Bjarne Mädel erzählt, wann er wahnsinnigen Leistungsdruck empfindet, warum er keine Vorratskammer hat und welcher Ort in Köln ihn richtig runterbringt.
„Tatortreiniger“, „Mord mit Aussicht“Warum Bjarne Mädel mitten in der Kölner Innenstadt zur Ruhe kommt
Herr Mädel, wenn Sie durch eine Stadt gehen, schauen Sie dann gern durch die Fenster in fremde Wohnungen?
Bjarne Mädel: Ja, ich finde tatsächlich spannend, was sich hinter Fassaden versteckt. Wenn ich meinen Vater in Los Angeles besuche, fliegt man vor der Landung ziemlich lange über Einfamilienhäuser. Und jedes Mal denke ich: In jedem dieser Häuser verbirgt sich eine Geschichte. Genauso gehe ich an Weihnachten gern spazieren. Wenn die Gemütlichkeit schon aus allen Fenstern trieft, ist es immer schön, mir vorzustellen, wo gerade irgendwelche Streitigkeiten laufen und wo Leute zusammensitzen müssen, die sich überhaupt nicht leiden können. Oder aber, wo es besonders schön und familiär zugeht. Das fasziniert mich schon, dieser Blick durchs Schlüsselloch.
Für einen Schauspieler muss das ja fast ein Paradies sein.
Ja, absolut. Es regt meine Fantasie an.
Sie haben jetzt ein Herzensprojekt veröffentlicht: das Hörbuch „Bin nebenan. Monologe für zu Hause“. In den zwölf wunderbar gelesenen Texten geht es auch um Geschichten, die sich hinter Fassaden verbergen. Verstecken Sie sich gern hinter einer Fassade, spielen Sie manchmal anderen etwas vor?
Nein. Mir wäre es zu anstrengend, mich auch noch privat zu verstellen, ich spiele ja beruflich schon genug Rollen. Aber trotzdem ist es mir auch schon passiert, dass ich mich privat als jemand anderes ausgegeben habe oder versucht habe, mich in ein gutes Licht zu stellen. Ich erinnere mich zum Beispiel an meine Zeit mit einem guten Freund in einer WG: Da habe ich an einem Tag mal mein Zimmer aufgeräumt, mir eine Kanne Tee mit einem Stövchen und ein paar Kekse hingestellt und mich dann mit einem Buch aufs Sofa gesetzt. Das sah alles sehr gemütlich aus, aber hinterher wurde mir klar, dass ich das eigentlich nur gemacht habe, damit das „Bild“ stimmig ist, wenn er in das Zimmer guckt. Eigentlich war meine Gemütslage eine vollkommen andere. Ich wollte in der Situation einem schöngeistigen Bild entsprechen, das ich selbst gern von mir gehabt hätte.
Wann ist man denn man selbst?
Das ist wirklich eine spannende philosophische Frage: Wer ist man denn eigentlich wirklich, wenn niemand zuguckt? Wer bin ich, wenn ich mich nicht selbst beobachte? Das ist ja fast unmöglich zu sagen. Deshalb habe ich auch nie begonnen, Tagebuch zu schreiben: Wenn ich es später lese, möchte ich, dass es grammatikalisch einwandfrei und gut geschrieben ist. Und in dem Moment, in dem ich darüber nachdenke, wie und was ich schreibe, bin ich schon beim Performen und nicht mehr dabei, ehrlich festzuhalten, was ich in dem Moment wirklich empfinde.
Welche Folgen haben solche Bemühungen, ein gutes Bild von sich abgeben zu wollen?
Man hat oft einen wahnsinnigen Leistungsdruck, man möchte ein guter Partner sein, ein guter Sohn, wenn man Kinder hat, ein guter Vater. Bei diesem Stress, sich selbst gefallen zu wollen, verliert man sich dann auch manchmal.
Ein Monolog aus dem Hörbuch spielt genau mit solchen sozialen Rollen. Anfangs ist der Mann in dem Text „Fernseher“ noch der liebevolle Partner, aber als seine Freundin übers Wochenende zu einem Seminar fährt, lässt er wie ein richtiger Klischeemann die Sau raus.
Absolut. Aber ich fand bei dem Text auch spannend, dass und wie ihn Jens Harzer liest. Ich habe mir bei jedem Text natürlich etwas dabei gedacht, mit wem ich ihn besetze. Und Jens Harzer hat eine solch feine Art, mit Sprache umzugehen, spricht sehr distinguiert, sehr gewählt. Dadurch entsteht ein Widerspruch, weil Jens Harzer mit seiner Art zu lesen ebenjenem männlichen Klischeebild überhaupt nicht entspricht. Der Mann, den Jens Harzer durch seine Interpretation vermittelt, passt dann doch auch zu seiner Freundin und zum Thai-Curry und weniger zu Actionfilm und Nackensteak von der Tankstelle.
Aber sind diese verschiedenen Rollen nicht normal? Man muss ja gar nicht immer nur einem Bild entsprechen.
Deswegen ist „Fernseher“ auch solch ein spannender Monolog – weil er genau das Thema durchdekliniert: Und natürlich kann man beides haben. Man kann sich wahnsinnig in der Zweisamkeit wohlfühlen und sich trotzdem auch mal auf die Mitte des Bettes freuen und darauf, den Platz dort für sich allein zu haben. Ich kenne das auch: Es gibt halt manchmal auch Tage, an denen ich nicht reden möchte oder abends nicht noch Erlebnisse vom Tag meiner Partnerin hören möchte. Manchmal fehlen mir nach einem anstrengenden Arbeitstag die Kapazitäten dafür. Das finde ich aber keinen Verrat an der Beziehung. Im Gegenteil: Es ist doch viel besser, da dann ehrlich zu sein, als die Aufmerksamkeit nur vorzuspielen.
Die Monologe auf dem Hörbuch sind sehr unterschiedlich. Gibt es trotzdem etwas, was sie zusammenhält?
Es fällt mir schwer, da jetzt einen Überbegriff zu definieren. Ich finde es gerade toll, dass sie so unterschiedlich sind. Mit ganz unterschiedlichen Facetten: etwa, wenn es sich die Frau in der Badewanne selbst schön und gemütlich machen will und dann quasi die „Dritte Welt“ zu Besuch kommt. Sie denkt: Ich liege hier in dem ganzen Wasser und woanders auf der Welt haben Menschen nichts zu trinken und verdursten. Da kommt dann das schlechte Gewissen durch, das Ingrid Lausund sehr plastisch und bedrohlich beschreibt. Mit der Folge, dass ich bei diesem, aber auch bei vielen anderen dieser Monologe irgendwann schlucken muss.
Ein Text, der einem ebenfalls die Kehle zuschnürt, ist der Monolog, den Sie lesen. Ein junger Mann wird von Beginn seines Lebens an missachtet, gemobbt und misshandelt. Trotzdem versucht er immer wieder, das Gute zu sehen. Warum haben Sie diesen Monolog für sich ausgesucht?
Es kann jetzt sehr eitel klingen, aber bei dem Text hatte ich Angst, dass er falsch gelesen wird. Und weil ich schon so lange mit Ingrid Lausund unter anderem beim „Tatortreiniger“ zusammenarbeite, weiß ich sehr genau, wie der Text gemeint ist. Man kann da ganz schnell ins Klischee abrutschen oder sich über die Figur stellen. Dann berührt das Gelesene eben nicht, sondern wird platt, komisch und auch eher unangenehm. Deswegen war es mir so wichtig, den richtigen Ton zu treffen.
Ihre Art, ihn zu lesen, treibt einem die Tränen in die Augen.
An einer Stelle – wenn er gegen Ende seine Mutter anspricht – musste ich in der Vorbereitung beim laut Lesen auch gegen die Emotionen kämpfen. Ich konnte dann oft nicht weiterlesen, ohne dass man mir meine eigene Rührung anmerkt. Vor dieser Stelle hatte ich beim Einsprechen des Hörbuchs großen Respekt.
Eine Formulierung, die mir in einem anderen Monolog – „Grundstück“ – aufgefallen ist, lautet: „Andere wohnen im Leben.“ Können Sie mit dem Satz etwas anfangen, oder stößt er Sie ab?
Erst einmal klingt es ein wenig negativ für mich, im Leben zu wohnen. Er vermittelt so eine Stimmung, in der man es sich in seinem Leben bequem und gemütlich gemacht hat und sich nun nicht mehr neugierig zeigt, nirgendwo mehr hin will. Aber in „Grundstück“, diesem letzten Monolog auf der CD, ist der Protagonist ja eher neidisch darauf, dass die anderen dieses Gefühl des Angekommenseins haben. Und so ist er hier gemeint. Er beschreibt eine Sehnsucht nach der Ständigkeit, nach Zugehörigkeit und Ruhe. Das ist im Übrigen auch ein Thema, das mich interessiert: Was bedeutet „zu Hause“ sein?
Und was antworten Sie?
Ich war mal bei Freunden, die in einem Haus wohnen, mehrere Kinder haben und in einem Vorratsraum im Keller eingemachtes Gemüse und Obst aufbewahren. Als ich das sah, dachte ich: Komisch, so etwas werde ich nie in meinem Leben besitzen. Einfach, weil ich nicht vorausplane. Ich lebe eher von Tag zu Tag.
Fanden Sie es im Vorratskeller befremdlich oder doch insgeheim beneidenswert?
Es ist einfach eine ganz andere Lebensform. Ich fand es weder spießig noch habe ich gedacht: Das will ich auch unbedingt, so leben. Ich fand es in dem Moment einfach interessant, wie diese Familie wohnt und lebt. Und so habe ich den Satz „Andere wohnen im Leben“ immer verstanden: Es gibt Menschen, die eindeutig wissen, wohin sie gehören, und die wohnen in ihrem Leben. Ich aber eher nicht. Bei mir ist es eher zugig und eine Tür steht offen.
Man sagt ja, man hat sich in seinem Leben „eingerichtet“. Das hört sich ein wenig so an, als sei das eigene Leben eine Wohnung, man hat seine Möbel abgestellt und will dort jetzt bleiben.
Ja, und manchmal klingt das für mich dann negativ. Aber eigentlich sind diese Menschen oft viel glücklicher, weil sie eben nicht immer denken, auf der nächsten Party ist noch mehr los, und nicht denken, dass sie immer unterwegs, immer auf der Suche sein müssen. Solche Menschen sagen dann eher: Wir bleiben einfach hier und feiern auf dieser einen Party, bis wir müde sind. Andere hingegen rennen den ganzen Abend von einer Fete zur nächsten, und am Ende haben sie dann eigentlich überhaupt nirgendwo richtig gefeiert, haben niemanden richtig kennengelernt, mit niemandem ernsthaft gesprochen, nichts erlebt. Und das alles nur, weil sie Angst haben, etwas zu verpassen. Es gibt für mich dazu ein sehr passendes Kunstwerk.
Welches?
Den „Schwebenden“ von Ernst Barlach. Diese Skulptur eines Engels hängt sehr unaufgeregt in Güstrow und in Köln mitten in der Fußgängerzone in der Antoniterkirche. Draußen rennen Menschen hektisch vorbei, konsumieren, essen schnell noch eine Bratwurst. Wenn ich in dieser kleinen Kirche stehe und diesen schwebenden Engel sehe, denke ich immer, der macht es genau richtig. Der hat die Augen geschlossen und hängt dort mit einer beneidenswerten Ruhe und ganz offensichtlich in Frieden mit sich selbst. Diese Skulptur gibt mir jedes Mal Kraft.
Sie haben in Serien gespielt, die alle sehr erfolgreich waren – den Ernie Heisterkamp in „Stromberg“, den „Tatortreiniger“, „Mord mit Aussicht“. Gibt es eine Serie, die für Sie besonders wichtig ist?
Wenn Sie jetzt diese drei Serien nennen, in denen ich über einen längeren Zeitraum jeweils eine Rolle gespielt habe, würde ich schon den „Tatortreiniger“ hervorheben. Dort war ich am meisten an der Entstehung beteiligt. Der „Tatortreiniger“ war ein kleines Experiment, das dann immer größer geworden ist und bei dem wir uns immer bessere Drehbedingungen erkämpfen konnten. Und beim „Tatortreiniger“ sehen Sie auch wieder die Verbindung zu Ingrid Lausund, mit der ich davor viel am Theater gearbeitet habe und deren Texte ich auch in dieser Serie herausragend toll fand.
Viele Ihrer Rollen sind ja komödiantische Rollen. Kann Komik dabei helfen, mit Distanz aufs Leben zu schauen? Ist Humor eine Art Schutzmauer?
Es gibt eine ganz tolle Formel, die leider nicht von mir ist, sondern von Woody Allen: „Komödie ist Tragödie plus Zeit.“ So empfinde ich mein Leben auch oft. In dem Moment, in dem ich in einer gefährlichen, traurigen, schlimmen Situation stecke, kann es wahnsinnig tragisch und belastend sein, aber wenn ich dann ein Jahr später darauf zurückschaue, können das unter Umständen sehr lustige Momente sein. Das hilft mir oft, wenn ich mich mal über Sachen aufrege oder verzweifelt bin. Ich denke dann: „Warte mal bis übermorgen! Bestimmt ist es dann gar nicht mehr ganz so schlimm, sondern vielleicht sogar eine erzählenswerte Anekdote.“ Die Formel von Woody Allen hat also – wie die Zeit – etwas Tröstendes.