Zum Tod von Jean-Luc GodardDer Umstürzler mit der Kamera
Köln – Jean-Luc Godard, einer der berühmtesten Regisseure der Kinogeschichte, begann seine Karriere in einem Nebenjob. Auf der Baustelle der Grande-Dixence-Staumauer in den Schweizer Bergen, der damals höchsten und höchstgelegenen Gewichtsstaumauer der Welt, war er als Telefonist beschäftigt – ausgerechnet er, der Augenmensch.
Damals, am Beginn der 50er Jahre, war er bereits Kritiker der einflussreichen Zeitschrift „Cahiers du cinéma“ unter deren Chefredakteur André Bazin, aber Godard wollte nicht allein über Filme schreiben, er wollte sie drehen. Zum Beispiel über die Grande-Dixence, deren Monumentalität er in dem Kurzfilm „Opération Beton“ verewigte. Kein besonders auffälliges Werk, und unter ökologischen Gesichtspunkten ganz und gar indiskutabel. Aber die Bewunderung für den Beton ebnete dem 1930 in Paris geborenen Sohn eines Arztes aus der Schweiz den Weg in eine bemerkenswerte Karriere.
Abgründe der Moderne
Mit „Opération Beton“ begann Godards lebenslange Auseinandersetzung mit der Moderne, mit ihrer Radikalität, aber ebenso mit ihren Abgründen. Zur Moderne zählte er selbstverständlich die Filme der russischen Avantgardisten der Stummfilmzeit, die Materialschlachten eines Eisenstein, vor allem aber das „Cinéma Vérité“ von Dziga Vertov, den er zum Namenspatron einer von ihm mitbegründeten Gruppe von Filmautoren wählte. Diesen Pionieren des Kinos stellte Godard mit Hollywood dessen Totengräber gegenüber und unterteilte in einer seiner zahlreichen theoretisch-ästhetischen Arbeiten die Kinogeschichte in zwei Hälften: für Godard galt eine Zeitrechnung vor und eine nach Hollywood, und weil er letztere verachtete, erschien er erst gar nicht zur Verleihung des Ehren-Oscars, den die Academy ihm als Geburtstagsgeschenk zum 80sten überreichen wollte.
Seine Filme verweigern sich der eindeutigen Erzählrichtung, sie sind Gedankensprünge in Leinwandgröße. Darauf angesprochen, was die rebellische Black-Power-Allegorie „One plus one (Sympathy for the Devil)“ mit den Rolling Stones bedeuten solle, antwortete ein leicht genervter Mick Jagger: „Keine Idee.“ Mit am eingängigsten und bis heute häufig im Fernsehen präsent – auch durch die amerikanische Adaption mit Richard Gere und Valérie Kaprisky – ist „Außer Atem“. Im Original „A Bout de Souffle“ drehen Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg der Polizei und der gesamten spießigen französischen Nachkriegsgesellschaft eine lange Nase, bis es nicht mehr weitergeht. „Außer Atem“ war Godards erster großer Film und steht als Chiffre für die Nouvelle Vague da, die neue Welle des französischen Kinos, die außer ihm selbst weitere Legenden wie Francois Truffaut und Jacques Rivettes als künstlerische Vorkämpfer der politischen Umbrüche der 60er Jahre ganz nach oben spülte.
Verweigerung bürgerlicher Traditionen
Von da ein bezeugt das Werk Godards mit Filmen wie „Die Verachtung“, „Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Marx und Coca Cola“ oder „Weekend“ eine zunehmende ästhetische und politische Radikalisierung, sie beschleunigen die Verweigerung der bürgerlichen Erzähl- und Sehtraditionen, denen ein Zeitgenosse wie Chabrol trotz aller Kritik am Establishment verhaftet blieb, sie sind Hochrisikounternehmen eines anderen Kinos, eines anderen Sehens, des Versuchs, mit der Kamera in der Hand zu philosophieren. Godard war stets bis aufs Äußerste bereit, dem Film so viel intellektuelle Elastizität zuzutrauen, dass er seine Zerreißproben aushalten würde.
Die Einzigartigkeit dieser zwischen freier, wilder Assoziation, Dokumentarismus und Fabulierlust schillernden Methode hat der deutsche Asphaltpoet Wolf Wondratschek in seinem denkwürdigen Text „Früher begann der Tag noch mit einer Schusswunde“ in vier schlichten Silben zusammengefasst: Jean-Luc-Godard. Diese Silben standen gewissermaßen stellvertretend für künstlerische Freiheit, die Barrikaden der späten 60er, für starke Zigarren.
In vieles hat er sich verrannt. Seiner Bewunderung für den Juden Dziga Vertov zum Trotz, waren es seine antisemitischen Bemerkungen, die bereits in den 60er Jahren zum Bruch mit Truffaut und dem Produzenten Pierre Braunberger führten – bis zuletzt wetterte Godard gegen Israel und die Juden in Hollywood, allen voran gegen Steven Spielberg.
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Diese Haltung ist umso beklemmender, als sein künstlerisches Werk gerade auch in seinen politisch-ästhetischen Qualitäten selbst moralische Maßstäbe setzt: Seine Filme sind Attacken auf die genüssliche Selbstzufriedenheit. Nun ist Jean-Luc Godard, der Umstürzler mit der Kamera, der Unbequeme, der mitunter äußerst fehlbare Streiter, im Alter von 91 Jahren gestorben.