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Verunglückter Formel-1-StarWie gut ist die neue Netflix-Doku über Michael Schumacher?

Lesezeit 4 Minuten
Michael Schumacher bei einem Sieg für Ferrari im Jahr 2006

Michael Schumacher bei einem Sieg für Ferrari im Jahr 2006

„Es ist klar, dass mir Michael jeden Tag fehlt.“ – Es sind Sätze wie dieser, gesprochen von Michael Schumachers Ehefrau Corinna, die deutlich machen, wie groß die Tragödie ist, die im Dezember 2013 auf die Familie des früheren Formel-1-Stars und siebenmaligen Weltmeisters einbrach, als Schumacher sich bei einem Skiunfall schwer verletzte.

Seither ist viel spekuliert worden über den Gesundheitszustand des Rennfahrers aus Kerpen, der in den 1990ern und frühen 2000er zu den größten Stars des Sports zählte. Die Familie lässt nichts nach außen dringen. Privates ist privat, das war Schumachers Maxime vor dem Unfall, das ist die Leitlinie seiner Familie danach. Daran ändert auch die Netflix-Dokumentation „Schumacher“ nichts, die nun, 30 Jahre nach seinem Einstieg in die Formel 1, veröffentlicht wird. Und das ist eine gute Nachricht. Denn der Film der drei Regisseure Hanns-Bruno Kammertöns, Vanessa Nöcker und Michael Wech meistert einen Drahtseilakt.

Er spart den Unfall nicht aus, behandelt ihn aber erst in den letzten zehn Minuten und wird alle enttäuschen, die sich voyeuristische Einblicke in Schumachers aktuelles Leben erhoffen. Wie sehr er gesundheitlich eingeschränkt ist, lassen nur die Äußerungen von Corinna und den Kindern Mick und Gina erahnen, wenn etwa der heute ebenfalls in der Formel 1 fahrende Sohn sagt, er würde alles aufgeben, nur um sich einmal mit seinem Vater austauschen zu können über den Motorsport.

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Aber konkrete Aussagen zu Schumachers Zustand gibt es nicht. Die Zugbrücke, die Schumacher immer hochgezogen hatte, wenn es um sein Privatleben ging – sie bleibt trotz vieler privater Aufnahmen und Einblicke oben. Sein Schicksal wird nicht ausgeschlachtet. Einmal sieht man Corinna Schumacher weinen, ansonsten erzählt sie erstaunlich gefasst über die Karriere ihres Mannes und auch über den Unfall.

„Schumacher“ ist in erster Linie das Porträt eines außergewöhnlichen Sportlers, der sich aus kleinen Verhältnissen in Kerpen an die Spitze des glitzernden Formel-1-Zirkus kämpfte. Der Junge, der zu Beginn mit ausgeprägtem rheinischen Akzent sprach, gibt irgendwann Interviews in fließendem Englisch. Der Nachwuchsfahrer, der die Reifen anderer aus dem Müll holte, weil er sich neues Material nicht leisten konnte, wird zum Multimillionär. Zu Wort kommen neben Ehefrau Corinna und den Kindern auch sein Vater und viele Weggefährten aus der Formel 1. Es ist beachtlich, wie viel Vertrauen sich die Filmemacher offensichtlich erarbeitet haben. Wer in Schumachers Karriere eine Rolle spielte, ist hier zu sehen, ob nun Bernie Ecclestone, Flavio Briatore, Jean Todt, David Coulthard oder Mika Häkkinen.

Außergewöhnliches Talent

Und sie alle erzählen auf eine sehr ähnliche Weise von Schumacher. Sie beschreiben sein außergewöhnliches Talent und seinen unbändigen Ehrgeiz, der mitunter fast schon in Besessenheit umschlug. Er wolle Hundert Prozent Perfektion erreichen, so Schumacher selbst. Bis spät in die Nacht tüftelte er mit den Mechanikern am Material, nichts überließ er dem Zufall. Es war dieser Perfektionismus, der ihn, gepaart mit seinem Talent, zwei WM-Titel als Benetton-Fahrer und fünf als Ferrari-Pilot gewinnen ließ.

Dieser Film ist laut der Familie ein Geschenk an Schumacher. Da verwundert es nicht, dass wir hier in erster Linie die Geschichte eines scheinbar märchenhaften Aufstiegs bestaunen. Aber die Macher blenden auch die Tiefpunkte und Risse in der Heldenfassade nicht aus. Sie zeigen, wie hart die ersten Jahre bei Ferrari für ihn waren, wie sehr der Erfolgsdruck ihm zusetzte. Und sie verhehlen auch nicht, dass Schumachers unbändiger Ehrgeiz auch Schattenseiten hatte. Ein paranoider Perfektionsdrang habe ihn angetrieben, sagt etwa Mark Webber. Er sei immer auch gegen sich selbst gefahren. Und manchmal trieb ihn dieser Perfektionismus zu weit. 1994 rammte er seinen direkten Konkurrenten Damon Hill im entscheidenden letzten Rennen, für beide war es als Folge beendet. Schumacher gewann den Titel – mit einem Punkt Vorsprung. 1997 stieß er mit Jacques Villeneuve zusammen. Schumacher sah sich im Recht, dabei war er dem Kanadier reingefahren. Er verlor die WM, der Vizemeister-Titel wurde ihm wegen Unsportlichkeit aberkannt.

Kompromissloser Rennfahrer

David Coulthard erinnert sich im Film an einen Unfall, bei dem ihm Schumacher ins Heck fuhr. Er habe seinen Anteil an der Kollision eingeräumt, Schumacher nicht. Der Schotte sagte daraufhin zu dem Deutschen: „Hey, sicher liegst du auch mal falsch.“ Schumachers Reaktion nach einem Moment Nachdenken: „Nicht, dass ich mich erinnern könnte.“ Aber Coulthard schildert eben auch, dass Schumacher zwei Gesichter hatte. Er war der kompromisslose, unnahbare Rennfahrer – und ein Familienmensch, der gerne feierte und lachte. Es sind diese gezeigten Widersprüchlichkeiten, die das Idol vom Sockel holen und einen Eindruck vermitteln, wie der Mensch Michael Schumacher tickt.

Am Ende des Films steht der Unfall. Sie habe Gott nie Vorwürfe gemacht, es sei einfach Pech gewesen, sagt Corinna Schumacher. Den öffentlichen Michael Schumacher gibt es seither nicht mehr, daran ändert auch dieser Film paradoxerweise nichts. „Michael hat uns immer beschützt, jetzt beschützen wir Michael.“

„Schumacher“ ist ab 15. September bei Netflix zu sehen.