Während man in der ARD um die Zukunft der Automobilindustrie streitet, freue sich ein Dritter, warnt Ranga Yogeshwar.
„Chinesen fahren uns sonst davon“Yogeshwar knöpft sich bei „Hart aber fair“ E-Auto-Skeptiker vor
„Deutschland in der Autokrise - fährt eine Industrie gegen die Wand?“ - Aktueller hätte das Thema von „Hart aber fair“ kaum sein können, ging der 28. Oktober 2024 doch vermutlich als „schwarzer Tag“ in die Geschichte der deutschen Autoindustrie ein. „Zum ersten Mal in der Geschichte von VW stehen drei Werke in Disposition“, sprach Moderator Louis Klamroth eingangs des ARD-Talks von einem „Rumms“. Laut VW-Betriebsrat stehen die Stellen von mehr als 10.000 Mitarbeitenden auf dem Spiel, die verbleibende Belegschaft muss mit Gehaltseinbußen rechnen, und die restlichen VW-Werke in Deutschland sollen verkleinert werden.
Es seien viele Fehler gemacht worden, und die „einseitige Orientierung auf E-Mobilität“ sei einer davon, argumentierte im ARD-Talk Frank Schäffler. „Doch dass die Gewerkschaften jetzt sieben Prozent Lohnerhöhung fordern, passt auch nicht rein“, holte der FDP-Politiker zum Rundumschlag aus. Zudem hätte das Land Niedersachsen - einer der größten Anteilseigner bei VW - mit der „Kultusministerin“ jemanden in den Aufsichtsrat geschickt, die keine Ahnung von der Materie habe. „Das funktioniert nicht“, urteilte er.
„Es ist kein VW-Thema, sondern eine Krise des Industriestandorts Deutschland und Europa“
„Managementfehler und auch politische Fehler dürfen nicht auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden“, stellte sich der designierte Grünen-Wahlkampf-Manager Andreas Audretsch in der Sendung auf die Seite von Daniela Cavallo, der Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, und forderte Garantien für Mitarbeitende wie Standorte.
Von derartigen Zusicherungen hält Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, nichts: Die Transformation zur E-Mobilität führe zu veränderten Berufsbildern. „Bis 2035 stehen laut einer morgen veröffentlichten Studie 190.000 Arbeitsplätze in Rede“, plädierte die oberste Auto-Lobbyistin für „Ehrlichkeit in der Debatte“. Ob neue Arbeitsplätze geschaffen werden, hänge von den Standortbedingungen ab. Diese machte sie auch für die jüngsten „Kahlschlagpläne“ (Zitat „Handelsblatt“) verantwortlich: „Es ist kein VW-Thema, kein Autothema, sondern eine Krise des Industriestandorts Deutschland und Europa.“
Die Energiekosten seien dreimal so hoch wie etwa in den USA, hinzu kämen Bürokratie und andere Hindernisse. „Wenn wir diese Fragen nicht klären, wird die Autoindustrie ihrer Wege gehen“, lautete ihr Fazit, „dann wird sie diese aber nicht mehr mit Wertschöpfung und Arbeitsplätzen, die uns total am Herzen liegen, hier in Deutschland gehen“. Dafür brauche es gemeinsame Vorschläge von der Regierung, meinte sie mit Blick auf den bevorstehenden Industriegipfel. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz dazu die Automobilunternehmen, nicht aber den industriellen Mittelstand oder den Verband eingeladen hat, kritisierte Müller scharf.
Ranga Yogeshwar: „Vorsprung durch Technik gilt nicht mehr“
„Vorsprung durch Technik“, der berühmte Audi-Slogan, gelte in Deutschland nicht mehr, verwies Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar auf einen „Riesenshift“ vom Verbrennermotor zur Elektromobilität. China hätte in Sachen Knowhow die Nase vorne. Dort macht E-Mobilität inzwischen 50 Prozent der Neuzulassungen aus.
In Deutschland hingegen sei der Bestand an E-Fahrzeugen mit 2,9 Prozent „extrem wenig“, hatte Klamroth erstaunt festgestellt. „Hat Deutschland das verschlafen?“, fragte er provokant. Der Verbrennungsmotor hätte hierzulande im Gegensatz zu China eine „lange Tradition“, versuchte sich Hildegard Müller in Erklärungen. Zudem habe man mit Verbotsdebatten die Menschen verärgert.
FDP-Mann warnt vor „Zwangstransformation der Wirtschaft“
Zu eben diesem „De-facto-Verbot“ - wie es der Gebrauchtwagenhändler Aleksandar Zec aus Stuttgart in der Sendung nannte - prallten bei Louis Klamroth die Meinungen aufeinander: Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, dürfen ab 2035 EU-weit keine Neuwagen zugelassen werden, die klimaschädliche Treibhausgase ausstoßen.
Auf Intervention der FDP wurde beschlossen, dass in Deutschland auch Verbrenner erlaubt wären, die mit CO2-neutralen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels, fahren. Damit sei die Diskussion laut Schäffler aber nicht zu Ende: „Dass 2035 faktisch ein Verbrenner-Aus für Neuzulassungen stattfindet, darf es nicht geben“, warnte er vor einer „Zwangstransformation der Wirtschaft“ und sprach sich für die von der FDP viel beschworene Technologieoffenheit aus. Preis und Klimazertifizierungen müssten natürliche Anreize schaffen.
„E-Fuels sind eine nette Konstruktion, um am Alten festzuhalten“, hielt Yogeshwar als Naturwissenschaftler nichts davon, „Nebelbomben“ zu werfen. Diese Alternativen wären nur ein „ineffizienter Umweg“ im Vergleich zu Batterien (Yogeshwar: „Faktencheck, das kann man prüfen!“). „Die These ist auch, das E-Auto wird so günstig werden, da brauche ich kein Verbot“, verwies er darauf, dass in China 74 Prozent der E-Autos günstiger als Verbrenner wären.
„Was will man: E-Autos oder deutsche Autos?“
„Was will man: E-Autos oder deutsche Autos?“, mit seiner Frage traf Schäffler sichtlich einen wunden Punkt. Das Dominieren chinesischer Hersteller bei der E-Mobilität müsste man nicht akzeptieren, widersprach Audretsch: „Wenn wir die Rahmenbedingungen festsetzen und die deutsche Automobilindustrie günstige E-Autos produziert, dann haben wir eine Chance.“ Dafür müsse man aber einmal die Entscheidung treffen, ob Deutschland Industrieland bleiben solle. „Ich möchte das“, gab er gleich die Antwort.
Dass das FDP-geleitete Bildungsministerium Forschungsmittel für Batterien reduziert hat, räumte der Grünen-Fraktions-Vize als der Haushaltsmisere geschuldeten Fehler ein. Dasselbe gelte für das Einsparen der Umweltprämie seitens des grünen Wirtschaftsministeriums. „Wir müssen aufhören zu glauben, dass wir mit Kaputtsparen am Ende erfolgreich sein können“, sprach er sich für eine Reform der Schuldenbremse und ein Aufstocken des Innovationsfonds aus. Doch über die die Schuldenbremse wollte Louis Klamroth an diesem Abend nicht debattieren.
„Jetzt mal klotzen, denn die Chinesen fahren uns sonst davon“, brachte es Yogeshwar auf den Punkt. Angesichts der Nachrichtenlage müsse man weg von „Entweder/oder oder SUV-Bashing“, lenkte der Wissenschaftsjournalist die zwischenzeitlich emotionale Diskussion um das deutsche Lieblingsthema Auto aufs Wesentliche: „Wie kommen wir weiter?“, sei angesichts der ernsten Lage die wichtigste Überlegung, „ökologisch, aber auch durch Innovation und nicht - das ist meine Bitte an die Politk - durch ständiges Schmeissen von Nebelbomben, die die Bürger verunsichern.“ (tsch)