Leserbriefe„Der Staat sollte Bürger nicht zum Organersatzteillager erklären“

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Eine junge Ärztin sitzt auf einem Tisch und hält lächelnd einen Organspendeausweis in die Kamera. Auf dem Tisch befinden sich Ständer mit Informationsmaterial zur Organspende, rechts daneben steht ein Aufsteller, der für den „4. Juni – Tag der Organspende“ wirbt.

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Ein neuer Gesetzentwurf zur Widerspruchsregelung bei Organspenden will die Spendenbereitschaft erhöhen. Leserinnen und Leser diskutieren. 

Enthaltung muss möglich sein – Der Staat sollte die Organspende ohne Druck regeln – Kommentar von Steven Geyer (25.6.)

Organspende: „Es bedarf lediglich einer bewussten Entscheidung“

Der Aussage „Enthaltung muss möglich sein“ im Kommentar von Steven Geyer zur Diskussion über Organspenden widerspreche ich. Die dort vertretene Position gegen die Widerspruchslösung basiert, wie allzu häufig, auf abstrakten Überlegungen, die weder die bedrohliche Situation der betroffenen Patienten und Angehörigen, noch die Sicht der behandelnden Ärzte oder die im europäischen Vergleich mangelhafte Ist-Situation berücksichtigen.

Das Argument „Enthaltung muss möglich sein“ verfängt aus meiner Sicht nicht. Ich kann mich weder bei der Partnerwahl, noch bei der Wahl meines Berufswegs oder meines Wohnorts „enthalten“. Leben in unserer Gesellschaft geht mit häufigem Entscheidungsbedarf einher. Bei der Widerspruchslösung geht es nicht um eine Verpflichtung zur Organspende. Widerspruch dazu ist uneingeschränkt möglich; es bedarf lediglich einer bewussten Entscheidung.

Die Einführung der Widerspruchslösung wird allein nicht den Mangel an Organspenden beheben; dazu braucht es flankierender Maßnahmen. Sie ist somit nicht „hinreichend“. Sie ist aber „notwendig“, das heißt zwingend erforderlich, denn ohne diesen Schritt wird sich der Mangel nicht beheben lassen. Persönlich widerspreche ich einem „Recht zur Enthaltung“ und hoffe auf die Einführung der Widerspruchslösung. Jochen Herzhoff Odenthal

„Niemand hat ein Recht auf das Organ eines anderen Menschen“

Der NRW-Gesundheitsminister geht in die Offensive; er will durchsetzen, dass jeder Mensch als Organspender gilt, wenn er nicht ausdrücklich widersprochen hat. Da lohnt es sich doch, auch in diesem Zusammenhang an den ersten Artikel des Grundgesetzes zu erinnern, der ebenfalls in diesen Tagen gern von Politikern in den Mund genommen wird: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Soll das für den sterbenden Menschen nicht mehr gelten?

Denn es fehlt in dieser Diskussion an Aufklärung darüber, was die Feststellung des Hirntodes als Voraussetzung für eine Organentnahme bedeutet. Vielen Menschen ist vielleicht nicht klar, dass Organe nicht einer Leiche entnommen werden. Sondern sie können nur jemandem entnommen und einer anderen Person transplantiert werden, wenn die Organe selbst noch in Funktion sind, also am Leben erhalten werden.

Die hirntote Person muss künstlich beatmet und der Blutkreislauf aufrechterhalten werden. Das geht nur, wenn die Person auf einer Intensivstation verstirbt und wenn dort der Hirntod festgestellt wird, von dem es nach medizinischer Expertise kein Zurück ins Leben mehr gibt. Folglich weiß auch niemand, wie dieses Sterben sich anfühlt, ob die hirntote Person beziehungsweise ihr Körper bei der Entnahme pulsierender Organe etwas spürt. Man kann wohl davon ausgehen, dass hier keine Empfindung mehr stattfindet, aber wer weiß das?

Es muss selbstverständlich bleiben, dass auch dieser letzte Akt beim Erlöschen des Lebens dem Gebot der körperlichen Unversehrtheit unterliegt. Niemand außer der Person selbst, auch nicht nahe Verwandte, dürfen das infrage stellen. Umgekehrt steht es jedem frei, sich zum Spender zu erklären. Aber es muss klar bleiben, dass dies eine Spende ist. Eine Spende, die nur die spendende Person selbst geben kann, wenn sie es ausdrücklich und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte so entscheidet.

Jedem Menschen, dessen Leben von einer Organspende abhängt, ist zu wünschen, dass ein Spender für ihn gefunden wird. Aber niemand hat ein Recht auf das Organ eines anderen, eines sterbenden Menschen. Ebenso wenig hat irgendeine politische Macht, sei es ein despotischer Autokrat, sei es ein demokratisches Parlament, das Recht, ihre sterbenden Bürger generell zum Organersatzteillager zu erklären – denn von einer Spende könnte unter dieser Bedingung keine Rede mehr sein. Christian Fischer Köln

Organspende: „Der Staat sollte da ruhig Druck aufbauen“

Ich bin für die Widerspruchslösung. Seit vielen Jahren versuchen wir es mit der Freiwilligkeit und es will einfach nicht klappen. In dieser Zeit sterben Menschen, die man hätte retten können. Jeder oder jede, die nicht darüber nachdenken möchte, sollte sich einfach einmal vorstellen, was es heißt, jahrelang krank zu sein und auf ein Spenderorgan zu warten. Und sich vorstellen, wie es wäre, wenn es einen selber beträfe oder seine Liebsten.

Solange man gesund ist, möchte man sich mit dem Thema Organspende nicht beschäftigen. Deshalb sollte der Staat da ruhig Druck aufbauen. Ich habe schon lange einen Organspendeausweis. Auch mir ist es nicht leicht gefallen, das Thema anzugehen. Ich habe mir aber vorgestellt, wie dankbar ich wäre, würde mir jemand oder meinen Kindern nach seinem Tod noch helfen können. Constanze Hilt Köln

Organspende: Gegen Zwang zum Widerspruch

Die Bundesrepublik Deutschland ist bisher sehr gut gefahren mit dem Grundsatz „Es ist alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist“. Ich sehe eine ganz große Gefahr, wenn die NRW-Initiative zur Organspende Erfolg haben sollte, dass dann eine Welle weiterer Verbote aufgeweicht wird. Mit welchem Recht soll ein Bürger dieses Landes dazu gezwungen werden, einer Organspende widersprechen zu müssen, wenn er nicht damit einverstanden ist? Herr Laumann sollte diesen Aspekt nicht außer Acht lassen. Peter Armborst Köln

Organspende: Ziel Lebensrettung wichtiger als Prinzip Freiwilligkeit

Auch wenn die Argumentation von Theologieprofessor Jochen Sautermeister im Gastbeitrag „Ein Geschenk kann nur freiwillig sein – Wer glaubt mit der Widerspruchslösung seien die Probleme gelöst, erliegt einem Trugschluss“ vom 19. Juni wissenschaftlich durchaus stimmig ist, möchte ich doch – auch aus ethischer Sicht – widersprechen. Denn der Theologe hat das Prinzip der Güterabwägung völlig unberücksichtigt gelassen. In einer derartig gewichtigen Frage des Menschseins muss hier abgewogen werden zwischen dem Gut der Freiwilligkeit beziehungsweise des Schenkens gegenüber dem Ziel, um das es letztlich geht: dem Erhalt des Lebens.

Es gibt kein höheres Gut als das Leben selbst. Und wenn es um die Rettung eines Menschenlebens geht, dann kann demgegenüber das Prinzip der Freiwilligkeit nur nachgeordnet sein. Auf die Spitze getrieben könnte man gar von unterlassener Hilfeleistung sprechen. Es muss dem Staat beziehungsweise einer menschlichen Gemeinschaft erlaubt sein, hier eine Pflichtmaßnahme anzuordnen, der der mündige Bürger jederzeit widersprechen kann. Berthold Wild Köln

Organspende: „Wer nicht will, soll widersprechen“

Was spricht denn dagegen, dass ein Mensch ab seiner Geburt Organspender ist? Nichts! Die Diskussionen um das Thema sind ihre Worte nicht wert. Wer nicht will, soll widersprechen, denn er wird seine guten Gründe dafür haben; er sollte dann aber auch keine Organspende fordern und erhalten. Dieter Moll Köln

Bedenken gegen Organspende überwinden

Steven Geyer beleuchtet in seinem Kommentar leider nicht alle Facetten der Organspende. Sicherlich darf jeder entscheiden, seine Organe nicht spenden zu wollen, aber wir müssen doch langsam die Bedenkenträgerei überwinden, dass eine Organspende eine Zumutung sei. Nicht zuletzt würden diejenigen, die selber eine Organspende verweigern, trotz allem eine Spenderorgan entgegennehmen, wenn es ihnen nur schlecht genug geht.

Wir belegen bei der Bereitschaft zur Organspende einen beschämenden Platz in der letzten Reihe und greifen bei der Vergabe gespendeter Organe schamlos zu. Wie infam muss man sein, das nicht verwerflich zu finden? Wolfgang Tries Köln

Organspender bei Transplantationen bevorzugen

Bislang fehlt aus meiner Sicht ein Modell wie folgt: Bei der Vergabe von Spenderorganen sollten Patienten bevorzugt werden, die sich lange vorab, in gesundem Zustand, zur Organspende bereit erklärt haben. Sie werden im Vergabefall bevorzugt versorgt. Patienten, die sich nicht entschieden haben oder entscheiden konnten, kommen wie bisher auf die Warteliste. Auch das erzeugt Druck. Es leuchtet nicht ein, dass Patienten, die sich nicht zur Organspende bereit erklären, bei der Organvergabe gleichberechtigt behandelt werden. Ethische Gründe können keine Rolle spielen. Wenn dem so wäre, müssten Privatversicherungen entsprechend auf den Prüfstand. Dr. Frank Kleiner Leverkusen

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