Das „zamus: early music festival“ feierte mit der Blockflötistin Dorothee Oberlinger seine Eröffnung in Köln.
„zamus: early music festival“ in KölnHier werden auch die Träume des Publikums zu Musik
Die Kölner Blockflöten-Königin Dorothee Oberlinger spielt nicht nur, sondern träumt auch. Einen Traum verriet sie jetzt anlässlich des „Traumdeuter“-Konzerts im Sülzer Ventana, wo die beiden Startkonzerte des diesjährigen „zamus: early music festivals“ stattfanden. Die Horrorbestandteile des Geschehens kommen aus „klassischen“ Musikerträumen: Das Traum-Ich ist zu spät auf dem Weg zu einem Auftritt in der Philharmonie – und kommt dabei nicht einmal von der Stelle. Es geht aber gut aus: Plötzlich befindet sich Oberlinger in einem Schwimmbad, wo sie in eine friedvolle, stresslose Atmosphäre eintaucht.
Dorothee Oberlinger eröffnet in Köln das zamus early music Festival
So weit, so gut. Im Anschluss an die Traumerzählung kamen, auf einer mit „verrückten“ Möbeln und überdimensionierten Kunstblumen dekorierten Bühne und gewandt von dem Moderator Andreas Gilger begleitet, die beiden instrumentalen „Traumdeuter“ Jonathan Keren (Violine) und Panos Iliopoulos (Cembalo) zum Zuge. Sie zündeten aus dem Stand ein improvisatorisches Feuerwerk, dessen Traumdeutungsaspekte im engeren Sinn zweifellos erläuterungsbedürftig blieben, das aber für sich genommen, also als Kunstleistung, nahezu atemberaubend war.
Integriert wurden dabei auch Motive aus dem vorangegangenen Eröffnungskonzert mit Oberlingers Ensemble 1700, so, vom Cembalisten, Ligetis „Continuum“, und später Corellis „La Follia“. Das sind bekanntlich Variationen über eine gleichbleibende Harmoniefolge, eine Passacaglia mithin. Diese Kreis- und Wiederholungsstruktur sei, so wurde dem Publikum bedeutet, das musikalische Äquivalent zu Oberlingers zeitlosem Glückszustand im Schwimmbad.
Auch die Träume des Publikums kommen auf die Bühne
Die Interpreten als Hexenmeister? Nun ja, gerade die barocke Stil- und Formensprache aus Sonate und Concerto mit ihrer Modulations- und Sequenztypik haben sie als abrufbares Vokabular einfach „drauf“ – so etwas kann man „lernen“. Das ändert aber nichts daran, dass ihre Ad-hoc-Montagetechnik spektakulär virtuos ist. Da stellen sich – teils übrigens hochamüsante – Zirkuseffekte ein, die die Besucher im Saal immer wieder hell auflachen ließen.
Und die Aufgaben wurden immer komplexer: Gilger zog aus einer Box Zettel mit Traumbeschreibungen der Zuhörer, die dann freilich im Rahmen bestimmter Tonarten, historischer Musikformen (zwischen Fuge und Gavotte) und musikalischer Themen zu bearbeiten waren. Da sollte zum Beispiel der einlullende Gesang eines Waldvogels in g-Moll als Sarabande auf das Kinderlied „Hänschen klein“ interpretiert werden. Schwierig genug, denn hier werden Dinge gefordert, die einander von Haus aus eigentlich ausschließen: „Hänschen klein“ steht in Dur. Ein weiterer panischer Musikertraum mit einer um einen Halbton falsch gestimmten Orgel stellte mutmaßlich keine gar so schwere Klippe dar: Klar, da setzte es dann in der Geige „falsche“ Doppelgriffe und im Cembalo verrutschte Bässe.
Dem scheidenden Festivalleiter Ira Givol gebührt Respekt
Wie auch immer: Als neuartiges interaktives Konzertformat ist ein solcher Auftritt gerade auch in seinem Unterhaltungswert kaum zu toppen. Hier wurde eindrucksvoll deutlich, zu welchen Grenzüberschreitungen es die Aufführungspraxis der early music in diesen Tagen bringt. Im konkreten Kölner Fall ist das sicher auch ein bleibendes Verdienst des scheidenden Festivalleiters Ira Givol und seines Teams. Da kann man eigentlich nur sagen: Hut ab und Weiter so!
Nur bedingt traditioneller war es im erwähnten Konzert mit Oberlinger und ihrem großartigen Ensemble 1700 zugegangen. Wer geglaubt hatte, dass die Künstlerin ausschließlich auf den Barock geeicht sei, wurde hier eines Besseren belehrt. Zwischen Vivaldi und Geminiani/Corelli hier sowie Ligeti und dem amerikanischen Minimalisten Terry Riley dort ergab sich vielmehr eine extreme Spreizung des Repertoires, das freilich durch die einigermaßen überzeugende ideelle Klammer zusammengehalten wurde: „Repeat it! Musik im Kreisen“ lautete das Motto, das sich auf Strukturen der Wiederholung bezog, wie sie etwa der barocken Chaconne genauso eigen sind wie eben dem amerikanischen Minimalismus. Musik als Zeitkunst vollzieht da in beiden Fällen gleichsam ihren Ausstieg aus der Zeitlichkeit.
Oberlinger zaubert ungeahnte Klänge aus der Blockflöte
Die Manie des Repetitiven vermag beim Musiker einen Spielrausch auszulösen – der indes in der Aufführung kontrolliert und gesteuert werden muss. Bei Dorothee Oberlinger ist das durchweg der Fall: Sie zaubert mit ihren Flöten immer wieder ungeahnte Klänge – aber sie beherrscht diese Möglichkeiten dank eines rigorosen Gestaltungswillens. Da läuft – ganz gleich ob bei Vivaldi oder bei Gourzi – nichts einfach vom Band. Sie ist eine Meisterin des dramatischen Hier und Jetzt.
Der durch Wiederholung getriggerte Trance-Effekt vermittelte sich auch in der Uraufführung des Abends: der klanglich außerordentlich reizvollen Komposition „Saa“ für Blockflöte und Bordun aus der Feder der persönlich anwesenden und vom Publikum gefeierten griechischen Komponistin Konstantia Gourzi, für die das Verschwinden und Wieder-Sichtbarwerden eines Schneeleoparden als Bildinspiration maßgeblich war. Wie sich da Barockinstrumente mit avantgardistischer Musiksprache verbinden, das ist schon bemerkenswert genug – vor dem Zuhörer entsteht ein kultureller Hybrid eigener Art.