Week-End-Fest in KölnSchwestern-Power mit Ibeyi, Strandparty mit Nu Genea
Köln – Mit Duke Ellington durchs nächtliche Harlem flanieren, in einer spanischen Bodega die Liebe seines Lebens finden – und gleich wieder verlieren, nur mit einem Messer bewaffnet in den Straßenkampf ziehen, oder innerlich Eislaufen gehen: „The Black Saint and the Sinner Lady“, Charles Mingus’ 40-minütige Komposition für elf Musiker, kann all diese Assoziationen im Hörer auslösen, oft zur gleichen Zeit.
Das Meisterwerk des Jazz-Bassisten aus dem Jahr 1963 passt damit wunderbar zum Kölner Week-End-Fest, dessen Line-Ups oft ähnlich überraschend, verwirrend und glückstiftend ausfallen.
Auf die leicht größenwahnsinnige Idee, das komplexe Stück zum 100. Geburtstag des Komponisten live in der Stadthalle Mülheim aufführen zu lassen, kann denn auch nur Festival-Macher Jan Lankisch verfallen, aber er hat in der jungen Big-Bandleaderin Jorik Bergman die ideale Verbündete gefunden.
Bergman hatte vergangenes Jahr, zur zehnten Week-End-Ausgabe, mit einem rein weiblichen Ensemble Stücke des in den vergangenen Jahren wiederentdeckten schwarzen Minimal-Komponisten Julius Eastman einstudiert. „The Black Saint“ geriet nicht minder imposant: große klassische Musik mit Raum für Improvisation. Die nachmitternächtliche Premiere folgte auf eine schroffe, mal brillant-brutale, mal seltsam leerlaufende Performance des Londoner Produzenten und Sprechgesangspoeten Coby Sey, man befand sich also in angemessen aufgekratzter Stimmung.
Erhebende Botschaften von Ibeyi
Sehr viel versöhnlicher geriet dagegen das Set der Díaz-Zwillinge Lisa-Kaindé und Naomi, die unter dem Namen Ibeyi das Erbe ihres früh verstorbenen Vaters, des Buena-Vista-Social-Club-Perkussionisten Anga Díaz, fortführen. So professionell wie warmherzig verknüpfen sie ihre afro-karibischen Wurzeln mit zeitgenössischen Weltmusik- und Club-Sounds aus Paris und London und erhebenden Botschaften von Solidarität und Schwesternschaft, gesungen in perfekter Harmonie. Nach anderthalb Stunden durften sich alle Week-End-Besucher als Teil der Familie fühlen.
Auch das ist eine große Stärke des Festivals: Pop (im weitestmöglichen Sinn) kommt hier aus dem Senegal und Schweden (und findet zusammen im Wau Wau Collectif), aus Hongkong mit Umweg über Brüssel (im Fall von Pak Yan Lau) oder aus Guinea und New York wie die R’n’B-Sängerin Hawa, die es am Freitagabend nicht lange auf der Bühne hielt: Sie mischte sich mitten unters Publikum, forderte Frauen zum Tanzen auf, sang herrlich ungehemmt über weibliches Begehren und verwandelte die Stadthalle in eine brodelnde Party-Zone.
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Hawa ist gerade mal 21 Jahre alt, ihr Debütalbum steht noch aus, doch hat sie bereits eine andere Musikkarriere hinter sich gelassen, war die jüngste Hauskomponistin der New Yorker Philharmoniker, bevor sie diesen Job mit 15 kündigte, um fortan über lesbischen Sex zu singen. Was den klassischen Rahmen zugeben gesprengt hätte.
Die Party hatte da erst angefangen, das neapolitanische Duo Massimo Di Lena und Lucio Aquilina hatte unter dem Namen Nu Genea eine virtuose achtköpfige Live-Band zusammengestellt, die Italo-Disco mit brasilianischem Funk und japanischem City Pop zur bestmöglichen Strandsause verbindet. Für einen Moment war die apokalyptische Grundstimmung da draußen vergessen, man schwebte, schwitze, und die Bierflasche, die man in der Hand hielt, verwandelte sich in einen Drink mit Schirmchen.