Wulf Herzogenrath richtete Yoko Ono eine große Werkschau aus. Im ausführlichen Gespräch erinnert er sich an eine umstrittene Frau, deren Werke mittlerweile zu den Klassikern der modernen Kunst gehören.
Yoko Ono wird 90Einst verspottet, heute eine Königin der Kunst
Herr Herzogenrath, an diesem Samstag wird Yoko Ono 90 Jahre alt. Viele kennen sie vor allem als Ehefrau und Witwe John Lennons, dabei gehörte sie schon in den frühen 1960er Jahren zu den wichtigsten Künstlerinnen der Avantgarde. Sie haben 2007 gemeinsam mit Ono eine Ausstellung gemacht. Wie kam es dazu?
Wulf Herzogenrath: Als ich 1994 nach Bremen ging, übernahm ich mit der Kunsthalle ein eher konservatives Museum. Ich dachte, man müsste hier mit etwas Besonderem beginnen, und so zeigte ich neben Max Liebermann und Toulouse-Lautrec auch eine Ausstellung über John Lennon als bildenden Künstler. Ich habe Yoko Ono im Dakota Building in New York besucht, weil sie die nötigen Leihgaben hatte, und sie war begeistert, dass Lennon endlich auch als Zeichner ernst genommen wurde.
Wie haben Sie den Besuch erlebt?
Ono lebte dort im zweiten Stock, gemeinsam mit dem weißen Klavier, auf dem John Lennon „Imagine“ spielte, und konnte aus dem Fenster auf den Platz blicken, der in Erinnerung an den erschossenen Lennon angelegt wurde. Ono war herrlich als Führerin durch ihre Wohnung. Es gab dort einen Raum nur für ihre Hüte und einen Raum nur mit Schuhen – und sicherlich auch einen kleineren für ihre Sonnenbrillen. Diese Dinge sind schließlich ihre Markenzeichen.
Wie kam die Lennon-Ausstellung damals an?
Die Kunstszene hat sich ihr total verweigert, es gab kaum ernsthafte Kritiken. Es kamen 20.000 Besucher, aber das waren Musikfans. Die Sphären von E und U blieben sauber getrennt, keiner wollte über den eigenen Tellerrand schauen. Dabei war Lennon nicht nur ein interessanter Zeichner, sondern hatte auch Anteil an den gemeinsamen Performances mit Yoko Ono. Die berühmte Pflanzaktion mit Bäumen, zehn Jahre vor Joseph Beuys, war wohl ihre gemeinsame Idee.
Berühmt ist auch das Bed-In der beiden.
Die beiden blieben 1969 eine Woche quasi öffentlich im Hotelbett, um für den Frieden zu protestieren, was viel Aufsehen erregte. Aber auch damals wurde immer nur der Beatle gesehen und nicht die Kunstaktion. Genau deswegen wollte ich Yoko Ono in Deutschland als Künstlerin vorstellen, gerade auch mit ihren frühen Arbeiten aus den 1960er Jahren.
In der New Yorker Kunstwelt war Ono ein größerer Star als Lennon.
Ihre Arbeiten wurden in der Fluxus-Szene hochverehrt, das ging von John Cage bis Nam June Paik. Onos späterer Ruhm als Gattin war für die eher uninteressant.
Zum Zeitpunkt ihrer gemeinsamen Ausstellung war beides wohl schon nicht mehr zu trennen.
Ja, es gab einen riesigen Medienauftrieb. Ono schrieb ihre frühen Arbeiten für uns mit der Hand noch einmal auf Deutsch, da ging es um Anweisungen, wie man ein Gemälde machen kann. Aber eben nicht mit Farben, sondern ganz anders. Etwa mit Löchern in der Leinwand, durch die man den Himmel sieht. Oder: Zünde ein Streichholz an und gucke, wie das Licht erlischt. Das Gemälde entsteht bei Ono im Kopf des Betrachters, das ist ihre Idee von Kunst. Sie hat über das Schreiben auf Deutsch sehr gestöhnt, es aber trotzdem gemacht, um dem Publikum näher zu sein.
Auch in Bremen hat sie die Friedensthematik wieder aufgegriffen.
Sie hat das Plakat „War is Over“ in die Sammlung gehängt, das hatte schon in den 1960er Jahren eine große Aktualität und jetzt natürlich wieder. Als Friedensaktivistin zeichnet Ono eine geradezu naive Kampfesfreude aus. Sie wollte das Plakat in unserer Sammlung niederländischer Malerei, einerseits, weil es dort auffällt, aber auch, weil man so eher bemerkt: Auch zwischen all den schönen Landschaften, Stillleben und nachdenklichen Menschen gibt es etliche Kriegsbilder.
Frieden ist weiterhin ihr großes Thema.
Sie ist darin unermüdlich, für sie ist die Kunst ein Lebenselixier. Man kann verstehen, was Lennon so faszinierte. Ono ist eine intensive, sehr ehrliche und immer auf den Menschen bezogene Persönlichkeit.
Hadert Ono eher mit ihrem Status als Lennon-Witwe oder sieht sie in der Prominenz eine Chance, ihre Kunst und ihre Anliegen zu verbreiten?
Ich habe nie gewagt, das Thema so deutlich anzuschneiden. Man weiß ja, dass sie nicht gerne auf die Witwe reduziert wird und sehr empfindlich auf den Mythos reagiert, sie haben die Beatles zerstört. Ich glaube, es gehörte zu ihren Überlebensstrategien nach Lennons Tod, von der Öffentlichkeit als eigenständige Künstlerin akzeptiert zu werden. So wird man 90 Jahre alt.
Ono war auch Komponistin, ihr musikalischer Einfluss auf Lennon ist nicht zuletzt auf dem Weißen Album zu hören. Wie schätzen Sie ihr Werk als Musikerin ein?
Bei ihr klingt das Schräge und Avantgardistische natürlich viel stärker durch als bei John Lennon, da geht es nicht mehr um die schöne Melodie. Aber ich gestehe, dass ich nicht der größte Fan ihrer Musik bin.
Sie kam eher von John Cage her.
Cage hat von ihr übrigens den entscheidenden Tipp gegen seine Gicht erhalten: die Makrobiotik. Das hat ihm unglaublich geholfen.
Eine Frau mit vielen Talenten und ihrer Zeit oftmals voraus. Bei Ono war auch die Animierung des Betrachters schon angelegt, bevor Joseph Beuys erklärte, jeder Mensch sei ein Künstler.
Manchmal ist es gut, wenn man aus einer wohlhabenden Familie stammt und mit seiner Kunst nichts verdienen muss. Ono konnte die Kunst machen, die sie wollte, obwohl sie beinahe unverkäuflich war. Performances kosten Geld und bringen nichts ein. Wir brauchen solche unabhängigen Künstler. Ono wusste, dass man etwas übertreiben muss, um die Menschen zu erreichen. Ihr Bed-In wurde damals überwiegend als Klamauk abgetan. Dabei war diese Performance künstlerisch dermaßen radikal, dass wir heute noch darüber reden.
Ihre „Cut-Piece“-Performance, bei der sie Männer einlud, ihr die Kleider vom Leib zu schneiden, gilt als Schlüsselwerk der feministischen Kunst.
Bei der Bremer Pressekonferenz wurde Ono von einer Journalistin gefragt, ob sie Feministin sei; sie hatte sich nie genau dazu geäußert. Ihre Antwort war eine Gegenfrage: Sind Sie eine Frau? Eine Frau zu sein, ist für Ono bereits politisch.
Ihre Kunst ist kaum greifbar, wirkt aber gerade deswegen nach.
Ein anderes durchgängiges Thema bei ihr sind die Wunschbäume. Jeder kann seine Wünsche aufschreiben und in ihre Baumskulpturen hängen. Auch damit nimmt sie den Betrachter ernst als jemand, der die Welt gestalten könnte und sollte.
Onos frühe Handlungsanweisungen klingen oftmals kurios: Fahre einen Tag in einem Leichenwagen durch die Stadt. Hier geht es wohl eher um die Idee, mal etwas ganz anderes zu tun und aus dem eigenen Alltag auszubrechen.
Das sind schräge Dinge, die aber immer machbar sind, und in unserer Vorstellung etwas bewirken sollen. Vielleicht sind dann auch Aggression und Krieg etwas, über das ich anders nachdenke. Ono hat einmal gesagt: „Jedes meiner Werke bedeutet: Das bin ich, die dir Hallo sagt.“ Das ist für mich die beste Definition von Konzeptkunst, die ich kenne. Ich tue etwas, damit andere darauf reagieren können. Alle meine Ideen öffnen eine Tür zu dir.
Mittlerweile spottet kaum noch jemand über Yoko Ono. Sie ist ein Klassiker der Kunstgeschichte.
Ich habe diese Entwicklung mit Freude erlebt. Auch dieses alberne Klischee, die Trennung der Beatles sei nicht der künstlerischen Entwicklung der Band geschuldet, sondern ihrer bösen Wirkung, hat sich durch die Verbreitung ihres Werks weitgehend erledigt. Man versteht jetzt besser, dass Lennons Hinwendung zu größeren Themen ihr mitzuverdanken ist, dass Songs wie „Imagine“ und „Give Peace a Chance“ genauso ein Teil von Ono wie von Lennon sind.
Wulf Herzogenrath, geboren 1944, übernahm vor 50 Jahren, im Frühjahr 1973, die Leitung des Kölnischen Kunstvereins und zeigte hier unter anderem die erste europäische Einzelausstellung des Videokunst-Pioniers Nam June Paik. 1989 wechselte er als Hauptkustos an die Berliner Nationalgalerie, von 1994 bis 2012 war er Direktor der Kunsthalle Bremen. Dort zeigte er 2007 eine Werkschau von Yoko Ono. Herzogenrath hat zahlreiche Bücher verfasst und zuletzt im Alexander Verlag einen Erinnerungsband an seine Mutter herausgegeben: „Was ist ein Leben, wenn es nicht erzählt wird“. Er lebt in Berlin und Köln.