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„Vorglühen“Wenn zwei Rocker einen Roman schreiben

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Leuchtreklamen auf der Reeperbahn in Hamburg am 05.11.2015.

So stellt man sich das vor, wenn eine Band auf Tour ist: Zum Zeitvertreib spielt man im Bus eine angemessene Variante von Stadt, Land, Fluss. Zum Beispiel: Rockgruppen nennen, die Tiere im Namen haben. Es rätseln mit: Jan Müller und Arne Zank von Tocotronic, ihr früherer Roadie und Fahrer Thees Uhlmann und der Wahl-Hamburger Rasmus Engler, selbst Musiker und Freund der Tocos. Aus dem Hintergrund eilt Sänger Dirk von Lowtzow nach vorne und ruft „Würm!“

Die kleine Anekdote hat sich um 1999 im Tourbus von Tocotronic abgespielt. Rasmus Engler erzählte sie jetzt beim Gespräch über den Roman „Vorglühen“, den er zusammen mit Jan Müller geschrieben hat. Die Würm-Geschichte hätte auch gut in das Buch gepasst.

Beim Roman „Vorglühen“ dreht sich alles um die Musik

Im Mittelpunkt der Coming of Age-Geschichte steht Albert Bremer, frisch aus dem oberbergischen „Wehl“ zum Studium nach Hamburg gezogen. Alle akademischen Pläne werden freilich schnell durchkreuzt. Ein denkwürdiger Abend, der inklusive Absturz und Filmriss alles bietet, was der adoleszente Rock“n“Roller auf dem Land ebenso zu schätzen weiß wie in der Stadt, lenkt Alberts Leben in andere Bahnen: Fürderhin dreht es sich vor allem um seine neue Band, seine neue WG, um Dosenbier, Freunde, Liebe und Verzweiflung, um lärmende Konzerte und Kiezkaschemmen. Und um Bandnamen. Etwa „Würm“, die obskure kalifornische Sludge-Metal-Kapelle: Ein entsprechender Button an Alberts Jacke bringt die ganze Geschichte erst ins Rollen.

Als Leser des kurzweiligen Werks steht man schnell vor der Frage, ob Müller und Engler womöglich einen Schlüsselroman geschrieben haben, der die Frühphase einer Band der sogenannten Hamburger Schule skizziert, in einem sehr konkret beschriebenen Setting: Hamburg-Sankt Pauli im Sommer 1994. Nein, kein Schlüsselroman, betont Engler: „Prominente Figuren aus der Zeit um 1994 tauchen nicht auf, weder verschlüsselt noch unverschlüsselt.“ Einzige Ausnahme: Bernd Begemann, aber auch der tritt nicht auf, sondern wird nur erwähnt. Die Nebenfiguren hingegen haben zumindest teilweise reale Vorbilder, sagt Engler.

Autobiographische Züge des Buchs

Die Hauptpersonen mögen frei erfunden sein, aber das Milieu, in das Albert auf der Flucht aus der „kulturellen Wüste des Oberbergischen Landes“ hineinstolpert, ist es nicht. Viele Beschreibungen wirken authentisch, manche Passagen dokumentarisch. Das notwendige Insiderwissen ist beim Autorenduo vorhanden. Jan Müller (Jahrgang 1971) weiß als gebürtiger Hamburger und Gründungsmitglied und Bassist von Tocotronic, wie es in der Hamburger Musikszene zugegangen ist, damals, vor bald 30 Jahren.Rasmus Engler (Jahrgang 1979) lebte 1994 zwar noch in Morsbach-Katzenbach im Oberbergischen, zog aber wenige Jahre später als Zivildienstleistender in ein Hamburger Altenheim, dann nach Sankt Pauli. Heute ist er dort als Mitglied von Bands wie Herrenmagazin, Gary oder Ludger bestens vernetzt. Zusammen mit Müller gehört er außerdem noch zu „Das Bierbeben“ und „Dirty Dishes“.

Er weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn man als Junge aus der Provinz dem Ruf der Großstadt folgt. „Für mich“, sagt er heute, „war Hamburg der mythologische Ort mit all den Bands, die ich interessant fand.“ Tocotronic, zum Beispiel, „und die ganze Jens-Rachuth-Schule.“ Also Hamburg, eine Offenbarung? „Ja, schon. Am ersten Abend, an dem ich in Hamburg unterwegs war, war das Abschiedskonzert von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs.“ Das war der Abend, der – zumindest teilweise – Pate stand für Alberts wilde Nacht im Roman. „Das war so exzessiv und ausschweifend“, erinnert sich Engler, „dass ich dachte: Krass, in Hamburg steht die Welt immer in Brand.“

Was er nicht ahnte: Auch seine Hamburger Begleiter fanden die Geschehnisse legendär. Autobiografische Züge trägt laut Engler auch die Beschreibung von Alberts Wohngemeinschaft in der Talstraße 24 – das ist die alte Anschrift der WG, in der Engler und Müller einige Jahre zusammen gewohnt haben. Die Beschreibung des Treppenhauses, das demolierte Türschloss – alles echt.

Das Oberbergische durch den Kakao gezogen

Und dann ist da noch das Oberberg-Bashing, das sich wie ein roter Faden durch „Vorglühen“ zieht. Von oberbergischer Tristesse ist die Rede, von der Lebensfeindlichkeit Wehls, von den „Fransenlederjacken des Wehler Rockadels“ ... Warum denn ausgerechnet auf dem leicht zu identifizierenden Wiehl rumhacken? „Uns ging es gar nicht um eine Parallele zu Wiehl, sondern um einen Namen. Das Dorf, wo Albert Bremer herkommt, sollte ursprünglich Wümbrecht heißen. In Nümbrecht wohnen Verwandte von Jan. Das war uns dann aber zu klamaukig. Der Ort Wehl an sich ist natürlich ausgedacht – oder, wie man so schön sagt, ein Amalgam aus verschiedensten oberbergischen Käffern.“

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Dabei muss zur Ehrenrettung Wiehls unbedingt erwähnt werden, dass dort um 1995 immer wieder hochinteressante Bands aufgetreten sind: Alle im Schrank aus Bonn zum Beispiel, oder Tagestrip aus dem Oberbergischen – bei letzterer war Aydo Abay (später Blackmail, Ken) der Sänger (den Rasmus Engler übrigens aus Waldbröl vom Schulhof kannte).

Am Ende äußert sich Albert übrigens doch noch ein bisschen versöhnlich über das Oberbergische.

Zum Buch

Jan Müller/Rasmus Engler: Vorglühen. Ullstein-Hardcover, 384 Seiten, 21,99 Euro. Kindle 17,99 Euro.