittelalters war immer auch eine Verhandlung darüber, wer souverän ist.
Welches politische Signal geht heute vom Bau des Jüdischen Museums in Köln aus?
Das ist eine längst notwendige Maßnahme. Es gibt wunderbare Ausstellungsstücke, der Parcours durch den Untergrund wird sich beeindruckend gestalten, wenn man sowohl die alte Geschichte des Praetoriums, also des einstigen Statthalterpalasts, besichtigen kann, als auch die Überreste der Häuser im ehemaligen Judenviertel – das wird für Furore sorgen.