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Kölner Buchhändler in der JuryDas ist die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022

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Buchhändler Uli Ormanns in seiner Agnes- Buchhandlung.

Köln – Als Buchhändler liest Uli Ormanns immer viel. Aber in zweieinhalb Monaten einen Überblick über 233 Bücher zu bekommen – das ist selbst für ihn Rekord. In seinem Geschäft musste er dafür kürzer treten, erzählt er – und er hat sich „einen intensiven Lese Urlaub für drei Wochen genommen“. Der Inhaber der Kölner Agnes-Buchhandlung sitzt in diesem Jahr in der Jury des Deutschen Buchpreises. Und die musste erst 20 Titel für die Longlist auswählen, dann sechs für die Shortlist, die am heutigen Dienstag veröffentlich wurde. Und schließlich müssen sie sich noch – wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe – auf einen Gewinnertitel einigen.

Die entscheidende Jurysitzung findet einen Tag vor der Preisverleihung statt und es gibt auch schon einen persönlichen Favoriten, für den der Buchhändler sich einsetzen wird. Alles natürlich streng geheim, selbst die Shortlist-Titel durften vor der Bekanntgabe auf keinen Fall an die Öffentlichkeit dringen. Denn für die Verlage bedeutet schon ein Platz unter den ersten sechs sehr viel – was zeigt, dass der “Deutsche Buchpreis“ sich längst als feste Größe im Literaturbetrieb etabliert hat.

Zum Deutschen Buchpreis 2022

Die sechs Finalisten für den Deutschen Buchpreis stehen fest. Nominiert sind:Fatma Aydemir: Dschinns“, Kristine Bilkau: „Nebenan“, Daniela Dröscher: „Lügen über meine Mutter“, Jan Faktor: „Trottel“, Kim de l’Horizon: „Blutbuch“ und Eckhart Nickel „Spitzweg“.

Der Deutsche Buchpreis wird seit 2005 verliehen und gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche. Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bewerben sich mit jeweils maximal zwei Titeln aus ihrer Produktion, die im Zeitraum von Oktober des Vorjahres bis September des Vergabejahres erschienen sein müssen. Der Sieger oder die Siegerin erhält 25 000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro. Der Gewinner oder die Gewinnerin 2022 wird am 17. Oktober zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse verkündet.

Deutscher Buchpreis kennt auch Kritiker

Bei seiner Einführung im Jahr 2005 waren viele skeptisch: Eine Jury, in der nicht nur Literaturwissenschaftler und -kritiker sitzen sondern auch Buchhändler und Literaturvermittler? Musste so ein Preis, vom Börsenverein des deutschen Buchhandels ins Leben gerufen, nicht zwangsläufig total kommerziell sein? Unter anderem der Autor Daniel Kehlmann kritisierte damals, dass die Autoren und Autorinnen während der Preisverleihung gefilmt werden „wie Schlagersänger in einer Castingshow“.

Als vor drei Jahren eine Buchhändlerin und Autorin einen Artikel über ihre Jury-Arbeit schrieb, sahen sich die Kritiker des Preises einmal mehr bestätigt: Denn sie ließ durchblicken, dass ein Buch sich für sie auch „gut verkaufen“ lassen müsse. Und jedes Jahr aufs Neue ist die Empörung groß, wenn sich das Lieblingsbuch der Feuilletons nicht auf den langen oder kurzen Listen für den Buchpreis findet. Den „Roman des Jahres“ zu küren ist eben eine heikle Angelegenheit. Warum sich der Versuch trotzdem lohnt?

Juror Uli Ormanns verteidigt den Literaturpreis

„Der Preis ist wertvoll, um einen Querschnitt der deutschsprachigen aktuellen Literatur zu zeigen – und das gab es so vorher nicht“, sagt Uli Ormanns. Dass auch Buchhändler in der Jury sitzen, findet er wichtig – natürlich: „Der Börsenverein tut gut daran, die Buchhändler:innen einzubinden - weil wir ja den direkten Kontakt zu dem Leser haben.“ Ob sich das Gewinner-Buch gut verkauft oder nicht – das spiele für ihn jedoch nicht die primäre Rolle bei seiner Jury-Arbeit: „Ich möchte, dass das für mich beste Buch gewinnt: Das formal Beste, aber auch das, was mich am meisten angefasst hat.“ Und so habe er es auch beim Rest der Jury erlebt, in der außer Kritikern und Kritikerinnen die Programmgestalterin eines Literaturhauses und die Kuratorin eines Literaturfestivals sitzen.

Zur Person

Uli Ormanns stammt aus einer Kölner Buchhändler-Familie und führt die Agnes-Buchhandlung seit 2001. Seit der Gründung des Deutschen Buchhandlungspreises 2015 wurde seine Buchhandlung schon vier mal ausgezeichnet, 2021 mit dem Prädikat „Besonders Herausragende Buchhandlung“.

Niemand habe da in den durchaus leidenschaftlichen Debatten eine Agenda gehabt, jenseits der literarischen Qualität: „Und das war eine schöne Erfahrung. Wir haben zum Beispiel erst nachher gezählt: Wie viele Frauen und Männer, welche Verlage eigentlich in die engste Auswahl gekommen sind?!“

Nominierte Literatur soll Querschnitt der Gesellschaft zeigen

Es sind übrigens mehr Bücher von Frauen (zwölf) auf der Longlist als von Männern (sieben) und eine non-binäre Person. Vielleicht kein Zufall, meint Uli Ormanns mit Blick auf die Neuerscheinungen: „Bei den deutschsprachigen Romanen sind viele Debüts dabei. Und es gibt mehr Bücher von jungen Frauen - das hat auch seine Notwendigkeit, finde ich, weil die Literaturszene viel zu lange von Männern dominiert wurde.“ Lenz, Böll, Grass, Walser – der Kanon von gestern ist jüngeren, diverseren Stimmen gewichen: „Schriftsteller, die aus der zweiten und dritten Generation der Einwanderer kommen und eben wirklich viele Frauen, die offen über ihre Identität schreiben, queere Literatur – es ist ja das Schöne an moderner Literatur: ein Versuch einen Querschnitt der Gesellschaft abzubilden.“

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Und so waren bei seinem Lektüre-Marathon auch Entdeckungen dabei: „Titel, die ich normalerweise wahrscheinlich gar nicht gelesen hätte - und die mich dann sehr beeindruckt haben“. Ohne Frage war es auch Stress, aber der hat sich gelohnt: „Das hätte ich unmöglich ablehnen können. So etwas kommt nur einmal im Leben auf Dich zu. Wir sind ja ein kleine unabhängige Buchhandlung und das ist schon eine große Ehre und eine Riesen-Erfahrung.“