Es gehe um das Gemeinschaftsgefühl auf dem Land, sagt der weiße Sänger. So einfach ist es aber nicht.
„Try That in a Small Town“Country-Song löst in den USA Rassismus-Debatte aus
Eine prominent platzierte US-Flagge, dramatische Gitarrenriffs, der obligatorische Cowboy-Hut: Die ersten Szenen des Videos zu „Try That in a Small Town“ erfüllen gängige Country-Klischees. Doch es geht um weitaus mehr als Musik. Mit seinem Lied trifft Sänger Jason Aldean einen ganz bestimmten Ton im amerikanischen Kulturkampf.
Eigentlich hatte dem Song niemand große Aufmerksamkeit geschenkt, als der 46-jährige Country-Star ihn im Mai veröffentlichte. Mitte Juli schickte er aber ein Musikvideo hinterher - und das sorgte für heftige Debatten, in deren Verlauf der US-Musikfernsehsender CMT die Ausstrahlung stoppte. Bis Anfang August kletterte das Lied auf Platz eins der Billboard-Charts, wo es nur wenige Tage verweilte und dann ganze 20 Plätze absackte. Geblieben ist ein weiteres Beispiel für die aufgeheizte Stimmung im Land, die weit über die politische Arena hinausgeht.
Country-Song droht: „Schau nur, wie weit du kommst“
„Du zwingst eine alte Frau an einer roten Ampel aus ihrem Auto, zielst mit einer Knarre auf den Besitzer eines Spirituosenladens“, singt Aldean in dem Lied, das er und seine Band bei Nacht vor einem Gerichtsgebäude performen. Auf dessen Fassade projiziert sind Überwachungsvideos von Überfällen und Ausschnitte verschiedener Demonstrationen - zuerst handelte es sich dabei auch um Proteste der Bürgerrechtsbewegung „Black Lives Matter“. Inzwischen wurden einige Szenen aus der rund 29 Millionen mal angeschauten YouTube-Version entfernt - aus urheberrechtlichen Gründen, gibt die Plattenfirma an.
„Du glaubst, du bist cool, wenn du einem Polizisten ins Gesicht spuckst, auf die Flagge trittst und sie anzündest“, singt Aldean weiter. „Yeah, du glaubst, du bist tough.“ Die zentrale Botschaft: In einer kleinen Stadt werde so etwas nicht geduldet, denn dort kümmere man sich um seinesgleichen. Dort habe er die Waffe seines Großvaters zur Hand, heißt es, und drohend: „Schau nur, wie weit du kommst.“ Das Video endet mit Archivmaterial ländlicher Idylle bei Sonnenuntergang. Dazwischen: Silhouetten von Menschen mit Jagdgewehren.
„Was für eine beschämende Vision von Waffenextremismus und Selbstjustiz“, schrieb der demokratische Abgeordnete Justin Jones aus dem Parlament von Tennessee bei X. Auf derselben Plattform meldete sich Country-Kollegin Sheryl Crow zu Wort. Gewaltverherrlichung habe „nichts mit kleinen Städten oder Amerika zu tun“. Der Aufruf zu rassistisch motivierter Gewalt sei deutlich, sagen die Kritiker. Es handele sich um eine typische „dog whistle“ - eine Hundepfeife, die über Sprache und Symbolik ein bestimmtes Bild an den rechten Rand transportiert.
Der Drehort ist nicht irgendeiner: Das Maury County Courthouse im Bundesstaat Tennessee war im 20. Jahrhundert Schauplatz mehrerer Lynch-Morde. 1927 entführte dort ein weißer Mob einen schwarzen Teenager aus einer Gefängniszelle, zog ihn an ein Auto gekettet durch die Stadt und hängte ihn schließlich vor dem Gerichtsgebäude - angeblich hatte er ein weißes Mädchen belästigt. Dieses rassistische Stereotyp wurde in der US-Geschichte oft bemüht, um Lynch-Justiz zu rechtfertigen.
Kritiker: Country-Song sorgt für moralische Kluft
Auch die im Lied aufgezählten Straftaten werden in den USA klischeemäßig mit schwarzen Menschen in Verbindung gebracht, die in „inner cities“ - also in Großstadtzentren - leben. Und obwohl die meisten Proteste gegen Polizeigewalt friedlich verlaufen, porträtieren rechte Kreise „Black Lives Matter“ immer wieder als radikale Anti-Polizei-Bewegung. So beschwöre Aldean laut Kritikern nicht nur eine moralische Kluft zwischen Menschen in der Stadt und Menschen auf dem Land, sondern eine Kluft zwischen schwarz und weiß, der mit Waffengewalt zu begegnen sei.
Aldean wies die Vorwürfe in einem Statement zurück. Das Lied sei eine Hommage an das Gemeinschaftsgefühl, mit dem er aufgewachsen sei. „Keine einzige Zeile in dem Lied erwähnt Hautfarbe oder deutet darauf hin“, so der Sänger. Kurz darauf wählte er etwas andere Worte: „Ich bin stolzer Amerikaner. (...) Ich möchte, dass es wieder so wird, wie es einmal war, bevor diese ganze Scheiße passiert ist“, sagte er vor einer jubelnden Menge bei einem Konzert in Cincinnati. „Ich liebe mein Land. Ich liebe meine Familie. Und ich werde alles tun, um das zu beschützen.“
Der Erfolgssänger beschwört das Kleinstadtidyll, obwohl er selbst andere Wurzeln hat. Aldean stammt aus Macon im Bundesstaat Georgia, einer Stadt mit rund 150.000 Einwohnern. Heute lebt er in der Country-Metropole Nashville. Einwohnerzahl: fast 700.000.
Konservative US-Politiker bedienen sich schon lange ähnlicher Rhetorik. So berief man sich bereits Mitte der 1960er Jahre auf angeblich völlig außer Kontrolle geratene Gewalt in den Städten, setzte als Kontrast auf das friedliche, patriotische Leben auf dem Land und holte sich für den passenden Soundtrack auch gerne Country-Stars an die Seite. 1970 erklärte Präsident Richard Nixon den Oktober zum „Country Music Month“.
Während viele Country-Künstler sich explizit unpolitisch positionieren oder Demokraten unterstützen, machen Rock-Stars wie Kid Rock und Ted Nugent keinen Hehl aus ihrer konservativen Ausrichtung. Auch Jason Aldean ist ein langjähriger Unterstützer Donald Trumps; 2022 feierte man gemeinsam Silvester. Im Streit um „Try That in a Small Town“ sprang der Ex-Präsident dem Musiker zur Seite: Aldean sei ein „fantastischer Typ mit einem tollen neuen Song“, schrieb Trump bei Truth Social. Und: „Unterstützt Jason bis zum Letzten.“ (dpa)