Am 30. Mai tritt Wincent Weiss in der Kölner Lanxess-Arena auf. Im Interview spricht er über Depressionen und sein neues Album.
Wincent Weiss im Interview„Ich wollte nie so richtig Vorbild werden oder sein“
Der Singer und Songwriter Wincent Weiss veröffentlicht am 28. April sein viertes Album „Irgendwo ankommen“. Im Mai beginnt er seine „Vielleicht irgendwann“-Tour in Köln. Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ redet er über seine Musik, mentale Gesundheit und übers Ankommen.
Die bisher veröffentlichten Songs Ihres neuen Albums wirken mehr nach innen gekehrt als Ihre vorherigen Lieder. Wie ist es dazu gekommen?
Ich glaube, das bringt das Alter so mit sich: Ich bin jetzt 30 geworden. Da denkt man ein bisschen mehr über sich selbst nach, über das Leben, wo man hinwill, wo man ankommen möchte, was man so gemacht hat die letzten Jahre ... Ich hatte jetzt ein bisschen Zeit zu reflektieren und zu gucken, was die letzten Jahre passiert ist, gerade in der Corona-Zeit. Im dritten Album ging es schon sehr viel um ganz viele, größtenteils negative Gedanken und Themen bei mir, die ich endlich mal in dieser Zwangspause aufgearbeitet habe.
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Insgesamt ist das neue Album sogar sehr positiv geworden. Wenn man angekommen ist, bei sich selbst und sich selbst kennengelernt und mit sich selbst im Reinen ist, sich selber liebt und mag - dann hat man nicht mehr so viele Gründe griesgrämig zu sein.
Wincent Weiss über Depressionen
Dennoch: Die Songs „Auf den Grund“ und „Alleine sein“ beschreiben sehr bildlich Zweifel, Selbsthass, Depressionen und Angststörungen. Warum haben Sie sich dazu entschieden, diese düsteren Themen zu thematisieren?
Ich sage schon länger auf der Bühne ein paar Sätze über Depressionen und den ganzen äußerlichen Druck, den man bekommt - durch die Sozialen Medien zum Beispiel. Und beziehe da ganz klar Stellung und sage auch, dass das keine Schande ist, wenn man zum Arzt geht. Ich wurde früher auch verurteilt, weil ich gesagt habe, ich hatte Depressionen und war bei einer Therapeutin.
Da haben alle immer gesagt: „Wie peinlich ist das denn?!“. Auch Jugendmagazine haben geschrieben, „Peinliches Geständnis: Weiss geht zur Therapie“. Wie verkehrt ist das denn?! Man sagt auch niemandem: „Oh Gott, du bist zum Arzt gegangen, weil du dir das Bein gebrochen hast. Das ist ja peinlich, mach das doch selbst mit dir aus!“.
Warum ist Ihnen das wichtig?
Ich finde einfach, gerade wenn man so eine große Gefolgschaft hat wie ich, sollte man einfach ehrlich sein, um gerade den jungen Leuten Mut zu machen, dass es etwas Normales ist, sich helfen zu lassen und über Dinge zu sprechen, die einen beschäftigen. Mir haben ganz viele Leute zurückgemeldet, dass sie durch meine Musik oder meine Worte bestärkt worden sind. Mit der Familie oder Freunden offener zu sprechen, zum Beispiel. Oder sich zu outen, zur Therapie zu gehen. Selbst wenn es nur eine Person ist, der ich mit meiner Offenheit helfen kann - dann ist das ist eine Person mehr, der geholfen wird.
Männer, die Schwäche zeigen
Gerade für Männer waren mentale Gesundheit und Schwäche zeigen lange noch mehr ein Tabu-Thema. Sehen Sie sich da als Vorbildfunktion?
Ich wollte nie so richtig Vorbild werden oder sein. Irgendwie bin ich das in meiner Rolle dann doch geworden. Das ist ein automatischer Werdegang, den man einnimmt, wenn man in der Öffentlichkeit steht und erfolgreich wird. Aber ich kriege zumindest in Künstlerkreisen auch mit, dass immer mehr Künstler wegen mentaler Probleme leiden oder Konzerte absagen: Shawn Mendes zum Beispiel oder Justin Bieber, der sogar gerade seine Welttournee abgesagt hat.
Es sprechen eben auch immer mehr Männer darüber, gerade in den sozialen Medien ...
Ja, das Thema ist insgesamt viel aktueller geworden. Das ist auch gut so. Immer mehr Leute verbringen mehr Zeit im Netz als in der realen Welt. Und werden dort einem riesigen Druck ausgesetzt: Du musst so und so aussehen, so viele Jobs wie möglich machen und mit 1000 Filtern siehst du schöner aus. Das ist schon gerade für Jugendliche sehr, sehr, sehr kritisch, was da passiert.
Sie haben in vorherigen Interviews erzählt, dass Sie weniger oder vor allem stressfreier arbeiten müssen oder möchten? Wie kriegen Sie das momentan hin?
Ich möchte einfach auch mal am normalen Leben teilnehmen, weil ich wirklich immer sieben Tage die Woche gearbeitet habe. Und unterwegs war - vor allem am Wochenende, wenn meine Freunde freihatten, die einen 9-5 Job haben. Da hatte ich immer Konzerte, Festivals, Tour, Fernsehshows ...
Jetzt gerade vorm Album-Release ist natürlich viel los, da ist Stress: Tour vorbereiten, die Tour geht los... Aber ich glaube, wenn ich diese Phase überstanden habe, dann wird es wieder entspannter. Ich kriege es aber ganz gut hin. Es sind noch nicht 100 Prozent, aber gute 60.
Sänger Wincent Weiss ist bei sich angekommen
Wie viel hat das Stichwort und der Albumtitel „Irgendwo angekommen“ damit zu tun bei Ihnen? Fühlen Sie sich angekommen? Bei sich?
Also angekommen bei mir schon. Deshalb ist es auch so wichtig, dass ich mir wirklich Zeit nehme, Urlaub und Pausen mache, weil ich mich sonst immer ein bisschen fremdgesteuert gefühlt habe. Mein Terminkalender wurde und von Agenturen und Plattenfirmen und Co. immer sieben Tage vollgepackt und ich bin losgeritten und habe alles abgearbeitet, ohne auf mich selbst zu achten. Das hat sich jetzt geändert, dass ich mehr frei mache, bei mir ankomme, genau weiß, was ich möchte, was ich nicht mehr möchte.
Und sind Sie musikalisch angekommen?
Ich glaube, das tut man hoffentlich nie. Ich finde Musik sollte sich so viel wandeln, wie es geht, weil man sich selbst verändert. Klar mache ich jetzt nicht mehr die gleiche Musik, wie vor acht Jahren. Mein Geschmack hat sich verändert, meine Erfahrungen, mein Alter, meine Ansichten. Da muss man, glaube ich, bei den Leuten da draußen auch ein bisschen mehr Offenheit schaffen, dass Veränderung etwas Gutes ist.
Alle sehen das so negativ und sagen: „Wincent du hast dich so verändert in den letzten Jahren“. Aber das ist doch logisch! Von 20 bis 30 – wenn ich mich da nicht verändere, wann dann? Bei sich selbst ankommen ist super, aber sonst soll sich das Leben doch immer weiterdrehen und immer etwas Neues bieten und immer mehr Erfahrungen bringen. Da habe ich beim Ankommen ein bisschen Angst vor Stillstand. Leben sollte immer weiter fließen.
In einem kleinen Dorf kann Wincent Weiss einfach Wincent sein
Mit der Koordinaten-Aktion zum Album geht es ja auch um örtliches Ankommen. Sind Sie örtlich angekommen, oder suchsen Sie noch?
Bei mir ist es immer der Norden in Schleswig-Holstein. Ich bin da in einem kleinen Dorf groß geworden, wohne da ja immer noch. Da wohnen 100 Leute bei mir im Dorf und ich merke immer, wenn ich unterwegs bin, die Touren abfahre oder in Großstädte ziehe, dass ich trotzdem diesen Heimatort zu Hause brauche, um wieder zu Hause mich zu erden und dort anzukommen.
Ich laufe immer einmal kurz an die Ostsee zum Strand, stecke einmal kurz die Füße in den Sand, fahre dann wieder los, besuche meine Großeltern, sag meiner Schwester „Hallo“ und bin einmal kurz auf dem Dorf, wo Ruhe ist und Kühe und Hühner und Pferde. Das ist für mich so das absolute Ankommen, wenn einfach nichts ist. Außer ein paar Leute vielleicht, die mich aber auch schon kennen, seitdem ich in der Schule war. Die sagen „Moin, Wincent“ und nicht „Oh mein Gott, da ist Wincent!!!“.
Wie sieht denn dieser Prozess aus, in dem Ihre Musik entsteht?
Ich schreibe meine Songs meistens so mit drei oder vier Leuten zusammen, das heißt, wenn ich im Studio bin, dann habe ich eine Notiz auf meinem Handy oder ein Thema, über das ich sprechen möchte und dann quatschen wir einfach los. Dabei lassen wir die Aufnahme mitlaufen, oder schreiben ganz viele Texte nebenbei. Manchmal entstehen im Gespräch so schöne Sätze, so schöne Bilder, die wir verwenden können.
Am Ende des Gesprächs, das sind zwei, drei Stunden, hat man eine ganze Notiz vollgeschrieben und sucht sich die schönsten Stellen raus, platziert die schon mal. Und dann geht man da relativ strukturiert tatsächlich dran, was die Strophe, der Chorus, der Pre-Chorus sein soll. Aber ich gehe erst über die Idee, fange damit an, suche dann Akkorde und Reime.
Gibt es denn auch neue Fragen auf dem Album?
Die Fragen kommen jetzt gerade erst wieder. Wann mache ich eigentlich mal Pause? Im ersten Song singe ich auch, dass mir alle sagen, ich soll mal eine Pause machen und ich sage „Ja, mache ich“, aber wann eigentlich? Da sind noch ein paar Fragen, die offen sind. Wann ich mal ein bisschen kürzertrete und mal ein bisschen mehr Zeit für mich verbringe, um auch mal ein bisschen Richtung Zukunft zu schauen, mit 30 langsam ...
Wincent Weiss tritt am 30. Mai mit seiner Tour „Vielleicht irgendwann“ in der Lanxess-Arena in Köln auf. Weitere Informationen finden Sie online unter: www.wincentweiss.de