Von wegen GleichberechtigungNeues Kölner Festival thematisiert Männer-Macht
Köln – Shida Bazyar studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim. Ihre Professoren waren Männer, besprochen wurden vor allem Texte von Männern. „Redeanteile in Seminaren hätte man sehr schön mitzählen und aufzeigen können. Nicht nur, wie oft sich Männer melden, sondern auch, wie dominant das Gesagte in der Diskussion wurde“, so die Schriftstellerin in ihrem Text „Bastelstunde in Hildesheim“, den sie im Rahmen des feministischen Literaturfestivals „Insert Female Artist“ in der Alten Feuerwache las. In Hildesheim habe sich zwar seither vieles gebessert, aber die männliche Dominanz, wenn es um einen literarischen Kanon geht, ist immer noch unangetastet. Es mache sie wütend und traurig, dass sie als Schriftstellerin zu so vielen Texten von Autorinnen, die sie inspirieren könnten, keinen Zugang habe, weil sie gar nicht von deren Existenz wisse, sagte Berit Glanz an anderer Stelle.
Es sind Nischen wie das Genre „Frauenroman“ oder Kinderbücher, in die Autorinnen häufig gedrängt werden. Geht es jedoch um Bücher, die literarische Preise gewinnen und in Feuilletons besprochen werden, haben die Männer ganz klar das Sagen. Autoren und Kritiker dominieren den Rezensionsbetrieb. Zwei Drittel aller Besprechungen würdigen die Werke von Autoren, Männer schreiben überwiegend über Männer, und ihnen steht ein deutlich größerer Raum für Kritiken zur Verfügung, so die Studie „Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“, die das Buchbranchenprojekt #frauenzählen 2018 in Kooperation mit dem Institut für Medienforschung an der Universität Rostock veröffentlichte.
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Von Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt. Die Autorinnen und Wissenschaftlerinnen Sonja Lewandowski und Svenja Reiner haben mit dem dreitägigen Festival „Insert Female Artist“ einen großartiges und inspirierendes Umfeld geschaffen, um darüber zu diskutieren, in welcher Weise Autorinnen und Künstlerinnen rezipiert und inszeniert werden, wie ihre Werke beurteilt werden, wie man an sie erinnert.
In 18 Veranstaltungen diskutierten darüber 41 Expertinnen und Experten aus Literatur, Wissenschaft, Kunst und Film mit dem Publikum. Warum geht es bei Autorinnenfotos etwa vor allem um gutes Aussehen, während Männer ernst und nachdenklich schauen dürfen? Der Fotoworkshop „Lächle doch mal – Schriftstellerinnenporträts“ für Jugendliche mit der Fotografin Sandra Stein hinterfragte genau diese Mechanismen.
Das Weltcafé zu Kanon und Erinnerung „Wie schnell und gründlich man vergisst“ machte sehr anschaulich deutlich, dass nicht nur in der Literatur, sondern in allen Bereichen der Kunst Frauen lange Zeit in die Unsichtbarkeit gedrängt wurden – und häufig immer noch werden. So berichtete die Journalistin und Filmexpertin Sophie Rieger, dass sie bei Seminaren mit Studierenden oft feststellen müsse, dass diese an der Uni noch keine einzige Filmemacherin behandelt haben: „Frauen werden in der Filmgeschichte systematisch herausgeschrieben.“
Gesa Fink vom Forschungszentrum Musik und Gender in Hannover hat zu Constanze Mozart geforscht, die durch ihre systematische Bearbeitung des Nachlasses ihres Mannes ganz wesentlich dessen Weltruhm begründete. Fink warf die Frage auf, welche Erinnerungskultur Frauen für sich selbst wollen? Wollen sie so wie Männer erinnert werden? Wollen sie die Heroisierung des genialen Künstlers mitmachen? Vielleicht müsse man die Männer auch einfach entmystifizieren, schlug eine Teilnehmerin des Weltcafés vor. In dem Vortrag „Männliche Bauchredner weiblicher Erfahrungen“ mit Literaturwissenschaftler Johannes Franzen ging es unter anderem um die Frage: Darf etwa ein Mann uneingeschränkt aus der Perspektive einer Frau schreiben?
„Das Archiv auflesen“ fragte etwa, wessen Nachlass als erinnerungswürdig gilt. Schriftstellerin Özlem Özgül Dündar besuchte mit Nachwuchsautorinnen (und einem Autor) den Einsturzort des Kölner Stadtarchivs, die Baustelle und das Restaurationszentrum. Dann verarbeiteten sie ihre Erfahrungen literarisch. Zahlreiche weitere Lesungen – unter anderem auf dem Flohmarkt an der Alten Feuerwache – rundeten das Programm ab. Der große Zuspruch – sogar aus Hamburg, Berlin und Greifswald waren Besucherinnen angereist – zeigt, dass der Rede- und Vernetzungsbedarf hoch ist. Und über allem steht die Maxime: Sichtbar werden. Dieses Festival ist eine große Bereicherung für Köln. Nun müssen beim nächsten Mal bloß noch mehr Männer kommen. Gerade die sollten die Botschaft hören.