Von „Top Gun“ bis „Gremlins“Wie Hollywood Nostalgie zum Geschäftsmodell macht
Los Angeles – Nostalgie, so hieß einmal eine Krankheit. Der Schweizer Medizinstudent Johann Jakob Harder bildete in seiner Dissertation aus dem Jahr 1688 die „Nostalgie“ als Kofferwort aus den griechischen Begriffen für „Heimkehr“ und „Verzweiflung“. Damit beschrieb er eine Angststörung, an der häufig Söldner litten, die sich in einem fremden Land verdingten.
Heute hat sich nicht nur die Bedeutung des Wortes von der körperlichen Entfernung zum zeitlichen Abstand verschoben – das Heimweh richtet sich an eine vergangene Epoche, die man noch nicht einmal selbst erlebt haben muss –, Nostalgie ist auch kein Gebrechen mehr, sondern die Werkseinstellung unserer Kultur.
Vor allem Hollywood hat in den letzten Jahren (und vielleicht schon viel früher) die nostalgischen Bedürfnisse des Publikums industrialisiert: Es kommt so gut wie kein hoch budgetierter Film mehr in die Kinos, der nicht einen allseits bekannten Inhalt älteren Datums fortschreibt, mit neuen Darstellern und verbesserten Tricks wiederaufbereitet oder sich zumindest fetischisierend an der Ästhetik früherer Jahrzehnte bedient.
Am 26. Mai startet Joseph Kosinskis Actionfilm „Top Gun: Maverick“ in Deutschland, die Fortsetzung von „Top Gun“ (1986), der hierzulande den Bud-Spencer-artigen Titelzusatz „Sie fürchten weder Tod noch Teufel“ trug. Das war in den 1980ern noch so üblich. Seitdem ist viel Zeit vergangen, und man weiß nicht, was bemerkenswerter ist: Die Tatsache, dass ein Film nach 36 Jahren noch ein Sequel bekommt, oder die Tatsache, dass erneut Tom Cruise als Pete „Maverick“ Mitchell in das Cockpit eines überschallschnellen Abfangjägers steigen wird, so frisch und straff, als hätte man ihn in Aspik gelegt.
In der Netflix-Serie „Stranger Things“, einem Pastiche nahezu aller interessanten Kinder- und Horrorfilme der 1980er, hängt ein Poster des jungen Cruise im Jugendzimmer einer Protagonistin. Heute kann sich der Schauspieler als sein eigenes Zitat inszenieren. „Top Gun“ ist mit seiner sandgestrahlten Werbeästhetik, seinem Hurrapatriotismus (und, laut Quentin Tarantino, seinem schwulen Subtext) eine Ikone der 1980er Jahre – und gerade deshalb war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis er in irgendeiner Weise wieder aufgelegt werden würde.
Was ist ein „Legacyquel“?
Der amerikanische Filmkritiker hat für diese Art der nostalgisch motivierten Fortsetzung ein weiteres Kofferwort geprägt: „Legacyquel“. Denn es geht ja weniger um das Weiterspinnen einer Geschichte, als um das Aufrufen eines warmen Gefühls mit anschließender Staffelübergabe: Man denke etwa an die „Star Wars“-Fortsetzungen der zehner Jahre, zu denen die Darsteller der ersten Trilogie noch einmal in ihrer alten Rollen schlüpfen mussten, um den neuen Protagonisten Schützenhilfe zu geben. Oder Denis Villeneuves „Blade Runner 2049“, ebenfalls mit Harrison Ford in einer wieder aufgewärmten Rolle aus seiner Glanzzeit.
Einen fünften Teil seiner „Indiana Jones“-Reihe hat der bald 80-jährige Ford bereits abgedreht. Es ist bereits der zweite Versuch, das Vermächtnis einer Action-Reihe zu reaktivieren, die von Anfang an auf Nostalgie aufbaute. „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ gilt bei Fans und Kritikern als eines der schlechtesten Sequels überhaupt – war aber trotzdem einer der erfolgreichsten Filme des Jahres 2008.
Warum sich Wehmut an der Kinokasse rechnet
Was uns zur bittersten Wahrheit über Hollywoods Hang zum permanenten Selbstzitat bringt: Er lohnt sich. Angefangen mit „Alice im Wunderland“ (2010) hat Disney inzwischen fast ein Dutzend Live-Action-Remakes seiner Animationsklassiker herausgebracht. Damit trägt das Studio nicht zuletzt der Tatsache Rechnung, dass die Grenzen zwischen Trick- und Realfilm heutzutage fließend sind.
Vor allem aber nutzt Disney den Nostalgie-Effekt: Erwachsene, die als Kinder den „König der Löwen“ liebten, gehen nun mit ihren Kindern in dessen Remake. Keiner der Live-Action-Aufgüsse konnte seinem gezeichnetem Original künstlerisch etwas Neues abtrotzen, aber fast alle übertrafen ihre Vorgänger an der Kinokasse. Das „Lion King“-Remake hat mit 1,6 Milliarden Dollar sogar mehr Geld eingespielt als „Die Eiskönigin“: Nostalgie öffnet Brieftaschen.
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Sie rechnet sich eben deshalb, weil man mit ihr mindestens zwei Generationen vor die Leinwände lockt: Kinder und Jugendliche, die hier Protagonisten finden, die immer schon auf ihr Alter zugeschnitten waren, und deren Eltern, die mit ihren alten Helden die längst verklärte eigene Teenagerzeit wieder erleben können.
Freilich: Remakes sind so alt wie die Filmgeschichte. Jede Generation hat ihren „A Star is Born“ (1937, 1954, 1976, 2018) und ihren „King Kong“ (1933, 1949, 1976, 1986, 2005, 2017, 2021). Aber die zeitlichen Abstände zwischen den Neuauflagen verringern sich. Die „Ghostbusters“ von 2016 floppten? Egal, „Ghostbusters: Legacy“ versuchte es 2021 erneut, diesmal mit respektvollen Gastauftritten der Originalschauspieler.
So wird die wehmütige Rückschau zur zukünftigen Endlosspirale. Den Fängen der Vergangenheit ist kaum noch zu entkommen: Fortsetzungen unter anderem von „Gremlins“, „Kevin – Allein zu Haus“ und „Die Braut des Prinzen“ stehen bereits in den Startlöchern.