Wagner-Festspiele BayreuthDer Buhsturm gegen den neuen „Ring“ ist ungerecht
Bayreuth – Es war ziemlich klar, dass die Zuschauer an die „Götterdämmerung“ noch einen vierten „Aufzug“ dranhängen würden, wenn sich das Regieteam zeigt. So ein Buhsturm hat hier Tradition. Den prominenten Vorgängern von Valentin Schwarz & Co. erging es da nicht anders. Neue Sichtweisen hatten es noch nie leicht auf dem Grünen Hügel.
Sein Ansatz, den Ring als Familiensage von heute zu erzählen, hat aber über weite Strecken gut funktioniert und spannendes Musiktheater geboten. Doch ausgerechnet zum Ende hin hatte das Regieteam ein wenig der Mut zur eigenen Erfindercourage verlassen.
Siegfried haut Fafner den Rollator weg, Hagen drückt ihm das Kissen ins Gesicht
Eine zentrale Idee ist, dass Kinder der Anspruch oder die Hoffnung auf Zukunft und Macht sind. So lernen wir die Vorgeschichte von Heldenmörder Hagen kennen. Als Kind entführt und dann letztlich bei Fafner gelandet (im Original besitzt der Wurm Fanfare den Ring Alberichs, bis Siegfried ihn ersticht). Hier tauchen Siegfried und Ziehvater Mime nicht vor einer Höhle, sondern am Krankenbett des alt gewordenen Brudermörders Fafner auf. In einer Beletage der Luxuspflege. Aber nicht Siegfried tötet ihn, er haut ihm „nur“ den Rollator weg. Es ist diesmal Hagen, der dem Alten das Kissen ins Gesicht drückt.
Wer weiß, was Hagen mit seinem Ziehvater Fafner erlebt hat? Jetzt macht er sich an der Seite seines neuen Kumpels Siegfried zu Brünnhilde auf und verzieht sich dort erst, als dieses Paar mit seinem grandiosen Liebesduett loslegt. Die bandagiert (Schönheits-OP?) auftauchende Brünnhilde gibt ihren Widerstand erst auf, als sie den Hut von Wanderer Wotan in Händen hält und den als die versteckte Botschaft Wotans nimmt: Es ist Siegfried!
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So deutlich wie hier hat man Ähnlichkeiten von Siegfried und Hagen noch nie hinterfragt. Ohne Liebe, elternlos aufgewachsene Rebellen gegen das Bestehende. Wie sollten die eine Zukunft sichern?
Neben Utensilien wie Wotans Hut oder dem Ring-Gold-Basecape des jungen Hagen gehören auch die Unterkünfte der Akteure zu den szenischen Leitmotiven. Mime und Siegfried haben offenbar die Kellerwohnung von Hunding aus der Walküre übernommen. Und Siegfried und Brünnhilde, die hier natürlich auch eine Kleinfamilie mit Kind (!) sind, bewohnen in der „Götterdämmerung“ die Räume, in denen schon Siegmund und Sieglinde ihre Kindheit verbrachten. Von hier geht Siegfried auf Dienstreise, hier wird der Besuch von Waltraute zu einem Fiasko, denn Brünnhilde schmeißt die nörgelnde Schwester achtkantig raus.
Siegfried landet derweil bei dem aufgedreht albernen Gunther (mit langen Haaren und Glitzer-T-Shirt-Aufdruck „who the fuck is grane“) und seiner attraktiven Schwester Gutrune, die sich gerade im Schickimicki-Luxus häuslich einrichten. Als Siegfried und Gunther ins Appartement von Brünnhilde zurückkehren wird dies zum Ort einer Vergewaltigung - in Anwesenheit von Brünnhildes Kind. Jedes Trauma produziert hier ein neues.
Der Auftritt von Hagens Mannen fällt aus dem Realismusrahmen, macht aber vokal und optisch einiges her, wenn die aus dem Nebel mit roten Masken auftauchen wie zu einer schwarzen Messe. Wenn dann die mit Gewalt angeschleppte Brünnhilde bemerkt, was los ist, läuft das Ganze recht konventionell ab. Der letzte Aufzug findet komplett im wasserlosen Pool statt. Siegfried angelt mit seinem Nachwuchs und wird von Hagen erstochen. Gunther hat eine Plastiktüte mit Granes Kopf dabei, den Brünnhilde dann in der Schlussszene ansingt, als wäre sie Salome.
Das Regiekonzept von Valentin Schwarz hat über weite Strecken funktioniert
Als Staffelfinale überzeugt das so wenig wie das Versinken des Rundhorizonts vor den Neonröhren und die Einblendung der Embryos aus dem Rheingold-Vorspiel, die sich diesmal brav umarmen. Alles eine Sache des Erbgutes, also vorbestimmt? Hm.
Das Ringpersonal und das symbolträchtige Schmuckstück ganz anders, zwischen rätselhaft und nachvollziehbar zu beleuchten, war dennoch spannend, unterhaltsam und hat über weite Strecken funktioniert. Auch musikalisch. Einige der Interpreten, wie Andreas Schager als Jung-Siegfried, Daniela Köhler als seine Brünnhilde oder Elisabeth Teige als Gutrune haben die Maßstäbe für vokale Leuchtkraft vorgegeben; den für Wortverständlichkeit Michael Kupfer-Racecky als Gunther. Thomas Konieczny als Wanderer, besonders aber Iréne Theorin als Götterdämmerungs-Brünnhilde mit ihrem Ausweichen ins Vokalisieren, haben diesen Standard nicht erreicht.
Cornelius Meister bekam die besondere Akustik des Hauses zunehmend in den Griff
Sängerdarsteller wie der standfest in seiner Rolle als Alberich voll aufgehende Olafur Siguardarson, die fabelhaft eloquente Christa Mayer (hier als Waltraute) oder Okka von der Damerau als Erda oder erste Norma machen hingegen bei jedem Auftritt Freude. Dass die Festspielleitung von jetzt auf gleich zwei ausgefallene Siegfried-Sänger zu ersetzten wusste, demonstrierte sie mit Clay Hilley, der den Götterdämmerungs-Siegfried quasi aus dem Stand (sprich: Italienurlaub) übernahm und seine metallisch helle, kraftvoll strahlende Stimme in den Dienst der Sache stellte.
Die etlichen Buhs, die neben dem Regieteam auch auf Cornelius Meister niedergingen, waren ungerecht. Kurzfristig eingesprungen, hatte er die besondere Akustik des Hauses zunehmend im Griff und die Sänger im Blick. Gerade in den reinen Orchesterpassagen bot er Packendes und steuerte insgesamt hochrespektabel durch die vier Teile.