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Cologne Music WeekIn Zukunft TikTok statt Live-Konzert?

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Marianne Rosenberg sang im September in einer spärlich besuchten Kölner Lanxess-Arena.

Köln – Es ist ein durchaus berechtigter Einwand, den Charlotte Brandi im Saal des Stadtgartens vorbringt: „Warum soll ausgerechnet die Popmusik von einer Weltkrise verschont bleiben? Man kann das Thema nicht losgelöst vom globalen Zustand betrachten.“ Die Sängerin aus Berlin ist eben erst mit dem Zug in Köln eingetroffen, gerade noch rechtzeitig zur nachmittäglichen Diskussionsrunde auf der Cologne Music Week. Die widmet sich offiziell der Frage, was die Live-Branche im dritten Coronajahr gelernt hat. Eigentlich aber geht es um das viel größere Rätsel, wie es bloß weitergehen soll angesichts ausfallender Shows und ausbleibenden Publikums?

„Unter einer gewissen Größengrenze“, schätzt Brandi, „gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Ab durch die Decke oder das Ganze als teures Hobby betrachten. Und wer es wagt, sich zu beschweren, muss dann auch noch als Sprachrohr für diesen Mist herhalten.“ Demütigend sei das. Selbst bei größeren Acts laufe es derzeit zögerlich, ergänzt Anne Krug. Hallen müssten abgehangen werden, Geld werde kaum verdient. Krug arbeitet als Bookerin für die Budde Talent Agency, die Künstler wie Bon Iver, Chilly Gonzales oder Wincent Weiss vertritt. Woran das liegt? Darauf gibt es nicht nur eine Antwort.

Warum die Besucherzahlen für Konzerte eingebrochen sind

Es könne, so Krug, am Überangebot liegen, an der Ansteckungsangst oder an Geldsorgen angesichts von Inflation und Energiekrise. Dazu komme noch die Verunsicherung, ob ein Konzert überhaupt stattfinde. „Immer mehr Tickets werden erst kurz vor den Shows gekauft, wenn man weiß, es findet auch wirklich statt.“

Eben aus diesem Grund, erzählt Veranstalter Benjamin Ketzler, versuche er derzeit keine Konzerte abzusagen, egal wie schlecht der Vorverkauf laufe, denn der Vertrauensverlust wiege schwerer. Ketzler betreibt die Kölner Agentur Popanz, kümmert sich hauptsächlich um kleinere Gitarren-Acts. Die erlebnishungrigen Kids stünden im Moment aber eher vor den Techno-Clubs Schlange. Und die Musikinteressierten jenseits der 35 hätten sich auf ihren Sofas eingenistet. „Und richtig teuer wird es ja erst jetzt. Im Moment bucht niemand was fürs nächste Jahr!“

Die Zukunft auf Instagram statt auf Live-Auftritten planen

Charlotte Brandi sieht denn auch weniger eine Durststrecke als eine Systemkrise: Die Säulen des Musikbusiness seien über Jahrzehnte abgebaut worden, zuerst konnte man nichts mehr mit Tonträgern verdienen, jetzt breche das Livegeschäft ein. Der Markt habe sich komplett kapitalisiert, Musikschaffenden wird geraten, sich als TikTok-Star zu versuchen, wenigstens müsse man sein Leben als „instagramable“ präsentieren. Beste Laune trotz Krise. „Tatsächlich suchen meine Musikerfreundinnen und -freunde gerade alle nach Theaterjobs.“ Nur zu dumm, dass auch die Theater mit dem Publikumsschwund zu kämpfen haben.

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Was man da noch tun kann? Brandi wünscht sich eine starke Untergrundszene. Ketzler wirft ein: „Aber dafür gibt es doch keine Räume mehr!“ Zumindest nicht in einer Stadt wie Köln. „Den Systemumschwung werden wir nicht schaffen“, glaubt auch Anne Krug. „Wir müssen einfach das Beste draus machen. Die verschiedenen Gewerke werden enger zusammenrücken müssen.“