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„Wetten, dass..?“-KritikFrüher war eben doch nicht alles besser

Lesezeit 5 Minuten
Thomas Gottschalk im roten Leoprint-Anzug und Michelle Hunziker in einem pinken Kleid stehen in der Messehalle in Friedrichshafen während der "Wetten, dass..?"-Sendung

Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker moderierten "Wetten, dass..?" wieder gemeinsam.

Bei „Wetten, dass..?“ ist alles beim Alten. Thomas Gottschalk ist schlecht vorbereitet, Michelle Hunziker versucht zu retten, was zu retten ist. Das Publikum ist dennoch glücklich.

Um 21 Uhr hat Robbie Williams „Angels“ als Zugabe gesungen - vermutlich, um das Ton- und Gesangsdesaster des ersten Songs vergessen zu machen. Ein echter Rausschmeißer wäre das beim Karaoke-Abend nach dem dritten bis fünften Bier. Und Schauspieler Christoph Maria Herbst kommentiert hinterher trocken, nun könne man „Wetten, dass..?“ doch eigentlich beenden. Also natürlich nur, weil die Stimmung ja nicht mehr zu toppen sei.

Der Gedanke wird auch so manchem Zuschauer gekommen sein. Also der mit dem Ende, nicht der mit der Stimmung. Aber manche Wünsche erfüllen sich nicht. Und so geht es in Friedrichshafen munter weiter. Robbie Williams sitzt nach kurzer Flucht hinter die Bühne – Warum eigentlich? – als Wettpate auf dem Sofa. Er gibt den geläuterten Popstar, den früher vor allem Ruhm und Drogen interessierten, und der nun für die Familie lebt. Und das Publikum bejubelt ihn so, als wäre er noch immer der Superstar, der er einmal war. Deshalb muss er natürlich auch irgendwann zum Flieger.

Show und Star sind nicht gut gealtert

Aber als ihm seine Wette vorgestellt wird, stellt er die Frage, die wohl fast allen Gästen, die jemals auf dieser Couch saßen, durch den Kopf ging: „Warum?“ Worauf Gottschalk trocken entgegnet: Wer das wissen wolle, sei in der Sendung falsch. Wohl wahr. Dass die Frage nach dem Sinn hier nicht weiterführt, hat hoffentlich auch der Letzte begriffen.

Williams geht es ein bisschen wie der Show, für die er in eine Messehalle in Friedrichshafen gereist ist. Einmal im Jahr gibt es seit dem Revival im vergangenen Jahr nun im ZDF „Wetten, dass..“?. Und war Williams für ein paar Jahre Europas größter Popstar, war „Wetten, dass..?“ für viele Jahre die größte Unterhaltungsshow Europas. Beide sind leider nicht sehr gut gealtert.

Aber die Liebe, die das Publikum ihnen in der Halle entgegenbringt, ist echt. Und irgendwie auch ein bisschen rührend. Es ist wie in einer Beziehung, an der man schon lange zweifelt, deren Ende man aber hinauszögern möchte. Wer „Wetten, dass..?“ in seiner Kindheit geliebt hat, will eben einfach, dass diese Liebe nicht vergeudet war.

Thomas Gottschalk kann man nicht den Vorwurf machen, nichts für diese Sehnsucht nach Nostalgie zu tun. Er macht seinen Job haargenau so, wie er ihn immer gemacht hat. Er ist schlecht vorbereitet und bemüht sich nicht mal, das zu verbergen. Er wirft Namen durcheinander – die Fußballnationalspielerin heißt Giulia Gwinn und nicht Giuliana -, weiß nicht, wann die Filme, die Michael „Bully“ Herbig, Christoph Maria Herbst und später John Malkovich, Veronika Ferres und deren Tochter Lilly Krug bewerben, im Kino anlaufen, und wo die Gäste von der Bühne gehen. Man kann das erstaunlich arrogant finden, aber zumindest das Publikum in der Halle verzeiht Gottschalk alles.

Seine Co-Moderation Michelle Hunziker versucht wieder einmal, die schlimmsten Patzer abzumildern. Sie trägt ein pinkes Kleid, Gottschalk einen roten Leoprint-Anzug und so wenig sie sich bei der Wahl ihres Outfits abgesprochen haben, so wenig offensichtlich auch in der Moderation. Macht aber nix, da Hunziker sowieso die Einzige ist, die einen Plan hat. Sie lächelt stoisch Gottschalks indiskrete Fragen nach ihrem Privatleben weg, scheint sich aufrichtig über die Wetten und mit den Kandidatinnen und Kandidaten zu freuen und ist auch sonst bemüht, Gottschalk sicher durch den Abend zu lotsen.

Die Wetten immerhin sind tatsächlich unterhaltsam. Da erkennt jemand Brettspiele am Geräusch, das sie machen, wenn sie ausgeschüttet werden. Natürlich gibt es die Baggerwette. Und in der Außenwette versucht ein Kandidat in einer fahrenden Achterbahn ein Handy zu fangen, das sein Freund in die Luft wirft.

Wettkönig wird aber Marten Reiß. Die Wette ist gut – er erkennt unter mehr als 2000 Fingerabdrücken an einer Wand einen, der ausgetauscht wurde – aber vor allem motiviert das Publikum wohl, dass er die 50.000 Euro Gewinn dafür einsetzen will, Lützerath zu retten. Das Dorf soll für den Tagebau abgebaggert werden. Und auch Herbert Grönemeyer bringt noch etwas Relevanz in den Abend, als er als Wetteinsatz ankündigt, einen Monat lang die Kosten der Tafel in Berlin zu tragen.

Als letztes TV-Lagerfeuer wurde „Wetten, dass..?“ schon unzählige Male bezeichnet. Das stimmt natürlich nicht. Vor dem Fernseher und in den sozialen Netzwerken versammelt sich an diesem Samstagabend die Generation, die noch weiß, dass diese Show tatsächlich einmal Herzen erwärmte, um es mal pathetisch auszudrücken.

Die Jüngeren staunen einfach nur

Die Jüngeren staunen vermutlich eher wie die Influencerinnen Lisa und Lena. Die haben 18,5 Millionen Follower bei Instagram und 13,6 Millionen bei TikTok. Weil Tennisstar Alexander Zverev an Corona erkrankt ist, springen die beiden, die ansonsten hinter der Bühne Videos für Social Media drehen, bei der Kinderwette als Paten ein. Und müssen Gottschalks gönnerhafte Ausführungen über sich ergehen lassen, dass er Influencer ja eigentlich grässlich finde, sie aber ganz ok seien. Bei ihm klingt das so: „Die beiden sind wirklich niedlich.“ Was soll man da noch machen? Genau, lächeln und nicken.

Für ein junges Publikum ist die Show deshalb vor allem wunderbares Anschauungsmaterial, wenn sie verstehen wollen, wie Geschlechterrollen früher definiert waren. Da war es eben noch normal, eine Fußballerin zu fragen, ob sie denn auch Blumen entgegennehme. Oder zu einem 19 Jahre alten Popstar zu sagen, sie habe ja doch tatsächlich eine gute Stimme, das sei ihm von Experten bestätigt worden. Ja, es ist unglaublich, aber es gibt Frauen, die Bagger fahren - und sie tragen auch noch Pumps dabei.

Und ob die Mutter Mitspracherecht habe, wenn die Tochter mit einem neuen Freund ankommt, wie er es von Ferres und Krug wissen will, traut sich heute außer Thomas Gottschalk in „Wetten, dass..?“ auch niemand mehr zu fragen. Früher war eben doch nicht alles besser. Und das ist doch eine ganz tröstliche Erkenntnis nach knapp dreieinhalb Stunden Reise in die Vergangenheit.