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Fernsehformat vor BewährungsprobeWir müssen reden! Der Talkshow-Wahlkampf beginnt

Lesezeit 7 Minuten

Dieser Winterwahlkampf wird anders: Die Debatte verlagert sich in die Talkshows. Aber taugen „Caren Miosga“, „Maybrit Illner“ und Co. wirklich zur Meinungsbildung?

Doch, sagt Caren Miosga, der Bundeskanzler sei gelegentlich auch „ganz lustig“. Dann nämlich, wenn die Kamera aus ist. „Dann kann Olaf Scholz so verschmitzt sein“, erzählte die ARD-Talkmasterin jüngst im MDR. Es falle ihm jedoch schwer, Gefühle zu zeigen. Miosga klang dabei wie eine Lehrerin, die um Nachsicht für ein schwieriges Kind wirbt.

Scholz habe in einem Interview mal von „Emotionen“ gesprochen, „als rede er von einer Beerdigung“, sagte sie weiter. Sie habe ihn dann daran erinnert, dass er gerade eine Wahl gewonnen habe. „Und Sie gucken wie ein Butler zur Tea-Time!“ Da habe er den rechten Mundwinkel ganz leicht angehoben. So sieht das aus, wenn Olaf Scholz eskaliert.

Emotionen sind der Treibstoff des Fernsehens

„Informationen kannst du vergessen – Emotionen halten wach!“, hat Talklegende Alfred Biolek mal gesagt. Fakten haben einen guten Ruf. Konkretes jedoch langweilt schnell. Gefühle sind der Treibstoff des Fernsehens. Scholz aber hält den Tank fest verschlossen. Gut zehnmal hat Miosga den SPD-Mann bisher interviewt. Zehnmal arbeitete sie sich an seinem Kokon aus verbindlicher Hartgesottenheit ab, zuletzt im November, als sie Scholz in ihrem ARD-Sonntagstalk immerhin die Bereitschaft entlockte, die Vertrauensfrage vier Wochen früher zu stellen als ursprünglich geplant.

Wahlkampf im Winter. Normalerweise rauscht die Berliner Republik alle vier Jahre in schwarzen Limousinen aufs Land, um zu „den Menschen“ zu sprechen, dieser seltsamen Spezies, die sie bitte wählen soll. Das wird diesmal nur in Maßen geschehen. Denn auf den Marktplätzen ist es kalt und regnerisch. Straßenwahlkampf verspricht im Sommer mehr Erfolg. Deshalb richten sich die Augen verstärkt auf die politischen Talkshows. Bis zur Wahl am 23. Februar werden sie zu den wirkmächtigsten Arenen der Meinungsbildung.

Der Sonntagstalk mit Caren Miosga ist im Januar 2024 gestartet.

Der Sonntagstalk mit Caren Miosga ist im Januar 2024 gestartet.

Gut 30 Talksendungen gehen in diesem Land in einer normalen Woche auf Sendung. 30 Redaktionen also suchen händeringend nach Gästen, Themen, Zuschauern, von „Riverboat“ bis „3nach9″, von der „Phoenix Runde“ bis „Maybrit Illner“. Etwa 100 Gäste verschlingt die Talkmaschinerie in fünf Tagen. Das sind, die Sendepausen abgerechnet, rund 4000 Gesprächspartner pro Jahr.

Talk-Winterpause mitten im Wahlkampf?

Vor allem vor den Studiotüren der „Big Five“ wird das politische Berlin jetzt verstärkt Einlass begehren, also bei „Caren Miosga“, „Maischberger“ und „Hart aber fair“ in der ARD sowie „Maybrit Illner“ und „Markus Lanz“ im ZDF. Das Problem: Ausgerechnet in der Hochphase des Wahlkampfs wären die ARD-Shows planmäßig in der Winterpause gewesen. Schweigen im Walde so kurz vor der Wahl? Das hält selbst die traditionell schwergängige ARD für unzumutbar: „Uns ist allen bewusst, dass der vorgezogene Wahltermin sämtliche Planungen obsolet macht“, sagt der scheidende ARD-Vorsitzende Kai Gniffke.

Die Folge: Louis Klamroth („Hart aber fair“) kehrt nun statt am 20. Januar bereits eine Woche vorher zurück, „Maischberger“ geht am 21. Januar auf Sendung. Miosga wollte sogar bis zum 26. Januar pausieren. Sie beendet nun schon am 12. Januar ihre Weihnachtspause. Markus Lanz kehrt bereits am 7. Januar zurück – planmäßig.

Angela Merkel will in ihrer 16-jährigen Amtszeit vieles richtig gemacht haben. (Bild: ZDF/Jule Roehr)

Seit über 20 Jahren Gastgeberin in ihrer ZDF-Talksendung: Maybritt Illner (l.), hier Ende November 2024 im Gespräch mit der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Sicher ist: Diese Wahl wird auch eine Bewährungsprobe für eines der ältesten TV-Formate: die Talkshow. Die wichtigsten Polittalks – im Quoten-Ganzjahresvergleich 2023 gegenüber dem Vorjahr noch rückläufig – stießen in diesem Jahr wieder auf stärkeres Interesse. Meistgesehener Talk im ersten Halbjahr 2024 war Markus Lanz mit einem Marktanteil von 15,2 Prozent vor „Maybrit Illner“ mit 14,2 Prozent und Sonntags-Neuzugang „Caren Miosga“ mit 14,1 Prozent. Ihre Vorgängerin Anne Will hatte in ihrem Abschiedsjahr im Schnitt 13,1 Prozent erreicht.

Vor allem Miosga gelang es in ihrem ersten Jahr immer wieder, den Großen des Politbetriebs jenseits ihrer kalkulierten Egoshow Sekunden echter Zerknirschung zu entlocken. Zuletzt platzte einem dünnhäutigen FDP-Chef Christian Lindner angesichts ihrer hartnäckigen Fragen zur „D-Day-Affäre“ der Rollkragen: „Bitte unterbrechen Sie mich doch nicht bei jedem Satz!“

„Ich bin mit dem Vorsatz angetreten, dem immer aggressiveren und auch von Populisten erhitzten Diskurs ein weniger inszeniertes Ambiente entgegenzusetzen“, sagte Miosga dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Ihre Show solle „keine Arena und kein kleines Parlament sein“. Das gelingt bisher. Gut 3,2 Millionen Menschen gucken regelmäßig zu.

„Die Deutschen sind sehr gesprächig“

Momente echter Entlarvung freilich bleiben selten im TV-Talkbetrieb. Kameras sind Echtheitsverhinderungsmaschinen, weil sich fast jeder Mensch, ihrer gegenwärtig, künstlich verhält – erst recht rampengestählte Politveteranen. Die öffentliche Erregung schwillt kurz an, wenn Merz eruptiv über „kleine Paschas“ lamentiert oder nazinahes Personal eine unnötig breite Bühne bekommt. Ansonsten aber herrscht viel stabile Rederoutine. „Die Deutschen sind sehr gesprächig“, stöhnte mal der frühere US-Botschafter John Kornblum.

Das Fernsehen, dieses Medium der „konsequenten Unterforderung“ (Roger Willemsen), ist ein faules, gefräßiges Ding. Talkshowredaktionen greifen mit Vorliebe zurück auf vertrautes Personal mit erprobten Positionen.

Politiker und Journalisten unter sich

Zwei Drittel aller Talkgäste in den wichtigsten Shows des Landes sind Politiker (42,6 Prozent) oder Journalisten (22,9 Prozent). Und das, obwohl der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert schon vor Jahren festgestellt hat: „Die beachtliche Präsenz von Politikern in immer mehr Talkshows hat keine nachhaltige Verbesserung des Ansehens der Politik bewirkt.“ Nur 8,8 Prozent der Gäste kommen aus der Wissenschaft, 6,4 Prozent aus der Wirtschaft, 2,8 Prozent aus der Kultur, 2,7 Prozent aus der organisierten Zivilgesellschaft – und mickrige 0,1 Prozent aus dem Bildungswesen. Das ist das Ergebnis einer Datenanalyse des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum.

„Die Standardbesetzung aus ‚Politik plus Journalismus‘ wie auch die permanente Wiederkehr derselben Köpfe verengen die Meinungsvielfalt“, urteilt die Studienautorin Paulina Fröhlich. „In einer digitalisierten und dadurch pluralisierten Öffentlichkeit wirkt eine derartige Cliquenbildung geradezu anachronistisch.“ Das fördere „Misstrauen, Zynismus und Entfremdung“. 38 Prozent der Gäste waren demnach Frauen. Und: Acht von zehn Gästen aus der Wirtschaft repräsentierten eher die Unternehmerseite – Gewerkschaften und Verbraucherschützer seien dagegen „selten präsent“.

„Das hat kein Niveau“: Philipp Amthor rechnete im ARD-Talk „Maischberger“ mit Beatrix von Storch und der AfD ab. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Seit 2003 in der ARD auf Sendung: Talkmasterin Sandra Maischberger.

Auch Menschen mit Migrationsgeschichte sind klar unterrepräsentiert – ein mediales Defizit, das weit über das Genre Talkshow hinausgeht. Zu oft wird über sie gesprochen statt mit ihnen. Gut 27 von 100 Menschen in Deutschland haben einen sogenannten Migrationsbezug – aber nur gut 5 Prozent der Gäste in den Mainstream-Talkshows. „People of Color“ etwa würden „überwiegend zu stereotypisierenden Themen eingeladen“, heißt es beim Berliner Start-up „Karakaya talks“ der Berliner Journalistin und Moderatorin Esra Karakaya. Sie hat das Problem selbst in die Hand genommen – mit einer eigenen, preisgekrönten Talkshow im Netz, mit der sie „unterrepräsentierte Perspektiven sichtbar machen“ will.

Talkshows funktionieren wie Wrestlingkämpfe

Tatsächlich sind ja deutsche Polittalks selten wirklich Gespräche. Sie funktionieren meist eher wie EU-Gipfel oder Wrestlingkämpfe: Die Dramaturgie und die Rollenverteilung stehen längst fest, wenn die Lichter angehen. Allzu oft geht es vor allem den Politikern im Ring um den populistischen Gag, um das Generieren von wohlfeilem Bekenntnisapplaus mit den Mitteln des politischen Musicals.

Zuhören können ist eine seltener werdende Tugend. Wer schweigt, gilt als nichtssagend. Nicht nur im Fernsehen, sondern in der zwanghaft disruptiven Postmoderne insgesamt, die Leises kaum aushält. Das Medium verlangt nach absoluter Unmissverständlichkeit. Der Westen macht alles falsch. Die Regierung hat versagt. Volkswagen ist erledigt. Wir brauchen mehr Bomben. Treten Sie zurück, Herr Scholz.

Das System schnurrt dennoch sauber vor sich hin. Denn Talkshows sind vergleichbar günstiges Fernsehen. Die Gesamtkosten für „Hart aber fair“ etwa wurden 2023 in einem internen ARD-Papiere mit 6,6 Millionen Euro im Jahr angesetzt. Das wären rund 195.000 Euro pro Sendung oder 2600 Euro pro Sendeminute. „Maischberger“ schlug laut „Business Insider“ mit einem Minutenpreis von 1900 Euro zu Buche. Zum Vergleich: Eine „Tatort“-Minute kostet bis zu 20.000 Euro.

Politiker erhalten kein Honorar

Die Talkshowhosts sind zumeist Produzenten ihrer eigenen Sendung – ein lukratives Geschäft. An die Firma Ansager & Schnipselmann des früheren „Hart aber fair“-Moderators Frank Plasberg etwa flossen laut „Business Insider“ gut 4,9 Millionen Euro pro Jahr. Darin inklusive war demnach auch eine Gage von gut 21.500 Euro pro Sendung an Plasberg. Bei seinen noch aktiven Kollegen sehen die Konstruktionen ähnlich aus. Die Gäste erhalten dabei eine Aufwandsentschädigung von bis zu 500 Euro pro Auftritt. Bekommen auch Politiker Honorar? Nicht in allen Fällen. Karl Lauterbach etwa twitterte jüngst, er erhalte „selbstverständlich keine Aufwandsentschädigung“.

Im ersten Corona-Jahr war Lauterbach nicht weniger als 21-mal bei Lanz im ZDF zu Gast, im Schnitt in jeder achten Sendung. Manche fragten scherzhaft: Wohnt der inzwischen im Studio in Hamburg-Altona?

Kritik auch aus den eigenen Reihen

Die Shows müssten sich „deutlich voneinander unterscheiden“, forderte zuletzt selbst die oberste Programmaufsicht der ARD mit dem scholzomatigen Namen „Gremienvorsitzendenkonferenz“. Auch der WDR-Rundfunkrat kritisierte „alarmistische Zuspitzungen“. Es dürfe „auf keinen Fall Anspruch an die Gäste sein, zu provozieren oder Skandale erwarten zu lassen“.

In der Regel aber führt die Routine die Regie. „Wir alle kennen den Haaransatz von Friedrich Merz besser als den unseres Patenonkels“, sagte ZDF-Moderator Theo Koll mal. Und das war schon 2004. Vor 20 Jahren. Im Talkshow-Wahlkampf zwei Jahrzehnte später spielt Merz wieder eine Hauptrolle. Es ist, wie Moderator Giovanni di Lorenzo („3 nach 9“) mal gesagt hat: „Man wundert sich selbst, an was für Gestalten man sich so gewöhnt hat im Lauf der Jahre.“