Rein sängerisch könnte man an Iréne Theorin als Elektra etwas auszusetzen haben. Trotzdem überzeugte sie in der Oper, die in Köln aufgeführt wurde.
„Elektra“ in der Kölner PhilharmonieAus der Sängerin bricht ein irres Lachen
Peter Konwitschnys Stuttgarter „Elektra“-Inszenierung erfreut sich offenbar großer Beliebtheit: Sie steht seit 2005 auf dem Spielplan und wurde unter Leitung von GMD Cornelius Meister erst kürzlich wiederaufgenommen. Mit dem Soundtrack der Produktion ging die Staatsoper nun auch tingeln: in Paris und der Kölner Philharmonie, die sich für den Besuch der schwäbischen Gäste allerdings nur schütter gefüllt hatte. Das ist doppelt bedauerlich - zum einen, weil das in fast allen Belangen eine vorbildliche Aufführung war, zum anderen, weil man hier die seltene Gelegenheit hatte, das Stück einmal auf dem Konzertpodium zu hören.
Strauss Oper Elektra in der „Kölner Philharmonie“
Keine andere Oper von Richard Strauss lebt so sehr im und aus dem Orchester wie die 1909 in Dresden uraufgeführte „Elektra“. Schon bei Strauss’ großem Vorbild Richard Wagner „weiß“ das Orchester weit mehr als die Sänger auf der Bühne; aber hier leuchtet es dazu noch in seelische Abgründe hinein, die keinem Wissen mehr zugänglich sind. Dafür sah der Komponist gerade in der Bassregion eine Klangvielfalt vor, die das Staatsorchester Stuttgart äußerst suggestiv vorführte. Beim Auftritt von Elektras Bruder Orest, der aus der Fremde heimkehrt, um den Mord am Vater Agamemnon zu rächen, war das tiefe Blech mit einer dunklen Schwere präsent, die gefährlich, aber gar nicht aggressiv wirkte - hier vollzieht sich das Schicksal mit einer inneren Notwendigkeit, die den Personen alle Entscheidungen abnimmt.
Cornelius Meister hatte sich an gleicher Stelle bereits 2019 mit einer konzertanten „Ariadne auf Naxos“ als exzellenter Strauss-Dirigent empfohlen. Auch „Elektra“ profitierte von seinem überragenden Können, einer Partiturkenntnis, die jedes Detail an seinen Platz stellte und doch das Große und Ganze stets im Blick behielt. Die (ohnehin verblassten) Schockwirkungen des Stückes interessierten ihn dabei weniger als das saftige, schwungvolle Musikantentum, das bei allen Exzessen, aller Deformation der Charaktere aus der Partitur leuchtet: Es ist viel „Rosenkavalier“ in dieser Stuttgarter „Elektra“, und das nicht nur in den finalen Walzerdelirien (zu denen sich in Konwitschnys Inszenierung übrigens ein maßloses Blutbad vollzieht).
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Simone Schneider lieferte als Elektras Schwester das stärkste Charakterportrait
Eine Produktion, die auf der Bühne stattgefunden hat, kann nie mehr wirklich „konzertant“ werden, weil die Konzepte der Szene und der Charaktere sich natürlich auch der Klangfolie eingegraben haben. Das spürte man hier sehr deutlich, auch wenn in Frack und Abendkleid gespielt wurde. Rein sängerisch wäre an Iréne Theorin in der Titelrolle manches auszusetzen: auffällige Registerbrüche, Vokalverfärbungen, dazu ein Vibrato, bei dem die Tonhöhe oft kaum mehr wahrnehmbar war. Trotzdem überzeugte sie durch ein merkwürdig apathisch-versteinertes Rollenkonzept, aus dem gelegentlich ein mechanisch gewordenes, irres Lachen brach. Ihre schwere Traumatisierung vermittelte sich besonders schmerzhaft in der stärksten Szene der Oper, der Wiederbegegnung mit dem Bruder: Bei aller vokalen Hochdramatik, aller dunklen Basswucht, die Pawel Konik dem Orest gab, standen da zwei gequälte, missbrauchte, zerstörte Kinder auf dem Podium.
Deren Monster-Mutter Klytämnestra sang und spielte die großartige Violeta Urmana mit einer bezwingenden Mischung von royaler Würde und panischer Angst. Das stärkste Charakterportrait lieferte indes die unanfechtbar souverän singende Simone Schneider als Elektras Schwester Chrysothemis: Ein Paradebeispiel geglückter Verdrängung, eine opportunistische, einzig nach Vollendung ihres „Weiberschicksals“ drängende Figur, der die Mutter als Lebende so recht ist wie als Leiche.
Die kurze Szene mit Klytämnestras mörderischem Liebhaber Aegisth wurde durch Matthias Klink erheblich aufgewertet: Der in Köln ehedem als Mozartsänger erfolgreiche Tenor bewies, dass man diese Partie durchaus nicht zetern und keifen muss, sondern bei aller markanten Gestaltung auch wohlklingend singen kann. Das Mägde-Quintett war insgesamt stabil, gut einstudiert, wenn auch etwas uneinheitlich in den Timbres. In den kleinen Diener-Rollen zeigten Mitglieder des Stuttgarter Staatsopernchores ausnahmslos eine ungewöhnlich hohe Stimmqualität.